Frauen sollten sich mehr zutrauen
Interview mit Fr. Prof. Dr. Margot Käßmann, Botschafterin des Jubiläumsjahrs der Ev. Kirche
Ich treffe Fr. Prof. Dr. Käßmann in einem gemütlichen Lesezimmer des Circulo de Equestre mit Blick auf die belebte und weihnachtlich dekorierte Diagonal. Auf Einladung des Kreises Deutschsprachiger Führungskräfte hatte sie einen Vortrag zu Christlichen Werten gehalten hatte, an den sich ein Mittagessen in den wunderbaren Jugendstilräumen anschloss.
Von Ina Laiadhi
Prof. Käßmann, wie sind Sie zur Theologie gekommen?
1974-75 war ich mit einem Stipendium von Assist in den USA. Diese Organisation vermittelt Stipendiaten an amerikanische Internate. Das Jahr hat mich sehr geprägt, auch weil ich zum einen zum ersten Mal Schülerinnen und Schüler jüdischen Glaubens getroffen habe, die mich als Deutsche nach dem Holocaust gefragt haben. Das war mit 16 Jahren ein ganz neues Thema für mich. Dann ging der Vietnam-Krieg auf sein Ende zu. Große Diskussionen, was für eine Haltung der Mensch dazu hat. Ich habe angefangen Martin Luther King zu lesen, weil ich als Stipendiatin mit den anderen Stipendiaten zusammen war, die in der Regel schwarz waren. Sie haben Martin Luther King gepriesen. Und in dem Jahr starb auch noch mein Vater und ich war nicht zuhause, sodass ich alles zusammen so viele Fragen an s Leben hatte, an Gott und die Welt, dass ich gedacht habe Theologie ist ein gutes Studium, um sich mit diesen Fragen zu befassen. Es hätte auch Philosophie sein können, aber ich habe gedacht, ja es geht um Gott und die Welt.
Das heißt, Sie waren vorher nicht besonders religiös?
Wir waren schon religiös gebunden. Meine Familie war normal kirchlich, aber die Kirchengemeinde hat eine Rolle gespielt. Ich war im Posaunenchor, Kindergottesdiensthelferin. Wir hatten einen tollen Jugendkeller, wo wir unsere Disko-Musik hören durften. Wir hatten die Kirche als sozialen Ort, der viel Freiheit bedeutet hat. Gerade nicht Einengung, sondern Freiheit.
Es gab keinen besonderen Auslöser?
Als ich zurückkam, war ich in der 11. Klasse, um Abitur zu machen. Und ich dachte, Theologie könnte interessant sein. Ich war in Marburg auf der Schule. In Marburg war Theologie kein Fach, das unbekannt war, obwohl viele auch gedacht haben: Kann eine Frau Theologie studieren? Das war schon noch eine Frage.
500 Jahr Reformation. Es war ein wichtiges Jahr für die evangelische und katholische Kirche. Wie sehen Sie den Dialog?
Wir können sagen, dass das Reformationsjubiläumsjahr – ich zitiere Kardinal Kaspar – ein ökumenischer Kairos war. Das liegt daran, dass es das erste Mal war, das wirklich nicht anti-katholisch Luther gefeiert wurde. Sondern die Lutherische Kirche und die römisch-katholische Kirche haben es als die gemeinsame Geschichte angesehen. Es verbindet uns ja. Das ist unsere Geschichte. Ich würde es eben nicht nur als Spaltungsgeschichte sehen, sondern als Ausdifferenzierung in Glaubensfragen, die im 16. Jahrhundert anstanden. Mit der entstehenden Individualisierung, mit dem Bildungsschub, mit der Druckerkunst. Insofern war eine Einheitskirche für alle so nicht zu halten. Und das als gemeinsame Geschichte zu sehen und zu sagen, wir können feiern, dass wir heute unserer Ökumene wieder so nahe sind, das hat sich 2017 schon gezeigt.
Denken Sie nicht, dass der Dialog auch auf andere Religionen ausgedehnt werden sollte?
