60 Jahre Antibabypille: umjubelt und verdammt
Sie wurde bejubelt; sie wurde verdammt: Die Antibabypille. Sie befreite die Sexualität, gab den Frauen mehr Selbstbestimmung und spaltete bei ihrer Einführung sogar die Gesellschaft.
So winzig die kleine Tablette auch ist, so gigantisch war die Wirkung, als am 18. August 1960 in den USA die erste Antibabypille auf den Markt kam. Ein Jahr später war sie auch in West-Deutschland unter dem Namen „Anovlar” erhältlich. Weitere vier Jahre später kam in der ehemaligen DDR die „Wunschkindpille“ unter dem Namen „Ovosiston“ auf den Markt. Dort gab es das Medikament sogar kostenlos.
Die Pharma-Industrie vermarktete die Pille anfangs als Mittel gegen Menstruationsbeschwerden. Die Ärzte verschrieben sie zunächst nur an ausgewählte Patientinnen, verheiratete Frauen über 30, die unter Regelschmerzen litten und zudem bereits Kinder hatten. Das passte in die Zeit: Unverheiratete hatten der damaligen Moral zufolge keinen Sex und brauchten dieser Logik folgend auch keine Verhütungsmittel. Es fand sich sowieso erst am Ende der Packungsbeilage der Verweis auf die wichtigste Eigenschaft. Kleingedruckt und fast versteckt stand da: „Sie schützt auch vor Empfängnis“.
So war es anfangs für unverheiratete Frauen nicht einfach, ein Rezept zu bekommen. Oftmals besorgten sich junge Frauen die Rezepte auf Umwegen über die verheirateten Schwestern oder Freundinnen. Unter Studentinnen kursierten Namen von Ärzten, die das Präparat ohne viele Fragen abgaben.
Aber dies tat dem raschen Erfolg der Pille keinen Abbruch. Sexualität und Schwangerschaft waren nun erstmals getrennt. Frauen konnten Sex haben ohne die Sorge, ungewollt schwanger zu werden. Trotz der schon damals bekannten Nebenwirkungen wie Thrombosen, Depressionen, erhöhtes Brustkrebsrisiko verhüteten bereits Mitte der 60er Jahre Millionen Frauen mit der Pille.
Sie war auch der Startschuss zur sexuellen Revolution. Vorher hatte die Angst vor einer ungewollten Schwangerschaft oder Abtreibung die Sexualität beherrscht. Nun konnte die Frau über ihren eigenen Körper frei bestimmen, und eine selbstbestimmte Familienplanung war möglich. Als kleinen Wermutstropfen empfanden jedoch viele Frauen, dass Männer nun eine stete Verfügbarkeit erwarteten und sich weder um die Verhütung kümmern noch die Konsequenzen tragen wollten.
Die 68er Unruhen gingen mit der Befreiung der Frau durch die Pille einher. Sex wurde offen diskutiert und auch praktiziert. Die Frauen begannen, sich nun auch gegen die altherbrachten Rollenvorstellungen von „Kinder, Küche und Kirche“ zu wehren. Sie wurden auf vielen Gebieten unabhängiger. Frauen wurden viel später Mütter als früher, und so blieb mehr Zeit für Schule, Ausbildung und Beruf. Die Zahl der Abiturientinnen und Akademikerinnen stieg bereits in den 1960ern sprunghaft an.
Erbitterter Widerstand gegen die Pille kam jedoch von der katholischen Kirche. Am 25. Juli 1968 verurteilte der damalige Papst Paul VI. in der Enzyklika Humanae Vitae die Geburtenkontrolle durch künstliche Verhütungsmittel. Diese würden den außerehelichen Geschlechtsverkehr befördern und zur “allgemeinen Aufweichung der sittlichen Zucht” beitragen. Für gläubige Katholiken praktisch ein Verbot. Die Gegner der Antibabypille wurden auch von der Behauptung unterstützt, dass durch die Pille die Geburtenrate in Deutschland stark eingebrochen sei. Man bezeichnete diese Entwicklung auch als „Pillenknick“. Doch heute weiß man, dass auch der zunehmende Wohlstand, der Wunsch vieler Frauen nach Erwerbstätigkeit und Selbstverwirklichung Gründe waren, weniger Kinder zu bekommen. In den USA knickte die Bevölkerungskurve schon vor der Antibabypille ein.
Obwohl laut einer repräsentativen Umfrage der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) noch heute mehr als jede zweite Frau zwischen 18 und 49 Jahren die Pille nimmt, ist gerade bei den jungen Frauen doch eine gewisse Pillenmüdigkeit eingetreten. Es wird vermutet, dass sich in den letzten Jahren ein stärkeres Bewusstsein dafür entwickelte, dass die Antibabypille kein Lifestyle-Produkt ist, sondern in den Hormonhaushalt der Frau eingreift und gefährliche Nebenwirkungen mit sich bringen kann.
Trotzdem ist die Antibabypille aus unserem heutigen Leben nicht mehr wegzudenken und sie bleibt, wie auch schon Alice Schwarzer sagte, ein Wundermittel zur Befreiung der Frau.
Von Gaby Götting, September 2020
Schlagwörter: Gesundheit