Kultur ist Demokratie relevant
Interview mit dem Ex.Innenminsiter Gerhart Baum.
Als ich letztes Jahr die Anfrage von Adolfo Wirtzfeld bekam, ein Interview mit seinem Freund, dem Ex- Innenminister Gerhart Baum zu organisieren, war ich hellauf begeistert. Wirtzfeld ist seit 35 Jahren Mitglied im Lions Club, 20 davon im Lions Club Barcelona, in dem sich die ehrenamtlichen Mitglieder für eigene, internationale Hilfsprojekte einsetzen. Der Taschenspiegel berichtet von seiner jährlichen Wohltätigkeitsgala. Internationales Networking wird hier wie dort großgeschrieben.
Der in 1932 Dresden geborene Politiker (FDP), Intellektuelle und Jurist Baum ist in Politik, Gesellschaft und Kultur stark engagiert. Hier nur eine Auswahl. Von 1978 bis 1982 ist er Bundesinnenminister im Koalitionskabinett von Helmut Schmidt. Von 1992 bis 1998 leitet er die deutsche Delegation bei der UN-Menschenrechtskommission. Auch nach seinem Ausscheiden aus der aktiven Politik setzt sich Baum weiter für den Schutz von Bürgerrechten ein, um deren Einschränkung durch staatliche Überwachungsmaßnahmen zu verhindern sucht. Baum zählt zu den Initiatoren der Charta der Digitalen Grundrechte der Europäischen Union von 2016. In seinem kulturellen Engagement setzt er sich unter anderem für die Förderung der so genannten Neuen Musik ein. Was lange währt, wird endlich gut, Ende Mai beantwortete Gerhart Baum uns einige Fragen.
Hat der Liberalismus heute seinen Platz? Was sind die Grundlagen des Liberalismus?
Liberalismus nimmt Partei für Menschenwürde durch Selbstbestimmung. Er tritt ein für den Vorrang der Person vor der Institution. Er nimmt Partei für Fortschritt durch Vernunft. Er handelt nach dem Grundsatz „Die Gesellschaft sind wir alle“. Ethische Fundierung, Gerechtigkeit, Zusammenhalt der Gesellschaft sind für ihn unverzichtbar. Er handelt aber auch nach dem Grundsatz „Die Staat darf nicht alles“. Liberalismus hinterfragt Einschränkungen des Staates im Hinblick auf ihre Notwendigkeit und auf ihre Wirkung auf die Freiheit.
Eine der Säulen des Liberalismus ist eine freie, marktwirtschaftliche Wirtschaftsordnung, die sich an sozialen Prinzipien zu orientieren hat. In der Zeitenwende der digitalisierten Globalisierung versucht Liberalismus einer politisch ungebändigte Ökonomisierung Grenzen aufzuzeigen, dort wo der Markt zur Gefährdung der Freiheit wird. Liberalismus sieht die Gefahr, dass Globalisierung und jetzt auch Corona Ängste auslösen, die die Menschen dazu verführen können, sich von der Freiheit abzuwenden. Ich war mein Leben lang Umweltpolitiker, auch als Innenminister zugleich Umweltminister: wir müssen es schaffen, im Einklang mit der Natur zu leben.
Liberalismus verteidigt die Bürger- und Menschenrechte. Liberalismus setzt sich für eine Bildungspolitik ein, die Aufstiegschancen eröffnet.
Wie lesen Sie den Rechtsextremismus in Europa?
Er ist eine große Gefahr. In Deutschland war nach dem Krieg Demokratiefeindlichkeit noch nie so stark wie heute – und das geht bis in die Mittelschichten hinein. Die demokratiebewußte Mehrheit muss sie noch energischer verteidigen.
Wie sieht Ihre Pädagogik aus, um jemandem zu helfen, aus dem Extremismus herauszukommen?
Prävention, Prävention! Gute Konzepte sind hierzulande entwickelt, um zu verhindern, dass jemand zum Täter wird.
Fünf Jahre nach der humanitären Notsituation, oft auch „Flüchtlingskrise“ genannt, wie sieht die Bilanz heute aus? Ist die Willkommenskultur inzwischen in der deutschen Gesellschaft verwurzelt?
Das Flüchtlingsproblem wird noch Generationen von Europäern herausfordern. Der Zustrom von 2015 ist gut verkraftet. Wir brauchen unabhängig davon, ein Zuwanderungsgesetz, sonst kommt unsere Wirtschaft nicht in die Zukunft.
Der Brexit hat eine Bresche in die europäische Mauer geschlagen. Was braucht es, um zu vermeiden, dass das Haus Europa zusammenfällt?
Was Merkel, Macron und von der Leyen jetzt auf den Weg gebracht haben, dieses Programm das in die Zukunft einer wirklichen auf Solidarität gegründeten Wirtschaftsunion weist, ist ein Meilenstein. Europa muss stark sein. Um im Kräftespiel der Mächte bestehen zu können.
Man sagt, dass hinter jedem starken Mann eine Frau steht. Wie finden Sie das?
Und umgekehrt!
Ist die Kultur vom Coronavirus befallen?
Sie ist in großer Gefahr. Von vielen wird sie eher als Luxus angesehen, aber sie ist demokratierelevant.
Oftmals wird die aktuelle Pandemie als Brennglas für gesellschaftliche (Fehl-) Entwicklungen bezeichnet. Teilen Sie diese Ansicht und was wurde aus Ihrer Sicht durch Corona besonders vergrößert?
Fehlentwicklungen, Maßlosigkeiten, schlechte Geschäftspolitiken, etwa in der Automobilindustrie, die die Zukunft verschlafen hat, werden nun sichtbar. Hoffentlich werden wir alle in Zukunft bewusster leben und uns auf das wesentliche konzentrieren. Zeit zum Nachdenken hatten wir ja.
Die Corona-Krise hat die Verbundenheit der Deutschen mit ihrer Freiheit gezeigt. Glauben Sie, dass die Freiheiten in Gefahr sind?
Nein, nicht durch die Anti-Corona-Maßnahmen. Sie halten sich im Rahmen der Verfassung und werden von Gerichten kontrolliert.
Herr Baum, wir danken Ihnen, dass Sie sich die Zeit für das Interview genommen haben.
Von Ina Laiadhi, Mai 2020
Prinstcreen Magazin Monitor 10.2019: https://www.youtube.com/watch?v=fX787Yk82qw
Schlagwörter: Europa