Erstmal muss man sehr unterscheiden: Ökumene bedeutet, dass alle Beteiligten Christen sind, die versuchen mit den Unterschieden das Gemeinsame immer wieder zu bestücken und das Verschiedene. Ich glaube, wir brauchen daneben einen Dialog mit den anderen Religionen, aber den werden wir nicht evangelisch – muslimisch, Römisch-Katholisch – muslimisch führen, sondern christlich – muslimisch. Wir brauchen den Dialog, damit die Religionen zum Frieden beitragen. Religionen werden allzu oft missbraucht oder lassen sich missbrauchen, um Konflikte zu schüren. Aber in der Regel sind es politische oder kulturelle Konflikte oder Machtkonflikte, in denen die Religion plötzlich zum Faktor wird. Wir brauchen Dialog, damit wir es nicht zulassen, dass Religion benutzt wird oder sich benutzen lässt. Jugoslawien ist für mich ein Symbol im letzten Jahrhunderts dafür, dass alle unter Tito friedlich zusammenlebten, und auf einmal wird die Religion benutzt. Ein serbischer Bischof rief sogar zu den Waffen. Das war für mich unvorstellbar. Auch zwischen dem Iran und Saudi-Arabien ist ein riesiger Machtkonflikt, der Sunniten gegen Schiiten ausgespielt hat. Aber auch der 30jährige-Krieg wurde als Religionskrieg gelabelt, obwohl es um ganz andere Machtkonstellationen ging.
Brauchen wir heute noch die Kirche? Die Jugend hat sich größtenteils in die sozialen Medien verabschiedet.
Die Kirche muss sich der Digitalisierung stellen. Sie tut das in vielen Bereichen. Es gibt inzwischen Internetseelsorge, Chatrooms. Sie können Gebetsanliegen posten. Aber die Stärke der Kirche ist Face to face und nicht Facebook. Einem sterbenden Mann können Sie nicht virtuell die Hand halten, da müssen sie als Person da sein. Oder wenn jemand das Herz ausschütten will, das traut man sich im sozialen Netzwerk weniger, weil du gar nicht weißt, wie vertraulich das ist. Wir zwei – sie guckt mich an – untereinander könnten es tun. Die Kirche sollte sich da stark machen. Wir sind als Kirche für die Menschen mit ihren Anliegen da. Du kannst 15ooo Freunde bei Facebook haben, aber dann ist keiner da, wenn Du ihn wirklich brauchst. Die Kirche wird ihre Rolle finden. Da bin ich zuversichtlich.
Sie haben heute morgen die Gebote auf eine moderne, aktuelle Art erklärt.
Das ist, was die Menschen voneinander wollen. Vertrauen. Mit Vertrauen zusammenleben. Und ich denke, dass die Gebote das explizieren auf die Ehebeziehung, auf die Nachbarschaftsbeziehung, auf die Kommunikationsbeziehung. Da geht es eigentlich immer um Vertrauen. Ohne Vertrauen kann eine Gesellschaft nicht leben.
In vielen Religionen merkt man eine starke Frauenfeindlichkeit. Kann man etwas dagegen unternehmen?
Ja, das ist leider so, das muss ich auch sagen, dass Religion immer dazu neigt sich patriarchalisch zu organisieren. Die evangelische Kirche hat lange gebraucht, Frauen in Leitungspositionen, auch in liturgische Positionen zu respektieren. Ich weiß von den Kolleginnen der Generation vor mir, dass Männer gesagt haben, ich setze mich nicht unter eine Kanzel, von der eine Frau predigt. Ich habe es selbst noch erlebt, als ich das Abendmahl gereicht habe: „Von einer schwangeren Frau nehme ich kein Abendmahl entgegen, weil sie unrein ist“. Und Frauen haben selbst diskutiert, ob sie Abendmahl austeilen können, wenn sie, ihre Menstruation haben. Weil dieser ganze Gedanke der Unreinheit da mitschwingt. Das hat Luther eigentlich ausgeräumt, weil er sehr klar gesagt hat, dass unser ganzes Leben, inklusive der Sexualität, Kinder gebären, Kinder erziehen, gutes Leben vor Gott ist. Das ist ein wichtiges Thema. Natürlich in allen Religionen. Ich kenne auch muslimische Frauen, die sagen, im Prinzip, wenn man den Koran so liest, wie sie es tun, dann ist das kein Problem. Aber die patriarchalen Systeme der Gesellschaften nehmen die Religion dann wieder als Vehikel, um Frauen zu kontrollieren. Für den Dialog nützt es allerdings nichts, wenn nur die Kräfte im Dialog sind, die ganz, ganz liberal sind, wir brauchen den Dialog mit der Mehrheitsgesellschaft.
