Ein Rausch aus Blau und Silber
Wer im Internet nach Bildern der Göttin Yemayá oder Lemanjá sucht, wird Erstaunliches entdecken: prächtige, kraftvolle, mysteriöse oder auch folkloristische Frauengestalten, gekleidet in weite Gewänder in Blau und Weiß, oft reich geschmückt wie Königinnen und in einer ausholenden Bewegung auf den Meerwellen tanzend. Yemayá verkörpert in den einheimischen Religionen Westafrikas, Kubas und Brasiliens eine mächtige Wassergöttin, die auch heute noch sehr verehrt wird.
Bei den Yoruba in Nigeria, aber auch bei anderen afrikanischen Ethnien ist Yemayá die Fruchtbarkeitsgöttin und Gebieterin über das Meer. Die wörtliche Übersetzung ihres eigentlichen Namens „Yeye Omo Eja“ ist „Mutter der Fische“, sie steht daher für die Mutterschaft als solche und gilt als Mutter von allem, was im Meer lebt.
Yemayá ist der Archetyp der Mutter, die Urmutter, ebenso wie das Meer Ursprung allen Lebens. Wie das Meer sind auch Mütter vielschichtig. Yemayá hat zumindest zwei Seiten, einerseits die nährend-beschützende-wiegende, wie Wasser und Wellen, andererseits die vereinnahmend-gefährliche, jene Kraft, die einen Menschen ins Meer hinausziehen und umkommen lassen kann.
In Westafrika ist Yemayá eine Flussgöttin: Ihr gehört der Fluss Ogun. Durch den Sklavenhandel wurde der Glaube an sie – wie auch an andere afrikanische Gottheiten – in die Karibik, nach Mittel- und Südamerika gebracht und ist dort heute weit verbreitet, vor allem in Kuba und Brasilien. Da die Kolonialherren, die katholischen Spanier, den afrikanischen Sklaven verboten, ihre eigene Religion zu praktizieren, weil sie diese als heidnisch ablehnten, wählten die Sklaven christliche Heilige als „Ersatzgötter“.
Es entstand so eine eigentümliche Vermischung (Synkretismus) des afrikanischen und katholischen Glaubens: Aus Yemayá wurde die Jungfrau Maria, vor allem die kubanische Virgen de la Caridad del Cobre, die in ihrem blauen Mantel der Göttin Yemayá ähnlich sieht. Heute ist die Santería, die Verehrung dieser synkretischen Heiligen (Orishas), ein fester Bestandteil des öffentlichen Lebens in Kuba.
In Brasilien, wo diese Religion Candomblé genannt wird, finden regelmäßig große Feste zu Yemayás Ehren statt. Am Strand wird ihr mit Blumen oder anderen kleinen Gaben gedankt. Entweder vertraut man sie am Ufer den Wellen an, oder man fährt mit dem Boot hinaus und legt sie ins Wasser. Manchmal nimmt Yemayá die Form einer Frau mit einem Fischschwanz an, was im Candomblé Fruchtbarkeit repräsentiert.
Ihre Farben sind Blau und Weiß, sinnbildlich für die Schaumkronen auf dem Wasser, und ihr Metall ist Silber, das ihre Anhänger oft in ihrer Kleidung oder als Schmuck tragen. Weitere Symbole sind Fische und ein Handspiegel. Der kubanische Sänger Ismael Quintana widmete ihr sein Lied „Hijo de Yemayá“. (www.youtube.com/watch?v=bJjuOYx4ZfY).
Von Dr. Katharina Städtler, Mai 2021
Schlagwörter: Kultur, Traditionen