Erweiterte sensorische Wahrnehmung
Dr. Dörte Weig sprach im Klub Hannah im Juli 2018 über die erweiterte sensorische Wahrnehmung als Schlüssel unserer soziopolitischen Entwicklung im Alltag
Können wir Veränderungen in der Gesellschaft erreichen oder mehr Beziehungen knüpfen? Oder folgen wir immer denselben Mustern? Bewegung ist Kommunikation, der Ausdruck mit einem geopolitischen und kulturellen Niveau. Die Fähigkeit zum Denken-Spüren, bevor man eine Bewegung durchführt, ist die kreative Fähigkeit zum Denken-Spüren auch im soziopolitischen Sinn, und diese Fähigkeit schafft Potential für Veränderung.
Die Anthropologin Dr. Dörte Weig betreibt ‚Movement Research’, und forscht in Barcelona zum Beispiel zu Sardanas und Castellers. Schon als Kind stand sie nie still, ihre Tante sagte ihr, „von den 17 Enkelkindern war Dörte diejenige, die immer in Bewegung war“ und das sorgt heute noch für Amüsement bei einem familiären Kaffeeklatsch. Bewegung ist eine Erfahrung, von dem Moment an, wo wir morgens aufstehen, zur Arbeit fahren, wenn wir in den Urlaub fahren, alles was wir machen ist mit Bewegung verbunden. Vor 4 Jahren sah Dörte, dass die Sardana ein Tanz mit politischen Zusammenhängen war. Bekannte sagten: „es ist langweilig, es ist so langsam“, jedoch die Sardana ist nicht zum Zuschauen, sondern zum Mitmachen. Die Sardanas und die Castellers haben eine soziopolitische Sichtbarkeit in der Welt.
Was passiert mit dem Körper in so einem Kontext? Heutige egalitäre Jäger-Sammler in Gabun (einem wunderschönen Staat in Zentralafrika), nutzen Tanz in ihrer Gemeinschaft um die Gleichstellung aller in der Gesellschaft nicht nur zu symbolisieren, sondern vielmehr um Gleichberechtigung durch gemeinsame Bewegung herzustellen. Vor 60 Jahren war die Sardana die Möglichkeit, dass Männer und Frauen sich öffentlich an die Hand nehmen konnten, ohne bestraft zu werden. Bei den Sardanas wird ein Kreis gebildet, der unzerbrechliche Kreis des katalanischen Volkes. Durch Bewegung bilden wir Beziehungen in der Gemeinschaft, auch in Europa. Manchmal, wenn Castellers Türme bauen, fällt der Turm zusammen, aber die kreisförmige Basis, die Piña, bleibt bestehen und wenn die Teilnehmer danach nach Hause gehen, gehen sie wie Funken des Turmes und der Basis durch die Straßen.
In den letzten Jahren hat man die Faszien des Körpers studiert, unser körperliches Bindegewebe, das ein biochemisches Kommunikationsnetz, und vielleicht sogar unser wichtigstes Sinnes-Organ ist. Die Faszien sind auch essentieller Bestandteil unserer Bewegungsfähigkeit, zum Beispiel kann ein Känguru auch deshalb so weit springen, weil sich die Faszien auseinander dehnen. Der Körper ist ständig in Bewegung und in Veränderung.
Auf den Fidschi-Inseln denkt man, dass wenn ein Mädchen an Bulimie oder Magersucht leidet, nicht sie es ist, die das Problem hat, sondern dass die Gemeinschaft an sich arbeiten muss. Die Umgebung hat also eine Auswirkung auf uns. Aktuelle Themen, wie zum Beispiel die Arbeitslosigkeit, die illegale Einwanderung oder der Neofaschismus fordern uns permanente Beweglichkeit ab. Wir können lernen, zu denken-spüren, dass weder wir noch unser Gegenüber fest, unverrückbar sind. Es gibt kontinuierlich eine biochemische Veränderung, die Beziehung mit unserer Umgebung findet auf sichtbarer Ebene und unterhalb der Haut statt. Und auch unsere Emotionen sind nicht fest und unverrückbar, sondern soziokulturelle Ausdrucksformen.
In jedem Kontext, in dem wir uns befinden, geschieht etwas in unserem Körper; dabei entsteht immer Bewegung und ein ständiger Austausch. Diese ständige Bewegung im Alltag wirklich zu denken und zu spüren – darin sieht Dörte die Möglichkeit und das Potential: ‚chispas’ – Funken wie man auf Spanisch sagen könnte, zur Veränderung.
Von Cristina Cano
Mehr zu Dörtes Arbeit auf ihrer Webseite: www.movementresearch.net
Schlagwörter: Frauen, Klub Hannah in Barcelona, Moderne Welt