Wie kommen wir aus dieser Frauenfeindlichkeit raus? Müssen wir Frauen uns stärker machen?
Frauen müssen sich in der Religion stärker machen, sich gegenseitig stützen. Das heißt, dass Frauen in der Gesellschaft oder Religion sich gegenseitig aufeinander beziehen. Man kann viel lernen. Ich habe das im Ökumenischen Rat der Kirche richtig gelernt, dass das ich bei einer Rede nicht sage, wie Hr. Prof. Dr Soundso sagte, sondern so wie Frau Soundso aus Indien gerade gesagt hat. Dass wir uns gegenseitig anerkennen. Das kann sehr viel verändern. Ich habe neulich in Berlin mit einer Rabbinerin gesprochen, sie sagt, das ist im Judentum genauso. Die Anerkennung der Frau im liberalen Judentum ist im Prinzip da, aber so wenig sichtbar.
Wenn man Ihren Werdegang betrachtet, sieht man, dass Sie sehr viele Projekte bewerkstelligt haben. Mit Erfolg. Haben Sie ein Geheimrezept, das Sie mit anderen Frauen teilen wollen?
Ein Punkt war, dass – wenn gefr
agt wurde, ob ich was mache- ich mich eigentlich zur Wahl gestellt habe. Dass ich nicht gesagt habe, „das kann ich nicht, das traue ich mir nicht zu“, auch wenn mein Herz manchmal gebibbert hat. Frauen sollten sich mehr zutrauen. Meine Mutter war Krankenschwester und die hat immer gesagt: Du musst Dich von keinem Mann einschüchtern lassen, in Unterhosen sehen sie alle gleich aus. Sie lacht. Das war ihre Erfahrung als Krankenschwester.
Frauen sollten sich mehr zutrauen, dass sie das auch können. Eine Arbeitsamtsdirektorin sagte mir: „Männer sagen immer: Das kann ich! Frauen sagen: Das weiß ich nicht, das habe ich noch nicht ausprobiert, ich muss mal gucken, ob ich das überhaupt kann.“ Da können Frauen auch einander stärken. Ich habe immer versucht, junge Frauen zu fördern, in Positionen zu bringen. Oft wird gesagt unter Frauen herrsche Zickenkrieg, das halte ich für Unfug. Ich kenne Frauen, die super gut und solidarisch zusammenarbeiten. Ich kennen auch Männer, die überhaupt nicht gut zusammenarbeiten. Es geht darum, sich zuzutrauen, zu leiten und zu führen.
Bei uns in der Redaktion stärken wir uns gegenseitig und helfen uns. Gestern abend das Event haben wir aus dem Boden gestampft. Das haben wir uns einfach mal gegönnt. Es war toll, dass Sie auch da waren.
Ja, das war doch super. Ich finde auch, dass Frauen sich mal was gönnen. Wir haben im Reformationsjahr die Frauenmahle entwickelt. Da kommen Frauen zusammen, lassen sich bedienen – bringen also nicht ihr Essen mit oder kochen selber- sondern sie werden bedient, zahlen einen gewissen Eintritt. In Deutschland gibt es das an ganz vielen Punkten, in der Kirche in der Regel. Ich war gerade bei einem in Leipzig. Die Organisatorinnen hatten gedacht, vielleicht kommt gar keiner, aber die 470 verfügbaren Plätze hätten sie doppelt besetzen können. Viele Frauen finden das toll: wir setzen uns zusammen, reden, und gönnen sich das einfach mal. Vier interessante Frauen halten eine kurze Rede. Tischreden á la Martin Luther. Frauen organisieren ja oft den Basar, backen den Kuchen, die machen das alles. Ich fand es gut zu sagen, nein, die lassen sich bekochen und bedienen. In Wittenberg waren wir 500 Frauen unter den Statuen von Luther und Melanchthon auf dem Marktplatz. Das ist einfach ein gutes Gefühl, dazusitzen und Reden zu hören von Frauen, nicht von Männern.
