Die digitale Vernetzung ist die Zukunft
Interview mit Assumpta Farran, Leiterin ICAEN, Instituto català de Energia
Wir treffen die Physikerin Assumpta Farran in ihrem gläsernem Eckbüro im orange-roten Gebäude des ICAEN zu einem Gespräch über die aktuelle Situation von Energie.
Können Sie unseren Lesern erklären, was das ICAEN ist?
Das ICAEN ist eine kleine, öffentliche Firma mit bescheidenem Budget. Unsere Funktion ist es zu beobachten, wohin die energetische Welt sich bewegt und der Regierung neue Handlungslinien vorzuschlagen, um die Energie der Zukunft in die politische Agenda aufzunehmen. Das scheint nicht so aufregend zu sein, aber gerade diese Woche bin ich alte Dokumente zur Energievorschau durchgegangen – alt, also von 2009, sie lacht. Wenn man sie liest, ist das wie Prähistorie. Unser Energiesystem hat sich scheinbar nicht geändert, aber die Vorschauen auf neue Tendenzen haben sich komplett gewandelt. Ich würde sogar sagen, dass es abrupte Änderungen geben wird. Energie liegt nicht in der Öffentlichen Hand. Es ist ein regulierter Privatsektor, dessen Einkommen durch die Regierung garantiert ist. Kosten, die immer der Bürger zahlt. Schlechte, politische Entscheidungen können den Bürger auf lange Sicht teuer zu stehen kommen. In Spanien zahlen die Bürger Milliarden für Fehler.
Was heißt Fehler?
Das Castor Projekt*. Es kostete fast 3 Milliarden Euro. Damals stellte niemand die Frage: Passiert irgendetwas, wenn wir diese Lagerstätte nicht bauen? Nein. Es wurde höchst dringlich umgesetzt, musste jedoch wegen Erdbebengefahr gestoppt werden. Der Bürger trägt weiter die Lasten. Von solchen Projekten haben wir viele.
Die Regierung erhebt eine Steuer für die interne Nutzung der Energie, die wir mit der Sonne, einer der häufigsten Energieressourcen Spaniens, auf unseren Dächern generieren, die sogenannte “Sonnensteuer”. In Wahrheit fördert sie nicht den Ausbau der Solarenergie. Sie deckt die Kosten fossiler Kraftwerke, die bei einem Mangel an erneuerbaren Energien als Backup dienen. Durch den Überschuss an fossilen Kraftwerken, arbeiten sie nur zu 10% ihrer Kapazität. Da sie die laufenden Kosten so nicht abdecken, verlangt der Staat den „Impuesto al sol“. Im Energiesektor sind wir an so große und teure Notfallstrukturen gewöhnt, aber das bedeutet nicht, dass wir es nicht ändern können.
Welche Technologien sind wirklich notwendig?
Wir stehen gerade an einem Wendepunkt. Bisher war die Energieversorgung auf wenige Anbieter verteilt. Der Bürger kann weder seine elektrische Energie noch sein Erdöl selbst erzeugen. Aber es gibt eine neue Tendenz: die vernetzte Wirtschaft. Vor 26 Jahren, als das ICAEN startete, war unsere Funktion, erneuerbare Energien zu fördern. Das Wort fördern hat heute wenig Sinn, weil die erneuerbaren Energien bereits in allen einschlägigen Verordnungen enthalten sind. Wir müssen das Ökosystem verändern. Unsere aktuellen Systeme wurden vor über 100 Jahren errichtet, sowohl im Transportwesen mit Henry Ford wie auch im Elektro-Sektor mit Thomas Edison. Wenn diese beiden heute unsere Systeme sähen, würden sie sagen: Da hat sich wenig geändert. Sähe Graham Bell unsere Telekommunikation würde er fragen: Smartphone, Cloud, was ist das? Aber der Rest, altbekannt.
Der spanische Energiesektor ist zentralisiert und reguliert. Was passiert, wenn die Möglichkeiten der vernetzten Wirtschaft auf solch ein System treffen?
Es kommt es zu großen Spannungen. Wenn wir nicht in der Lage sind, das politisch zu analysieren, dann kann es zu Lasten der Gesellschaft gehen. Das ICAEN fördert die Auseinandersetzung mit dem Thema.
Wie kann man bestimmen, welches Konzept am besten ist?
Durch die Digitalisierung haben wir als Bürger über die verschiedenen Kommunikationskanäle plötzlich direkten Zugriff auf Informationen, die wir früher nicht so leicht bekommen hätten. So sieht man Dinge in Australien, in Kalifornien, die vor 10 Jahren vielleicht noch undenkbar gewesen wären.
