Unschlagbarkeit ist eine Geisteshaltung
Ich treffe Dr. Oliver Greiner auf einer luftigen Terrasse hoch oben über Barcelona mit einem wunderbaren Blick auf die Skyline von Barcelona, aus der die emblematischen Wahrzeichen der Stadt wie Miniaturen hervorragen. Es ist in ganz Europa der heißeste Juni-Tag seit Wetteraufzeichnungen. Welche Veränderungen wird es hier in 20 Jahren geben? Der Klimawandel ist greifbar nah.
Die Menschen haben Angst vor der Zukunft, sobald man davon spricht. Was ist die Zukunft für Sie?
Zukunft ist für mich an allererster Stelle Freude auf das Neue und Hoffnung auf das Bessere. Ich kann das Angstthema verstehen, weil Zukunft immer mit Unsicherheit einhergeht. Gerade wenn es einem jetzt gut geht, fragt man sich: „Wird es mir auch in Zukunft gut gehen?“ Für die, denen es nicht so gut geht, bedeutet Zukunft etwas anderes. So oder so: Zukunft lässt sich nicht vermeiden, sie wird kommen. Deshalb denke ich, man sollte mit Optimismus an die Zukunft rangehen.
Viele Leute sagen, früher war alles besser. Können Sie uns bestätigen, dass es morgen besser sein wird?
Der Gedanke, dass in der Vergangenheit alles besser war, kommt aus dem, was wir in der Vergangenheit kennengelernt haben und vielleicht dann vermissen. Vor 300 Jahren wurde das aber auch schon gesagt. Oder vor 150 Jahren. Oder eben jetzt. Dabei geht es uns in so vielen Bereichen doch viel besser als früher. Da braucht man nur an Themen wie Gesundheit, Erziehung, die Rolle der Frau zu denken. Allerdings dürfen wir auch nicht die Augen verschließen vor Dingen, die vielleicht doch besser waren. Beispielsweise denke ich, dass die Gesellschaft leider viel individualistischer geworden ist. Früher, als wir nicht die logistischen Möglichkeiten und digitalen Ablenkungen wie heute hatten, lebte man in viel engerem Austausch mit seiner Gemeinschaft. Man traf sich sonntags in der Kirche oder wirkte bei Dorffesten mit. Das waren sehr kommunikative Austauschpunkte. Veranstaltungen, wo versucht wird, solche persönlichen Treffen wieder aufleben zu lassen, finde ich deshalb sehr wertvoll.
Innovation ist zum Modewort verkommen. Was oder wie innovieren Sie?
Ganz so schlimm ist es mit dem Modewort nicht. Innovation ist etwas Zeitloses, weil Menschen immer schon nach der Verbesserung und der Weiterentwicklung gesucht haben. Ich selbst habe das Glück, dass ich beruflich häufig Geburtshelfer von Innovationen sein darf. Jeder Mensch ist per se innovativ oder kann es sein, spielt es das aber häufig nicht aus. Warum? Weil er sich schämt, Dinge auszusprechen. Je ungewöhnlicher die Idee, desto mehr schämen wir uns, sie auszusprechen. Weil irgendjemand sagen könnte, dass so ein Unsinn nicht funktioniert. Wir helfen Ideengebern, die Dinge so konkret zu machen, dass sie tatsächlich umgesetzt werden können. Eine Innovation ist immer nur so gut, wie sie auch praktisch umgesetzt bzw. nachgefragt wird. Die Kultur des Tüftelns und Ausprobierens ist durch das Start-Up Phänomen erfreulicherweise wieder in voller Blüte.
Ab wann kann man bei einer Idee von einer Innovation sprechen?
Eine Idee wird zu einer Innovation, wenn sie einen Markt und einen Abnehmer findet. Ansonsten sind wir bei Erfindungen. Je größer der Abnehmerkreis, umso größer die Innovation. Das Smartphone z.B. war eine gewaltige Innovation. Albert Einstein soll mal gesagt haben: „Eine wirklich gute Idee erkennt man daran, dass ihre Verwirklichung von vorn herein ausgeschlossen ist.“ Es ist einer meiner Lieblingssprüche. Er lacht.
Gibt es Domänen, wo Innovationen keinen Sinn machen?
Eine ganz spannende Frage. Darüber habe ich ehrlicherweise noch nie im Detail nachgedacht. Es fällt mir spontan auch kein Bereich ein, wo Innovationen keinen Sinn machen würden. Das hieße ja, dass es Bereiche gibt, die so perfekt und so ausgearbeitet sind, dass wir möglichst nichts mehr daran ändern sollten. Irgendwie wäre es doch sehr schade, wenn wir jetzt schon Bereiche finden würden, die so gut sind, dass wir daran nichts mehr ändern sollten.
Wie sieht es mit religiösen Gemeinschaften aus?
