Das alte Märchen von den Eulen und den Lerchen
Es gibt Menschen, die werden morgens von allein wach, trällern ein Liedchen und gehen vor dem Frühstück eine Runde joggen. Und es gibt mich, aufstehen geht nur mit Wecker und fünfmal Schlummertaste und sprich mich bloß nicht an, bevor ich den ersten Kaffee intus habe…
Jahrelang quälte mich das schlechte Gewissen, denn es ist gesellschaftlich inakzeptabel, morgens nicht in die Gänge zu kommen, dafür aber abends aufzudrehen. „Der frühe Vogel fängt den Wurm“ und „abends werden die Faulen fleißig“, musste ich mir anhören. Doch Studien zeigen, ich kann gar nichts dafür, wie mein Körper tickt. Der hat nämlich eine innere Uhr und die ist genetisch programmiert.
Der innere biologische Rhythmus eines Menschen gibt vor, wie unser Körper im Laufe des Tages funktioniert. Im Optimum hat er einen Zyklus von 24 Stunden, wer hätte das gedacht. Auf diese Weise kann er gesellschaftskonform jeden Morgen zur selben Zeit wieder sein Tagwerk beginnen, die Zellen werden harmonisch im Laufe des Tages synchronisiert und man kann jeden Abend zur gleichen Zeit (nach den Spätnachrichten der Tagesschau?) wohlig müde ins Bett fallen.
Schön wär‘s. Mein Körper hat wahrscheinlich einen Rhythmus, der minimal länger ausfällt. Vielleicht sind es nur 10 – 15 Minuten, die auf die 24 Stunden obendrauf kommen, doch das summiert sich im Laufe der Woche von Montag bis Freitag schon auf eine satte Stunde, so dass ich das Wochenende brauche, um Schlaf nachzuholen und dann leider komplett aus dem Takt zu geraten. Im Alltagssprachgebrauch bin ich damit eine Eule, nachtaktiv.
Gesellschaftlich besser stehen im Gegensatz zu meinem „U(h)rtyp“ die Lerchen da. Sie haben einen verkürzten Tagesrhythmus, vielleicht so 23 Stunden und 50 Minuten. Da in unserem sozialen Gefüge erwartet wird, dass wir morgens pünktlich auf der Matte stehen und leistungsfähig sind, abends jedoch unsere Freizeit liegt und niemand kontrolliert, ob wir noch irgendetwas reißen, fällt es nicht auf, dass die Morgens-munter-Menschen vielleicht jeden Abend 10 Minuten eher in die Federn fallen.
Nobelpreis für Chronobilogen
So ist der Chronotyp Eule als Langschläfer verschrien, obwohl er technisch gesehen, eher schlafunterversorgt ist als die Lerche, die jeden Tag 10 Minuten länger schläft. Und der Mythos vom frühen Vogel, der den Wurm fängt, stimmt eben nur, wenn man tatsächlich ein früher Vogel ist. Wer das nicht ist, der hangelt sich mit einem so genannten sozialen Jetlag durch die Woche.
Ob man zum einen oder zum anderen Extrem tendiert, war lange nur eine Frage des Gefühls. Heutzutage kann man das medizinisch genau bestimmen. Die Genaktivität unterliegt nämlich tageszeitlichen Schwankungen, die mittels Blutanalyse im Körper nachweisbar sind. Die drei Chronobiologen, die das herausgefunden haben, Jeffrey Connor Hall, Michael Morris Rosbash und Michael Warren Young haben für diese Erkenntnis sogar 2017 den Nobelpreis für Medizin bekommen.
