Viel Raum für Persönlichkeitsentwicklung

Der neue Schulleiter der DSB Michael Röhrig
Interview mit Michael Röhrig, Schulleiter an der Deutschen Schule Barcelona seit August 2025
Von Ina Laiadhi, Katrin J. Wagner, September 2025
An einem der letzten warmen Sommerabende treffen wir Michael Röhrig, den neuen Schulleiter der DSB, in seinem Büro. Beim Fototermin vor dem Schulgebäude begegnen wir auch kurz Elmar Jakobs, dem neuen Generalkonsul, der zur Teilnahme an einer Vorstandssitzung gekommen ist und ebenfalls seit August im Amt ist.
Erzählen Sie uns von Ihren Erfahrungen an den verschiedenen Schulen, an denen Sie gearbeitet haben.
Meine erste Schule war im November ‘91 eine Sprachschule in Barcelona. (Er lacht) Ich gab damals Deutsch als Einzelunterricht und mit meinem ersten Schüler bin ich heute noch befreundet. Ich war nach meinem vorherigen dualen Wirtschaftsstudium bei der BASF AG eigentlich auf einer ganz anderen Spur unterwegs. Während meines anschließenden Aufenthaltes in Barcelona – ich belegte damals das einjährige Programm „Estudios Hispánicos“ an der UB – fing ich an, Deutsch zu unterrichten, um Geld nebenbei zu verdienen. Ich stellte fest, dass ich sehr häufig schlechter gelaunt in die Deutschstunde rein ging als wieder rauskam. Da wurde mir klar, dass das eine tolle Tätigkeit für mich war! Zurück in Deutschland habe ich dann ein Studium auf Lehramt begonnen.
Deshalb sprechen Sie auch so gut Katalanisch und Spanisch, wie wir in Ihrem Willkommensvideo gesehen haben.
Ja, das kommt aus dieser Zeit. Ich habe ein Jahr Katalanisch intensiv gelernt. Und habe sehr viel Sympathie für das Land entwickelt.
Nach meinem Studium habe ich in Marburg das Referendariat an der Martin-Luther-Schule gemacht, wo ich dann 13 Jahre unterrichtet habe. 2008 bin ich in die Lehrkräfteausbildung gegangen, wo ich für Deutsch und Neue Medien im Rahmen des Referendariats ausgebildet habe.
Meiner Frau und mir war immer klar, dass wir mit der ganzen Familie ins Ausland gehen wollten. 2013 war es dann soweit. Ich bin für sechs Jahre Schulleiter an der Pestalozzi-Schule in Buenos Aires geworden, wo ich die argentinische Sprache und Kultur kennengelernt habe. Danach war ich sieben Jahre Leiter des Studienseminars für Gymnasien in Marburg. Danach war ich gespalten, ob ich nochmal ins Ausland gehen wollte, weil es doch auch bei den ADLK* und den Schulleitungen viele gemischte Erfahrungen gibt. Nicht immer sind alle von ihrem Aufenthalt begeistert zurückgekommen. Wir hatten jedoch viel Glück in Buenos Aires gehabt und waren sehr schnell sehr gut integriert worden. Deshalb wolte ich das Glück nicht ein zweites Mal herausfordern. Aber irgendwann hat uns die Lust dann doch wieder gepackt, in ein anderes Land zu gehen.
Ist es für Sie eine Auszeichnung, in Barcelona gelandet zu sein?
Ja, sehr! Es gab, wie ich gehört habe, sehr viele Bewerbungen. Die DSB ist natürlich eine tolle Schule. Man ist als Schulleiter, glaube ich, gut beraten, wenn man sich eine Schule und keine Stadt aussucht, weil das sekundär ist. Die Deutsche Schule Barcelona hat unter den Schulleitungen einen sehr guten Ruf. Das war für mich entscheidend. Es hat mit dem Vorstand, der Arbeit an der Schule und ihrem Leitbild zu tun. Barcelona ist natürlich kein Negativpunkt (er lacht), aber wenn ich an eine Schule komme, die mit meinem eigenen Leitbild nicht übereinstimmt, dann wird es schwierig.
In Ihrem Video-Grußwort sprechen Sie von realitätsnaher Erziehung. Was sind heute die Werte einer modernen Schule?
Realitätsnah heißt für mich: Es ist gut, dass es einen Lehrplan gibt. Manchmal wissen die Kinder und Jugendlichen nicht, dass sie sich für etwas interessieren, deshalb müssen sie auch an neue Themen herangeführt werden. Es ist Aufgabe der Schule, den Schülern und Schülerinnen neue Horizonte zu eröffnen, Interesse zu schaffen. Dafür ist ein fester Kanon wichtig. Aber gleichzeitig brauchen wir auch Freiräume, um mit den Schülerinnen und Schülern möglichst realitätsnahe Projekte auch außerhalb der Schule durchzuführen, denn die Schule soll ja auf das Leben vorbereiten und nicht nur auf die nächsten Prüfungen.