Kirche ist ein tolles Beispiel eines Bereiches, welches eben nicht stehenbleiben darf, sondern sich dringend weiterentwickeln muss. Es gibt Hochrechnungen, wie viele Leute in 20, 30 Jahren noch zur Kirche gehen oder zumindest ihre Kirchenbeiträge zahlen werden. Der Vektor geht im Steilflug nach unten. Die Kirche muss darüber nachdenken, wie sie anders und besser werden will, um in unserer heutigen Zeit in der Gesellschaft verankert zu bleiben. Dabei macht mir Hoffnung, dass Religion und Kirche eigentlich immer schon den Funken der Innovation in sich getragen haben – wenn sie es zugelassen hat. Alle Religionsstifter waren Revoluzzer, die gesagt haben: wir müssen etwas anders und besser machen. Ihre Botschaft war innovativ, weil sie eine neue Logik hatten. So gesehen war z.B. Jesus bestimmt sehr innovativ. Nächstenliebe in Zeiten zu predigen, wo uneingeschränkt die Macht des Stärkeren herrschte, war außergewöhnlich – aus meiner Sicht ein echter „göttlicher Funke“.
Was ist das größte Hindernis bei Innovationen? Mangel an Geld, Brain oder Politik?
Das größte Hindernis sind immer wir selber, weil wir uns selber im Weg stehen. Wenn wir Ideen haben, die wir ausprobieren wollen, dann reden wir uns gern ein, dass das nicht funktioniert, dass man die Finger davon lassen sollte. Wir trauen uns nicht richtig ran. Wenn jemand von einer Innovation beseelt ist, – das zeigen auch die großen Gründer – dann lassen sie sich durch nichts aufhalten. Natürlich ist es dann manchmal schwer, das Geld oder die Leute zu finden, um eine Idee auf den Markt zu bringen. Und dennoch wiederhole ich er gern: Die eigentlichen Hindernisse liegen immer nur in uns selber.
Elektromobilität wird als ein großes Bespiel für eine Innovation unserer Zeit gehandelt. Was bedeutet Elektromobilität für Sie?
Elektromobilität ist für mich vor allem die Abkehr davon, fossile Brennstoffe aufzubrauchen. Es gibt sehr viele Möglichkeiten, wie solche Antriebe aussehen können. Materialien, die die Natur über Millionen von Jahren in die Erde gelagert hat, sollten wir unserer Umwelt und somit unserer Zukunft zuliebe nicht weiter verpulvern. Die Energie, die wir für unsere Mobilität benötigen, können wir in letzter Konsequenz vollständig aus der Kraft gewinnen, die uns das Universum regelmäßig in großen Mengen zur Verfügung stellt – ob Sonnenenergie, Windenergie, oder ähnliches.
Aber die Nutzung von Energie aus Braunkohlekraftwerden zur Batterieherstellung in China kann das nicht leisten.
Im industriellen Kontext haben wir erst seit 10 Jahren die Elektromobilität, da sind natürlich noch nicht alle Produktionsprozesse optimal. Tatsächlich ist die Herstellung einer Batterie heute noch sehr umweltbelastend, aber das ändert sich schnell. Kobalt ist zum Beispiel ein kniffliger Rohstoff in einer Batteriezelle, auch weil er aus Ländern kommt, wo nicht immer nach Menschenrechtsstatuten gearbeitet wird. Doch die Nutzung von Kobalt in Batteriezellen für Automobile ist allein in den letzten 10 Jahren um 60-70% zurückgegangen. Wir werden sehr schnell sehr viel effizienter werden. Mir geht es um das Grundsätzliche: wir müssen von fossiler Verbrennung wegkommen! Jeder Liter Benzin, den wir verbrennen ist unwiederbringlich verloren und schadet der Umwelt. Ich nehme lieber die Geburtsschmerzen der neuen Technologie in Kauf als alternativlos der Verbrennung unserer Rohstoffe zuzuschauen.
Gibt es aktuelle, verlässliche Prognosen, wann e-Autos im großen Umfang in den Städten zu sehen sein werden?
Es gibt verschiedenen Hochrechnungen. Spannend ist der Punkt, an dem es mehr Neuzulassungen von E-Autos als von Verbrennern gibt. Ich hatte vor zehn Jahren mal die Hoffnung, dass dies bis 2020 kommen würde, habe mich aber sehr getäuscht. Meine Hoffnung ist jetzt, dass es zwischen 2025 und 2030 erreicht wird. Die Automobilindustrie kommt gerade mit einer sehr großen Palette an e-Mobilen auf den Markt. Heute sind diese im Vergleich zu einem Verbrenner noch zu teuer. Das wird sich aber in den nächsten Jahren ändern, auch wenn die Bereitschaft der Gesellschaft und der politische Wille dafür stärker wird. In Norwegen, wo es sehr großzügige regulatorische Regelungen gab, k
ommen zum Beispiel auf gut fünf Millionen Einwohnern über 400.000 E-Autos, in Deutschland sind es aktuelle gerade mal etwas über 150.000.