Es ist also eine Frage von international anerkannter Bedeutung, die da geklärt wurde. Das hilft uns allerdings gar nicht weiter, wenn wir uns quälen müssen, um morgens im Job ein gutes Bild abzugeben. Schön zu wissen, dass wir nicht nur Spielball unserer Gene sind. Hilfe naht aus der Hormonforschung. Melatonin, auch Schlafhormon genannt, gilt als Schlüsselregulator des Wach-Schlaf-Rhythmus. Es wird bei Dunkelheit ausgeschüttet und senkt Herzfrequenz, Blutdruck und Körpertemperatur, so dass wir gut und tief schlafen können. Der Melatoninspiegel erreicht seinen Höchststand bestenfalls nachts um 3 Uhr und seinen Tiefststand morgens um 9 Uhr. Wohlgemerkt 9, nicht 7!
Wer also nachts nicht in den Schlaf findet, kann in Absprache mit dem Arzt Melatonin einnehmen, um den Melatoninhöchststand vorzuziehen und die innere Uhr auf diese Weise nachzujustieren. Wer nicht gleich Hormone nehmen möchte, kann den Effekt von Melatonin mit beruhigenden Naturessenzen wie Baldriantropfen, Johanniskraut oder Kamillentee simulieren. Für Lerchen ist es schwieriger, ihren Tageszyklus zu regulieren, denn bei ihnen liegt der Melatoninspiegel schon früher in der Nacht auf einem hohen Level.
Die innere Uhr mit Licht takten
Ein Phänomen, das beide Chronotypen nutzen können, wurde erst in diesem Jahrhundert gänzlich entschlüsselt. Wir können unsere innere Uhr mit Licht takten. Wenn wir im Urlaub den ganzen Tag draußen unterwegs waren, können wir nachts hervorragend schlafen. Wenn wir aber abends auf der Couch schon fast weggedämmert sind und nur noch schnell im Bad Zähneputzen wollen, sind wir wieder putzmunter. Dass das mit dem Licht zusammenhängt, die Vermutung hatten wir ja immer schon. Doch es war bis 2002 unklar, wie diese Wirkung zustande kommt. Tatsächlich wurde entdeckt, dass es in unserem Auge nicht nur die Zapfen für das Farbsehen und die Stäbchen für die Dämmerungssicht gibt, wie wir sie aus dem Biologieunterricht kennen, sondern auch noch melanopsinhaltige Fotorezeptoren, die nichts mit dem Sehen an sich zu tun haben. Diese Zellen in der Netzhaut reagieren auf Licht mit hohem Blauanteil (üblicherweise Tageslicht) und regulieren je nach Stärke des Einfalls unsere innere Uhr. So wird zum Beispiel bei einer Bestrahlung mit diesem Licht die Melatoninausschüttung gedrosselt. Die abendlichen Bildschirme mit ihrem künstlichen Licht sind also eher kontraproduktiv, wenn wir müde werden wollen. Und (Zu-)Frühaufsteher sind gut beraten, sich absolut blickdichte Jalousien für das Schlafzimmer zuzulegen.
Neue Beleuchtungskonzepte
Mittlerweile gibt es verschiedene Beleuchtungskonzepte, die tageslichtähnliche Verhältnisse herstellen können. Wobei hier der Trend eher in Richtung Arbeitgeber gehen sollte, der den Arbeitsplatz ausstattet, als dass wir selbst uns in ein relativ kostspieliges Unternehmen stürzen müssen.
Eine andere Alternative, der Arbeitgeber im Zuge der Pandemie nach flächendeckender Einführung des Homeoffice mittlerweile viel offener gegenüberstehen, ist die Gleitzeit. Jeder sollte tageszeitunabhängig gemäß seinen individuellen Leistungshöchstständen arbeiten können und sich mittags bestenfalls in die Sonne setzen oder einen schönen Spaziergang machen, um die innere Uhr zu stellen. Der spanische Tagesablauf kommt uns da sehr entgegen.
Bleiben Sie also schön im Takt und wenn Ihnen mal ein früher Vogel querkommt, dann kontern Sie:
Vögel, die am Morgen singen, holt am Abend die Katz!
Von Kati Niermann, August 2021
Dossier Zeit, TS147
Schlagwörter: Moderne Welt