Manchmal muss man ein neues Format entwickeln. Wir haben gerade in Barcelona den Klub Hannah gegründet, in Anlehnung an Hannah Arendt, in dem Frauen diskutieren, sich darstellen lernen, ihre Geschichte erzählen.
Das finde ich sehr gut.
Die europäischen Sprachen sind Frauen gegenüber weiter diskriminierend. Ist es nicht an der Zeit diese Ungerechtigkeit zu beheben?
Ich bemühe mich explizit immer um inklusive Sprache. Ich glaube, dass ist Übungssache. Bei mir ist es inzwischen fast unbewusst. Ich habe mich immer darum bemüht, Frauen nicht einfach mitzumeinen, auch „man“ Sätze zu vermeiden. Das große “binnen-I“ gefällt mir allerdings gar nicht. Ich finde wir sollten sagen, Lehrerinnen und Lehrer. Die Frauen sind nicht nur mitgemeint. Die Zeit haben wir, das zu sprechen.
Europa wird von reaktionären Wellen geschüttelt. Wie sehen Sie die Zukunft Europas?
Ich wünsche mir, dass der Enthusiasmus für Europa wieder wächst, der in unserer Generation – ich nehme an, wir sind die selbe- ich nicke– sehr groß war. Ich erinnere mich an Zeiten, in denen wir in Frankreich den Pass an der Grenze vorzeigen und Geld umtauschen mussten. Dass es heute ohne möglich ist ,und gerade mit Blick auf Osteuropa, zusätzlich nach 1989. Dass wir dieses Friedensprojekt Europa eher feiern können. Ich fand den Friedensnobelpreis für Europa gar nicht so einen Fehler. Europa hat gezeigt, dass wir nach Jahrhunderten von Kriegen friedlich zusammenleben, Spanier, Polen, Franzosen, Deutsche, Belgier, Niederländer… Das ist eine großartige Errungenschaft, die vielen gar nicht bewusst ist. Andererseits tritt der heute erwähnte Präsident Macron mit einer proeuropäischen Partei an, die es vorher nicht gab, und wird gewählt. Es kommt darauf an, dass die Leute diese Begeisterung ausstrahlen. Europa ist so interessant. Ich bin zweimal in Versuchung geraten in den USA zu bleiben. Aber ich dachte, Europa ist viele spannender, man fliegt zweieinhalb Stunden von Berlin und ist in Barcelona. Du fährst mit der Bahn gar nicht weit und bist in den Niederlanden. Es ist interessant.
Sind Sie je in Versuchung geraten, in die Politik zu gehen?
Nein, das war mir immer klar. Ich bin ein paar Mal gefragt worden von Parteien oder um für Ämter zu kandidieren.
In der Politik könnten Sie doch mehr bewegen.
Nein, das glaube ich nicht. Du musst immer wissen, was Dein Beritt ist sozusagen. Schuster bleib bei Deinen Leisten. Das ist schon ein gutes Umfeld. Ich bin eine Frau der Kirche. Ich kenne mich mit Kirche und theologischen Fragen gut aus. Aber ich glaube, quereinsteigen in die Politik, das wäre meins nicht. Ich bin niemand, der sich parteipolitisch einbinden lässt. Ich liebe die Freiheit der Theologin. Ich bin sehr frei. Ich kann sagen: Was die CDU sagt, finde ich gut, oder die Grünen; was die Linke sagt, finde ich gut, oder die SDP. Das ist eine große Freiheit.
An welchem Buch schreiben Sie gerade?
Ich werde anfangen: Was heißt eigentlich Alt werden? Was bedeutet das? Ich möchte es nicht schönreden, aber ich finde, wir haben heute so viel Chancen beim Alt werden. Zwei Bücher habe ich eigentlich vor, wenn ich in Pension gehe: Über Freundschaft würde ich gern nochmal sprechen. Die Frage der Freundschaft ist mir ungeheuer wichtig im Blick auf mein Leben. Das sagen übrigens auch Therapeuten. Meine Freundin, eine Therapeutin sagt: Die Paarbeziehung kann die Versprechen, die auf ihr liegen, nicht einlösen. Aber Freundschaften überdauern vieles.
Fr. Prof. Dr. Käßmann, ich danke für dieses sehr offene Gespräch.
Von Ina Laiadhi
Schlagwörter: Biografisches, Frauen