Was geschieht denn in Australien?
Die Regierung von Australien installiert in 50.000 Wohngebäuden der Öffentlichen Hand vernetzte und synchronisierte Solarsysteme mit digitalisierten Speicherbatterien. Sie generieren und sparen so viel Strom wie ein Gaskraftwerk mit 400 Megawatt. Kalifornien hat angekündigt, das letzte Kernkraftwerk 2025 zu schließen, weil es sich wirtschaftlich nicht rechnet. Es wird bereits ausreichend Sonnenergie produziert. Die Kontrolle des Verbrauchs über Millionen vernetzte, intelligente, digitale Geräte ist so effizient, dass der generierte Strom besser genutzt werden kann.
Welche attraktiven Entwicklungen gibt es?
Das elektrische Auto. Die meisten Leute sehen es inzwischen nicht mehr nur als Transportmittel. Es bietet ganz andere Möglichkeiten, es lässt sich als Speicher nutzen und zuhause aufladen. Es ist vernetzt, es lernt. Es gleicht einem Smartphone auf Rädern. Es ist so weit von einem traditionellen Auto entfernt, wie ein Pferd vom Automobil. Das ist eine radikale Änderung. Da es neue Speicherkapazitäten geben wird, wird sich vieles verändern. Nissan hat gerade angekündigt, dass der Pulsar nicht mehr in Barcelona produziert wird. Das ist schade. Aber wichtiger ist mir, dass sie die E-Modelle wie den e-NV200 weiter hier produzieren.
Das ist also ein Weg?
Ja, aber wir sind noch nicht soweit. Es ist noch keine Massentechnologie. Genau wie die erneuerbaren Energien aktuell auch noch nicht massenhaft im Einsatz sind. Die Windenergie liefert Strom, wenn der Wind weht, und die Solarpaneele, wenn die Sonne scheint. Aber verbraucht wird immer. Wenn es also weder Wind noch Sonne gibt, generieren sie keinen Strom. Um keine kostspieligen Notfallsysteme wie das Castor Projekt anzustoßen, brauchen wir untereinander verbundene Technologien. Wir sollten nicht erneut Megastrukturen aufbauen, ohne vorher zu wissen, wie sich das Grid Edge -die vernetzten digitalen Technologien im Besitz der Verbraucher- entwickelt. Wenn neue Gaspipelines oder thermische Backup-Anlagen gebaut werden, werden wahrscheinlich auch Solardächer, Batterien und Elektrofahrzeuge weiterverbreitet sein. Die erneuerbaren Energien lassen sich durch die neuen Technologien effizienter und wirtschaftlicher handhaben als die fossilen Infrastrukturen. Sie werden dem Bürger eine Macht geben, der eine zentrale Rolle in dieser Energiewende zukommt.
E-Autos und Selbstversorgung sind wichtig. Steuern auf Selbsterzeugung oder Abgaben zur Errichtung von Megastrukturen gehen in die falsche Richtung. Wir sind an einem Kreuzweg und müssen die Alternativen klären. Das E-Auto wird nicht mehr Strom brauchen. Es wird nachts geladen und nutzt so Windenergie. Man programmiert 300 km Fahrt und das System entscheidet, wann es preislich und von der Stromerzeugungsart her am günstigsten ist zu laden. Das ist unsere unmittelbare Zukunft.
Wie ist die Energieversorgung in Katalonien?
Wir haben viel zu viel Struktur zur Energieproduktion, die meistens gar nicht genutzt wird: Gaszentralen, die nur zu 10% funktionieren; die Gasumwandlungsanlage im Hafen von Barcelona wird fast gar nicht genutzt. Drei Nuklearanlagen produzieren 55% des Stroms. Katalonien hat eine höhere Nukleardichte und weniger erneuerbare Energie als Spanien. Mit dem Preisverfall der Sonnenenergie von 80% in fünf Jahren, haben wir die Chance das System zu ändern. Katalonien hat viel Sonne.
Was ist der beste Weg, um Energie zu sparen? Was ist die Rolle des Bürgers, was die des Staates?
Die stärkste Energieeinsparung kommt durch die Technologieentwicklung. Effiziente Energie. Auf unserer Stromrechnung stehen Verbrauch und Fixkosten. Man kann nur seinen Verbrauch ändern, das macht aber weniger als 50% aus. „Mach das Licht aus!“ war sinnvoll, als es Glühbirnen gab. Wenn man LED-Leuchten anlässt, macht das kaum einen Unterschied. Früher mussten wir fossile Energie einsparen. Jetzt müssen wir erneuerbare Energien nutzen.