Ist denn dafür überhaupt Platz da? Denn die Vorgaben für G8 vom Kulturministerium sind sehr eng.
Ja, das schaffen wir. Wenn staatliche Schulen das in Deutschland schaffen, die den Lehrplan einhalten müssen, dann schaffen wir das auch. Es ist wichtig, dass die Kinder und Jugendlichen sich auch selber realitätsnah entwickeln können. An der DSB gibt es bereits viele Projekte. Mit der erweiterten Schulleitung und den Lehrkräften wollen wir das noch weiterentwickeln. Wenn wir dafür keine Zeit haben, dann werden wir nicht dazu beitragen, dass unsere Schülerinnen und Schüler verantwortungsbewusste, selbstbewusste, Entscheidungen suchende und findende Menschen werden, die sich auch mal durchwurschteln durch ein Projekt, daran scheitern, aber auch wachsen an den Misserfolgen. Es ist wichtig, diesen freien Raum zur Persönlichkeitsentwicklung zu haben. Das hat auch etwas mit Demokratieerziehung zu tun. Das Miteinander trägt mehr dazu bei, dass wir verantwortungsvolle, empathische, junge Menschen wachsen lassen.
Die Schulgemeinschaft besteht aus verschiedenen „Interessengruppen“. Wie kann die Integration – auch sprachlich – gut funktionieren?
Eine Schule muss wissen, wofür sie steht, wofür es sie gibt, warum sie aus dem Umfeld gewählt wird. Da sind die Institutionen immer gut beraten, den eigenen Werten treu zu bleiben. Nicht, dass sich das nicht ändert. Aber man muss das, wofür man steht, nicht einfach so über den Haufen werfen. Sonst wird man unglaubwürdig als Ausbildungsinstitution. Auf der einen Seite sind es die Eltern, die uns wählen und mitbestimmen, was hier gemacht wird. Auf der anderen Seite gibt es die Schule, die ein Angebot macht. Und dieses Angebot kann sich nicht nur nach den „Kunden“ richten, sondern vertritt eine Art „Marke“, die Vertrauen schafft. Diesen Spagat muss man leisten. Man muss das offen und transparent vertreten, damit die Familien, die neu sind, das auch verstehen.
Unser Leitbild steht neben einer exzellenten akademischen Ausbildung für Begegnung, Engagement, Selbständigkeit, Verantwortung, und dafür, dass wir in dem weltoffenen Barcelona junge Menschen zu Weltbürgern erziehen, die das große Ganze sehen und mitgestalten.
Das Internet, die sozialen Netzwerke, sie alle wollen einen Beitrag zur Bildung leisten. Ist das eine Konkurrenz zur Schule oder ist es komplementär?
Eine AI-Plattform hat ein Ranking darüber erstellt, welche Berufe mit fortschreitender künstlicher Intelligenz wegfallen werden und welche eher nicht. Stenotypist, Programmierer oder Übersetzer sind gefährdet. Unter den letzten 10 Plätzen stehen der Pianist oder der Skilehrer, etwas weiter oben kommen die anderen Lehrer. Selbst die AI sieht also nicht, dass das Lernen, die Bildung abgeschafft wird. Ich fühle mich nicht bedroht.
Es wird viel in künstliche Intelligenz investiert. Sehen Sie darin eine Gefahr für die Schule?
Es wird sehr viel investiert, aber eine Gefahr ist das nicht. Würden Sie Ihre Kinder an eine Schule schicken, an der keine menschlichen Lehrer arbeiten? Ich möchte, dass meine Kinder mit Menschen arbeiten und lernen, Mensch zu werden. Das wird sich nur in Nuancen ändern. Die menschliche Beziehung wird auch weiter für die Eltern wichtig sein.
Eine kritische Bemerkung dazu: Es ist natürlich ein Anspruch der Eltern, dass die Lehrer das auch so vermitteln können. Es gibt sehr viele „Lehrerschmidt“** im Netz, die besser erklären können als der Lehrer, der in der Schule steht. Es gibt inzwischen überall Nachhilfeangebote.
Das und die KI wird natürlich das Lernen in den Schulen verändern. Es geht dabei häufig um das Lernen von faktischem Wissen. Das ist nur oneway momentan. Es gibt seit Jahrzehnten tolle Videoplattformen, die Dinge besser erklären als viele Lehrkräfte, aber auch manchmal schlechter. Natürlich sollen die Schüler die guten Lehrerschmidts nutzen. Das ist ein sehr gutes Add-on. Trotzdem werden die Kinder nicht 40 Stunden zu Hause sitzen und sich Videos angucken. Sie werden auch langfristig in die Schule kommen, um in einem sozialen Zusammenhang zu lernen. Aber Sie haben recht, die Schule muss sich verändern, darum kommen wir nicht herum.