In Ihrem jüngsten Buch „Touchdown“ stellen Sie Strategien für Unternehmen vor. Wie sieht ein Modell-Unternehmen aus?
Ein Vorbildunternehmen beherrscht drei Dinge: Erstens hat es einen klaren Erfolgsvektor – das Unternehmen weiß, wofür es da ist und wo es hinwill. Gerade ein klares Verständnis des Mehrwertes, welches das Unternehmen für seine Gesellschaft bietet, erscheint mir für den langfristigen Erfolg fundamental. Häufig geht dieses Bewusstsein in der operativen Hektik verloren. Das Zweite ist die Auseinandersetzung mit der Frage, in welchen Bereichen das Unternehmen heute zur Erreichung seines Auftrages anders als seine Wettbewerber ist und in Zukunft anders werden möchte. Nur so bleibt das Unternehmen aus Sicht seiner Kunden etwas Besonderes. Und der dritte Punkt ist, dass ich meine Mitarbeiter, meine Führungskräfte, meine Belegschaft mitnehmen muss, dass ich mich kontinuierlich anstrenge, besser zu werden: dass wir z.B. die Prozesse im Griff haben oder wir die Kunden richtig bedienen. Dann wären Unternehmen meines Erachtens unschlagbar.
Unschlagbar?
Er lacht. Natürlich ist niemand unschlagbar. Goliath, AEG, Kodak, oder Fußballmannschaften dachten, sie wären die größten und sind dennoch geschlagen worden. Unschlagbarkeit ist für mich kein Zustand, sondern eine Geisteshaltung. Wenn man erfolgreich sein will, dann sollte man nicht denken: Oh, vielleicht können wir geschlagen werden?! Nein, man sollte mit einer sehr positiven Energie daran gehen: Wir sind richtig gut und wir lassen uns nicht schlagen.
Im wirtschaftlichen Kontext würde ich dabei jedem Unternehmer – ob Kioskbesitzer oder Konzernlenker – immer Bescheidenheit anraten und im Sinne von neuen Entwicklungen, Neugier walten zu lassen. Das größte Risiko ist, dass wir stehen bleiben, weil wir denken, wir sind schon so wahnsinnig gut. Arroganz ist für langfristigen Erfolg ein großes Problem. Ich bewundere dagegen Führungskräfte, die zuhören können. Das können leider nicht viele, weil sie noch von einem hierarchischen Modell geprägt sind, dass sie als hochbezahlte „Chefs“ Antworten zu allen möglichen Themen bereit haben müssten. Ich glaube, das ist zu viel verlangt und nicht richtig. Die Fähigkeit zuzuhören, ob Kollegen, Kunden, Lieferanten oder Beratern, sich ein Bild zu bilden und dann zu entscheiden, ist das eigentlich wertvolle. Oder wie jemand mal zu mir sagte: Demokratie der Meinung, Tyrannei der Entscheidung!
Gibt es eine Kooperation in der Domäne der Innovation zwischen Deutschland und Spanien?
Wenn man sich die Zusammenarbeit zwischen den vielen Forschungsinstituten anschaut, dann kann man sagen, dass wir auf europäischer Ebene sehr weit gekommen sind. Auch zwischen Spanien und Deutschland. Der Gedanke der Partnerschaft ist stärker geworden, weil viele Unternehmen einsehen, dass sie nicht alles selber beherrschen können. Könnte das mehr passieren? – auch zwischen Spanien und Deutschland – wahrscheinlich. Als Staaten sind wir weiter nationalistisch geprägt und haben viele eigene Regelungen, das ist auf der Ebene der Zusammenarbeit nicht immer förderlich.
Gibt es Länder, die besonders innovativ sind?
Allen Unkenrufen zum Trotz: ich halte Deutschland für ein innovatives Land! Die hohe Zahl der Patentanmeldungen kommt nicht von ungefähr und auch die deutsche Exportquote von über 50% liegt zum guten Teil an fortschrittlichen Produkten. Allerdings gibt es natürlich auch andere Regionen, die bei denen die Lust am Neuen besonders ausgeprägt ist. Das Silicon Valley ist ein Parade-Bespiel für kreatives und unbändiges Unternehmertum. Und viele Länder in Fernost, von Japan über Südkorea bis hin zu China, sind nicht mehr nur reine „Kopisten“ sondern durchaus Treiber von neuem.
Im digitalen Umfeld kann man mit einem Laptop in der Hand inzwischen ganze Branchen auf den Kopf stellen. Gerade in der Beherrschung dieser neuen Medien, Stichwort u.a. „Künstliche Intelligenz“ dürfen wir uns als Europäer nicht den Schneid abkaufen lassen.
Herr Dr. Greiner, wir danken für den sehr interessanten Gedankenaustausch.
Von Ina Laiadhi
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Schlagwörter: Moderne Welt