Stromverbrauch und Stromerzeugung richten sich nach unseren Aktivitäten. Morgens steigt der Verbrauch stark an, abends und nachts fällt er ab. Da
wir keine Speicherkapazitäten haben, können wir die Erzeugung nur über den Verbrauch regulieren, indem wir fossile Kraftwerke hinzuschalten oder nicht. Wenn alle Strom wollen, wird Strom teurer, weil auch die kostenintensiven und umweltverschmutzenden Stromerzeuger zugeschaltet werden müssen. Erneuerbare Energien sind dagegen schon vorhanden. Nachts wird mehr Windenergie erzeugt, weil es nachts mehr Wind gibt. Deshalb müssen wir dahinkommen, nachts den vorhandenen Strom zu nutzen und zu niedrigen Tarifen zu speichern. Wenn wir Stromverbrauch über Speichergeräte steuern, brauchen wir in Perioden, wo extrem viel Strom gebraucht wird, keine zusätzlichen Erzeuger hochfahren, sondern können die Speicher leeren.
Es werden viele Kampagnen in den Schulen zur Energieeinsparung gemacht.
Die Themen haben sich stark gewandelt. Heute geht es nicht mehr um: Mach das Licht aus. Heute sollen sich die jungen Leute eine App ihres Stromanbieters runterladen, um über den digitalen Stromzähler den Stromverbrauch der Familie besser zu steuern. Mit dem digitalen Stromzähler weiß man, wann Strom günstig ist, sei es für die Waschmaschine, den Trockner oder ein Speichergerät. Das Radioprogramm RAC1 informiert morgens über die Höchst- und Niedrigtarife.
Man darf die Energiesensibilisierung gerade bei jungen Leuten nicht bremsen, sondern muss sie attraktiv gestalten. Für sie ist die digitale Welt etwas ganz Normales, in der sie sich perfekt bewegen. Sie lernen mit diesen distributiven Energie-Technologien umzugehen, die sich auf Learning machines oder Blockchain** Protokolle stützen. Es geht die Angst um, dass unsere Kinder schlechter leben werden als wir, aber wenn wir ihnen die Zukunft nicht blockieren, wird das nicht passieren.
Gibt es eine europäische Energiepolitik?
Ja. Aber jeder Staat ist souverän in ihrer Umsetzung. Die Vorgaben kommen direkt aus dem KIOTO Protokoll. Bis 2020 sollten 20% erneuerbare Energien, 20% an Einsparung und 20% Emissionsreduktion erreicht werden. Das war eine anspruchsvolle Vorgabe, deren Umsetzung wir nicht sehen. Spanien und Deutschland schlagen ganz verschiedene Wege ein. Spanien wird weiter auf Ausbau zentraler Strukturen setzen, die den Verbraucher teuer zu stehen kommen, falls die Weichen falsch gestellt werden.
Deutschland hat sich von der Nuklearenergie verabschiedet, setzt stark auf erneuerbare Energien, ist jetzt schon gut vernetzt, hat selbstversorgende lokale Stromnetzwerke und wird Speicherkapazitäten ausbauen.
Ende 2018 werden die neuen Richtlinien für das „Pariser Abkommen“ verabschiedet. Die Herausforderungen zeigen, dass wir vor großen Veränderungen für die Menschheit stehen. Wer die neue Energie und den neuen Verkehr steuert, wird die Weltwirtschaft anführen.
Denken Sie als Wissenschaftlerin, dass alle Systeme zur Erzeugung sauberer Energie genutzt wurden?
Es gibt andere Ideen, aber die sind im Vergleich mit dem, was momentan möglich ist, insignifikant. Das 19. Jahrhundert war das der Kohle. Das 20. das des Erdöls. Wer wird im 21. Jahrhundert diese bedeutende Rolle spielen? In Spanien wird es die Sonne sein, auch wenn es heute erst 5% sind. In Deutschland sicher die Windenergie. In skandinavischen Ländern die Hydraulik. Biomasse wird auch eine Rolle spielen.
Der Technologiesprung wird dazu führen, dass wir das alles wesentlich effizienter als bisher nutzen können. Wo positionieren wir uns? Jeder sollte sich da stark machen, wo er am besten aufgestellt ist. Aragon hat riesige Flächen und eine geringe Bevölkerungsdichte, deshalb bietet sich die Wind- und Sonnenenergie an. Ohne diese Optionen sollte man auf Technologieentwicklung und deren Anwendung setzen, weil sie dem interferierenden Netz Flexibilität gibt. Dieser Ansatz fehlt mir in Europa. Diese Art der Analyse gibt es nicht, auch wenn es wichtiger zu werden scheint, sich Batterie-Projekten anzunehmen.