Bei der Persönlichkeitsentwicklung wird es dann schwierig mit solchen Plattformen. Das muss in der Schule einen größeren Raum erhalten. Das Lernen von Inhalten und Stoff wird abnehmen. Ich bin felsenfest davon überzeugt, dass die Sozialisierung und die Verantwortungsübernahme Kern der Schule bleiben. Wie will man denn Empathie lernen, wenn man den ganzen Tag alleine vor einem Rechner lernt? Man muss in die Interaktion gehen: zusammen scheitern, Erfolg haben, glücklich sein.
Sie haben an mehreren Schulen gearbeitet. Bilden deutsche Schulen europäische Bürger und Bürgerinnen aus?
Ich fände es toll, wenn dies deutlicher im Fokus stehen würde. Es geht auch darum, ob das Auswärtige Amt weiterhin die Auslandsschulen mit ausreichend finanziellen Ressourcen ausstattet. Wenn Friedrich Merz sagt: „Europa ist die Zukunft“, dann sind die deutschen Schulen in Europa sicherlich gute Institutionen, um diese Botschaft in der Breite in die nächsten Generationen zu tragen. Ich bin glühender Europa-Fan, weil ich in einer faszinierenden Zeit aufgewachsen bin, wo wir für Europa brannten. Jetzt hat man sich daran gewöhnt, was man alles hat.
An der DSB sehe ich nur offene Türen bezüglich dieses Themas. Aber lassen Sie mich noch einen Punkt ergänzen: Mein Studienseminar war das erste gymnasiale Studienseminar in Deutschland, das sich bewusst dem Netzwerk der UNESCO-Schulen angeschlossen hat. In Deutschland gibt es inzwischen viele Schulen mit solch einer Ausrichtung. Die UNESCO vertritt über den europäischen Kontext hinaus eine Ausbildung mit einer globalen Perspektive. Die nächste Generation wird lernen müssen sich in diesem Zusammenhang sicher und selbstbewusst zu bewegen.
Welche Schwerpunkte werden Sie als Schulleiter setzen?
Wenn ich sie setzen dürfte, dann wäre mein Schwerpunkt die UNESCO-Ausrichtung. Aber auf mich kommt es nicht so sehr an. In Argentinien habe ich gelernt, dass es weniger darum geht, was ich als Schulleiter „setze“, sondern darum, dass die Projekte auch nach meinem Weggang noch Bestand haben. Ich bin ja eigentlich nur ein Gast und Unterstützer in leitender Funktion. Ich bin mir sicher, dass wir zusammen mit dem Vorstand, den Familien, der Verwaltung und natürlich den Lehrkräften nachhaltige Entwicklungsschwerpunkte verwirklichen können.
Welche Herausforderungen stehen der DSB in den kommenden Jahren ins Haus?
Haben Sie Erfahrungen als Krisenmanager? Dass die freiwillige finanzielle Förderung des Bundes weggefallen ist, ist ein großes Thema.
Ja, auf der einen Seite bekommen wir Geld aus Deutschland, wofür die Schule sehr dankbar ist. Viele wissen jedoch nicht, dass es nur ein relativ geringer Prozentsatz unseres Budgets ist ist. Den Riesenanteil stemmt die Elternschaft der DSB-Gemeinde über die Schulquoten selbst. Es war natürlich ein harter Schlag, als die freiwillige finanzielle Förderung des Bundes weggefallen ist. Die DSB musste reagieren, das war sehr schmerzhaft. Wir werden um jeden Euro aus Deutschland kämpfen, um damit die Elternschaft in Gänze entlasten zu können.
Ich hoffe, die deutsche Regierung unterstützt auch in sicherlich schwierigen Zeiten weiterhin die Auslandsschulen in einem bedeutenden finanziellen Rahmen. Bei dem Thema „Europa stärken“ gehören wir, wie oben erwähnt, eigentlich in ein Budgetpaket mit hoher Priorität. Ich sehe auf jeden Fall eine sehr gute Zukunft für gute deutsche Auslandsschulen auf dem Bildungsmarkt – zur Not auch mit geringeren Zuschüssen aus Deutschland. Ein Bildungsprojekt wie das der DSB, das Kindern ein authentisches, akademisch sehr herausforderndes Umfeld von mehreren Kulturen mit drei, vier, fünf Sprachen zu einem großen Teil auf muttersprachlichem Niveau anbietet, bleibt mit Sicherheit auch in Zukunft ein Erfolgsmodell.
Sind Sie mit Ihrer Familie hier?
Ja. Meine Frau und ich haben vier Kinder, wir sind mit einem Kind hier. Die anderen studieren bereits.
Herr Röhrig, wir danken für das offene Gespräch
Von Ina Laiadhi, Katrin J. Wagner, September 2025
Info:
Deutsche Schule Barcelona
Av. Jacint Esteva i Fontanet, 105, Esplugues de Llobregat, Barcelona
+ (34) 93 371 83 00, -84 00
____________
*Auslandsdienstlehrkraft
**@lehrerschmidt: Kanal für Lernvideos mit Schwerpunkt Mathematik
Deutsche Schule Barcelona
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