Die Biennale in Venedig
Kunst in Zeiten von Krisen
Am 27. November 2022 ist die 59. Biennale in Venedig zu Ende gegangen. Die Biennale ist die älteste Ausstellung zeitgenössischer Kunst. Sie wurde 1895 als Weltausstellung der Bildenden Kunst in Venedig gegründet. Wie der Name schon sagt, sollte sie alle zwei Jahre stattfinden. Zunächst war sie auf die Giardini und nur wenige teilnehmende Länder beschränkt, die dort mit Arbeiten in frühen Pavillons vertreten waren. Als der Andrang zu groß wurde und die Giardini nicht mehr genügend Platz boten, wurden Hallen der ehemaligen Schiffsbauwerft aus dem 16. Jahrhundert im Arsenal dazu genommen. Heute bespielt die Biennale auch viele öffentliche Räume in Venedig.
Die diesjährige Biennale wurde mit besonderer Spannung erwartet. Pandemiebedingt musste sie um ein Jahr verschoben werden. Als sie am 22. April eröffnet wurde, waren die Erwartungen riesig. Wie würde die internationale Kunstszene auf den Krieg in der Ukraine, auf Klimakatastrophen, Pandemie, Ausbeutung, Kolonialismus, Menschenrechte und Gendern reagieren? Kann und will die Kunst Antworten auf drängende Fragen geben, oder feiert sie sich selbst?
Der Auftritt der Ukraine war sehr selbstbewusst. Mit einem Turm aus Sandsäcken hat sie auf die umhüllten Denkmäler als Schutz vor den Zerstörrungen des Krieges aufmerksam gemacht. In einer nicht ungefährlichen Reise hat die Kuratorin des ukrainischen Pavillons Maria Lanko die Arbeit „Brunnen der Erschöpfung“ von Pavlov Makov aus der Ukraine nach Venedig gebracht. Hier werden pyramidenartig befestigte Trichter, die sich immer weiter verzweigen mit Wasser gefüllt, bis am Ende kaum mehr Wasser ankommt.
Der russische Pavillon ist geschlossen. Die russischen Künstler wurden nicht ausgeladen, sie haben abgesagt, um ein Zeichen des Protests gegen die Regierung Putins zu setzen, die sie nicht vertreten wollen.
Gewinner des Goldenen Löwen für den besten Länderbeitrag ist dieses Jahr Großbritannien. Feeling Her Way von Sonia Boyce ist eine lebendige musikalische Installation mit fünf Künstlerinnen afroamerikanischer Abstammung, die mit Musikaufnahmen aus den Abbey Road Studios in London zu sehen und hören sind. Sonia Boyce ist die erste Schwarze Künstlerin, die in der Sammlung der Tate Modern aufgenommen wurde und zum Mitglied der Royal Academy gewählt wurde.
Der Goldene Löwe für den besten Einzelbetrag ging an die amerikanische Künstlerin Simone Leigh. Sie hat den amerikanischen Pavillon mit Stroh und Holz verblendet in Erinnerung an die Bauten der Pariser Kolonialismus Ausstellung von 1931. Im Inneren sind acht monumentale weibliche Ritualfiguren von ihr zu sehen. Simone Leighs Werk handelt von Selbstbestimmung und der Souveränität die eigene Geschichte zu bestimmen.
Zineb Sedira bespielt den französischen Pavillon. Die Videokünstlerin ist ein Kind algerischer Einwanderer. Sie hat den Pavillon in einen Kinosaal mit Bar aus der Zeit ihrer Kindheit umgebaut. In den gezeigten Filmen verarbeitet sie Migration, Rassismus und antikolonialistischen Widerstand.
Ein besonders poetischer Beitrag kommt aus Belgien. Der aus Antwerpen stammende Fotograf, Maler und Multimediakünstler Francis Alys bereist seit 1999 die Welt, um spielende Kinder zu filmen. Für die diesjährige Biennale hat er fünf Kurzfilme ausgesucht, die ab 2017 entstanden sind und Kinder aus der Schweiz, Belgien, Mexiko, Hongkong und dem Kongo stammen. In Erinnerung blieben besonders die Kinder aus dem Kongo, die auf der Schlackenhalde einer Kobaltmine in einem Autoreifen in die Tiefe rauschen. Es ist beeindruckend zu sehen, wie selbstverständlich diese Kinder ihren widrigen Lebenssituationen trotzen.
Die Kunst im österreichischen Pavillon von Jakob Lena Knebl und Ashley Hans Scheirl ist genderneutral, sie spielen in ihren knalligen Arbeiten mit wechselnden Identitäten.
Der deutsche Beitrag ist wieder eine Auseinandersetzung mit der Architekturgeschichte des Pavillons. Maria Eichhorn zeigt die Nahtstellen des Erweiterungsbaus durch die Nationalsozialisten von 1938 auf. Der ursprüngliche Pavillon von 1909 wurde monströs erweitert. Darüber hinaus führt sie die Besucher auch an die von den Nationalsozialisten geprägten Orte Venedigs. Es gab noch viele interessante Länderpavillons. Eines war bei dieser Biennale aber dringend nötig: die Besucher mussten viel Zeit mitbringen, um sich angemessen mit den anspruchsvollen Kunstwerken auseinander zu setzen.
Das Thema der Ausstellungen im großen Pavillon in den Giardini und im Arsenale ist „Milk of Dreams“, das der Titel eines Kinderbuchs der surrealistischen Künstlerin Leonorea Carrington ist. Sie beschreibt in diesem Buch traumhafte Geschichten von Mutanten und hybriden Wesen. Die Chefkuratorin der diesjährigen Biennale Cecilia Alemani hat für die Ausstellungen 213 Künstler*innen aus 58 Ländern eingeladen. Alemani hat drei große Themen vorgegeben: die Darstellung von Körpern und deren Metamorphose, die Beziehung des Individuums zur Technik und den Einfluss der Menschen auf die Erde. Alemani hat eine herausragende Auswahl getroffen. Sie ist erst die dritte weibliche Kuratorin seit 1895- Da verwundert es nicht, dass die meisten Beiträge von Künstlerinnen kommen.
Der größte Teil der auf der Biennale gezeigten Kunst ist spannend und von hohem Niveau, was auch verdeutlicht, dass die Kunst nicht unter der Pandemie gelitten hat. Interessant und anspruchsvoll sind besonders die Kunstwerke, die den Betrachter durch ihren direkten Bezug zu den Problemen und Missständen unserer Zeit aufrütteln.
Von Gabriele Jahreiß, November 2022
Weitere Infos:
59ª Bienal de Venecia 2022 (universes.art)
Schlagwörter: Kultur, Sehenswert