Spielt Energie in Europa eine geopolitische Rolle?
Sicherlich. Wir müssen diversifizieren. Wir müssen vorangehen und in dieser Zeit der Veränderung vorausschauend planen, damit wir wettbewerbsfähig bleiben. Wir führen Rohstoffe ein und sind abhängig von den Anbieterstaaten. Europa setzt auch wegen der Emissionsreduktionsziele inzwischen sehr auf erneuerbare Energien. Mit der Mentalität des 20. Jahrhunderts stellen wir uns den technologischen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts. Das wird ein langwieriger Prozess an einigen Orten und ein abrupter an anderen sein. Es ist wichtiger an Silicon Valley zu denken, als daran das Licht auszumachen. Das wird die ganze Wirtschaft beflügeln: Informatiker, Wirtschaftler, Ingenieure, Techniker oder Elektriker. Die lokale Infrastruktur muss vor Ort angepasst werden.
Was kann Katalonien machen?
Das ICAEN setzt sein Budget für den Ausbau der Infrastrukturen der Ladestellen von E-Autos und die Förderung besserer Speicherkapazitäten ein. Alles hängt von der Entwicklung von Batterien ab.
Werden wir nicht Probleme haben, ausreichend Batterien herzustellen?
Nein. Wir stehen gerade erst am Anfang der Entwicklung. Es wird andere Batterien und andere Werkstoffe geben. Aber darauf dürfen wir nicht warten. Wir müssen jetzt schon anfangen, diesen Weg einzuschlagen.
Wie ist die Zusammenarbeit des ICAEN mit der öffentlichen Verwaltung?
Wir stehen mit ihr in Verbindung, aber auch wenn Großstädte wie Barcelona sehr innovativ sind, sind sie auch hochkomplex, denn alles ist sehr genormt und bietet wenig Spielraum für Experimente mit erneuerbaren Energien. Das bestehende 100-jährige System lässt sich in einer großen Stadt ohne hohe Notwendigkeit schwer ändern. In mittleren Städten ist das einfacher.
Sind Frauen von der Physik angezogen? Was hat Sie angezogen?
Es gibt wenige Physikerinnen. In meiner Schule war ich schon mit 12 Jahren für unser Planetarium und die Wetterstation verantwortlich. Und wo konnte man das studieren? In der Fakultät Physik. Die Wissenschaft hat mich immer angezogen. Übrigens sind alle großen Entwicklungen durch Physiker gemacht worden: Albert Einstein mit der Relativitätstheorie, Nikola Tesla mit dem Strom, und jetzt macht Elon Musk, der Besitzer von Tesla, von sich reden.
Katalonien war schon immer ein Land der ökologischen Avantgarde. Welches ist das revolutionärste Projekt, das das ICAEN unterstützt?
Die bayrische Firma Sonnen befasst sich mit Sonnenenergie und deren Speicherung in Batterien. Sie haben virtuelle Gemeinschaften privater Abnehmer gebildet, die ihre Speicherkapazitäten vernetzen. Sie zahlen seit 2016 nichts mehr für ihren Stromverbrauch, wenn sie der Gemeinschaft Zugriff auf ihren Speicher geben. Es kostet nur die Investition in die Technologie. Eine katalanische Firma hat den Vertrieb der Batterien in Spanien. Wir werden jetzt ein ähnliches Sonnenenergieprojekt in mehreren Dörfern in einem Tal der Garrotxa aufbauen. Die Energieanbieter, die Ingenieure, Kooperativen sind alle mit im Boot. So etwas kann man in Barcelona schwer organisieren.
Assumpta Farran, wir danken für das tolle Gespräch.
Von Ina Laiadhi y Sara Oró
* Wikipedia: Das Castor-Projekt sah 2012 eine künstliche Erdgaslagerstätte vor der Küste von Tarragona vor. Es wurde 2013 gestoppt, weil beim Einlassen von Gas in die alten Erdölkammern kleine Erdbeben auftraten.
** Eine Blockchain ist eine kontinuierlich erweiterbare Liste von Datensätzen, genannt „Blöcke“, die mittels kryptographischer Verfahren miteinander verkettet sind.
Schlagwörter: Ausbildung, Biografisches, Frauen, Interviews, Umwelt