Murillo – der vergessene Star des Barock
Bartolomé Esteban Murillo (1617 Sevilla -1682 ebd.) war der berühmteste Maler in Sevilla im 17. Jahrhundert. Er gehörte neben Velázquez (1599 Sevilla – 1660 Madrid) zu den ganz großen Barockmalern Spaniens. Bis weit ins 19. Jahrhundert zählte er zu den beliebtesten Malern in ganz Europa. Heute ist er eher bei der älteren Generation bekannt, die Jugend kann wenig mit seinem Namen und seinem Stil anfangen. Woran liegt das? Sicher nicht an seinem herausragenden Können und seiner exquisiten Malkunst.
Murillos Frühwerk ist stark von Francisco de Zurbarán (1598 – 1664) und dessen Betonung auf Hell und Dunkel beeinflusst, aber auch durch die frühen Werke von Velázquez, als dieser noch in Sevilla lebte und arbeitete. Sein erster bedeutender Zyklus von 11 großformatigen Arbeiten entstand schon 1645 für den Kreuzgang des Klosters San Francisco in Sevilla.
Ein Aufenthalt in der Zeit um 1648-1650 in Madrid änderte seinen Stil nachhaltig. Durch das Studium der Werke von Rubens, van Dyck und dem reifen Werk von Velázquez entwickelte er eine warme Farbigkeit in sanftem Licht und eine weichere Modellierung seiner Figuren. 1660 war er Mitbegründer der ersten Malakademie in Sevilla, deren Präsident er wurde. Er erhielt zahlreiche Aufträge von Kirchen und Klöstern in Sevilla, porträtierte dort aber auch die Aristokratie und die reichen Kaufleute. Sevilla war eine reiche Stadt, damals eine der führenden Handelsstädte in Spanien, die besonders durch den lukrativen Handel mit den Kolonien zu großem Wohlstand gekommen war.
Murillo war ein zutiefst frommer Mann. Mit seiner Frau verband ihn eine innige Beziehung, was von nicht vielen berühmten Malern seiner Zeit behauptet werden kann. Ihr Tod 1663 traf ihn hart und er konnte ein Jahr lang nicht malen. Durch diesen Verlust wurde seine Religiosität noch stärker und er trat dem Orden der Barmherzigen Brüder bei. Murillo fokussierte sich in seinem Spätwerk fast ausschließlich auf religiöse Themen.
Was macht sein Werk aus?
Murillo ist ein herausragender Kunsttheoretiker und er beherrscht die Technik des Malens. Seine Figuren, insbesondere seine Madonnen, bestechen durch eine makellose Schönheit. Er versteht es, die Realität seiner Darstellung mit einer inneren Spiritualität zu verbinden. Armut, Not und Elend werden durch ihn auf eine religiöse Ebene gehoben und verlieren dadurch ihren Schrecken. Seine berühmten Genreszenen mit Darstellungen von Kindern aus dem Volk sind streng nach kunsthistorischen Gesetzen konstruiert und dienten wohl auch als Lehrstücke seiner Akademie. Später fanden sie große Bewunderer besonders im Norden Europas. Sie sind dort heute in namhaften Museen zu besichtigen. Zudem ist er ein Wegbereiter des Rokoko. Er nimmt durch das zarte Sfumato seiner Figuren und in bestimmten Details in Form und Ausdruck die neue Epoche voraus.
Warum sind Murillo und sein Werk heute aber so ‚unmodern’? Ist es zu weich, zu religiös, zu schön, zu wenig spektakulär? Es gibt viele Gründe, wieso ein/e Künstler*in gerade ‚out’ oder ‚uncool’ ist. Auch hier bestimmt ein geschicktes Marketing die Beliebtheit und Berühmtheit. Große Ausstellungen und Publikationen können eine/n Künstler*in in der Beliebtheit nach oben katapultieren. Gerade erfährt Goya einen solchen ‚Hype’. Seine gemalten Gefühlswelten seiner grausamen Realität sprechen das Publikum an. Caravaggio, der ‚Barockberserker’ war lange einer der größten Lieblinge der Kunstszene. Auch Murillo hat nicht nur Erfolg und Wohlstand erlebt. Neben dem Tod seiner Frau erlebte er auch Not, Armut und Krankheit in seiner Stadt. 1649 raffte die Pest die Hälfte der Bevölkerung in Sevilla dahin. Der zutiefst gläubige Murillo stellt auch seine Realität dar, die ebenfalls immer eine innere Schönheit besitzt. Um die Missstände in der Gesellschaft anzuzeigen, ist sein Stil tatsächlich zu weich, sind seine bettelnden Kinder zu anrührig und schön. Murillo wird wieder entdeckt werden. Die Kunstgeschichte und der Kunstmarkt leben von Wellenbewegungen. Er verdient eine kritische Aufarbeitung und Auseinandersetzung, losgelöst von dem Image des meistkopierten Künstlers auf Keksdosen zu sein, den die Jugend nicht mehr kennt.
Von Gabriele Jahreiß, Kunsthistorikerin, Dezember 2021
Schlagwörter: Kultur