Dossier Familie: Die Macht des Clan Güell
… erschaffen durch die Industrie, erweitert durch Politik, erhalten durch die Kunst
Ein elitesoziologischer Ansatz besagt, dass die immer gleichen 400 Familien die Welt beherrschen und die Demokratie folglich eine Illusion ist. Eine andere Theorie über die großen Familien der Geschichte ist, dass es immer eine Generation gibt, die Reichtum und Macht begründet, eine, die den Einfluss mehrt und dann eine, die das Vermögen durchbringt.
Die Familie Güell, deren Name wie kein zweiter mit der Geschichte Kataloniens verbunden ist, scheint hier eine Ausnahme zu sein.
Der Stammvater Pau Güell y Roig (1769 – 1818) war einfacher Pächter aus Sant Vicenç de Calders, seine Frau entstammte einer Schneiderfamilie. Er war pleite und musste, wie man damals so schön sagte hacer las Americas, in Amerika sein Glück versuchen. Er landete in der spanischen Kolonie Santo Domingo in der Karibik und begann Handel zu treiben. Die politische Unsicherheit beförderte ihn jedoch abermals in den Ruin.
Seinem Sohn Joan Güell y Ferrer (1800 – 1872) konnte er keinen Reichtum hinterlassen. Er gab ihm jedoch die Erfahrung mit, bereits mit 9 Jahren ausgewandert zu sein und trotz vieler Unsicherheiten ein Wagnis einzugehen. Joan kam mit 16 Jahren nach Barcelona zurück und lernte 2 Jahre an der Escuela Nautica de Barcelona. Er versuchte erneut sein Glück in Übersee, war erst Angestellter, gründete eine eigene Handelsfirma und errichtete ein Monopol, das ihn zu großem Reichtum führte. Der schwarze Fleck auf seiner weißen Weste, dass ein Großteil seines Vermögens aus Sklavenhandel stammt, blieb haften und verfolgt die Familie bis heute.
Als er nach Barcelona zurückkehrte, war er ein wohlhabender Mann. Er investierte in die aufblühende Textilindustrie, erst in den Maschinenbau, später in die Produktion von Stoffen. Auch hier schuf er sich eine Vormachtstellung. Joan Güell hörte nicht auf, sein Wissen zu verfeinern, sich auf Reisen und im Studium spezielle Methoden anzueignen, die ihn auf der Höhe des wirtschaftlichen Fortschritts hielten. Über die Wirtschaft kam er in die Politik. Wohl wissend, dass die politische Unsicherheit seinen Vater den Wohlstand gekostet hatte, gründete er mit anderen den ältesten bekannten Arbeitgeberverband und ein Institut zur Förderung der spanischen Industrie mit einer entsprechenden Zeitschrift. In dieser förderte er den so genannten Protektionismus, die Bevorzugung von binnengehandelten Waren gegenüber Außenhandelswaren: Spain first, wenn man so will. Er festigte damit seine wirtschaftliche Position auf politischer Ebene und wurde gleichzeitig ein führender Vertreter des katalanischen Bürgertums in Abgrenzung zu den Madrider Befürwortern des freien Handels.
Er arbeitete aber auch an der Vertiefung seines schwarzen Flecks, in dem er mit anderen indianos, (so wurden die Amerika-Neureichen in Katalonien genannt) den Circulo Hispano Ultramarino de Barcelona gründete und mit diesem gegen die Unabhängigkeit Kubas und die Abschaffung der Sklaverei agierte.
Nach seinem Tod wurde Joan Güell zu Ehren die Straße bei seiner Fabrik Vapor Vell nach ihm benannt und ein Monument in Barcelona errichtet. Dieses Monument, das 1936 zerstört und 1945 wieder errichtet wurde, war jahrelang ein Streitapfel in der Stadtpolitik.
Sein Sohn Eusebi Güell y Bacigalupi (1846-1918), dem als einzigem Sohn (neben einer Tochter) Vermögen und Einfluss praktisch in den Schoß fielen, gelang es auf andere Weise, zur Unsterblichkeit des Namen Güell beizutragen. Jeder kennt diesen Namen über alle Landesgrenzen hinaus wegen seines Mäzenatentums insbesondere für Antoni Gaudí: Park Güell, Palau Güell, Cripta de la Colonia Güell, Bodegas Güell (heute Gaudí Garraf) sind in aller Munde.
Auch Eusebi Güell hat studiert – Recht, Wirtschaft und angewandte Wissenschaften – auch er hat seinen Blickwinkel durch Auslandsaufenthalte erweitert, sich wirtschaftlich und politisch betätigt. Doch er schaffte es, den Familiennamen in der katalanischen Kultur zu verankern. Er war Mitglied der Real Academia Catalana de Bellas Artes San Jorge, die den Verbindungen der Güells zum König den Titel „Real“ verdankt. Er war 1900 Präsident der katalanischen Jocs Florals sowie des Centre Català. Er bekam den Titel eines Grafen von Barcelona verliehen, im Gegenzug dafür erhielt König Alfonso XIII später die Sommerresidenz Palacio Real de Pedralbes in Barcelona. Er schlug sogar noch ein Vizcondado und eine Baronie als Titel von zweien seiner Kinder heraus.
Doch nicht alles, was Eusebi Güell in die Hand nahm, war schön und erfolgreich. So wurde sein Traum von einer Gartenstadt mangels Interesse nur teilrealisiert. Für ihn sicher enttäuschend, doch für uns ein Gutes, denn der weitläufige Park Güell bildet heute ein touristisches Zentrum von Barcelona.
Auch die Colonia Güell – eine ganze Siedlung eigens für den Betrieb von Güells Fabrik erschaffen -, in der die Arbeitsbedingungen um vieles besser gewesen sein sollen als in manchen anderen Werken in Barcelona, erhält bei kritischer Sichtung einen schlechten Beigeschmack. Die Siedlung wurde in Zeiten der Arbeiterunruhen in Barcelona weit ab vom Schuss aufgebaut, um Solidarität mit den aufständischen Arbeitern zu vermeiden. Und da dem Patron Wohn- und Arbeitsraum und jeglicher Platz gehörte, hatte er quasi die Allmacht über seine Arbeiter bis in den privatesten Bereich hinein. Fast wie ein Zeichen mutet es an, dass die geplante Kirche nie fertig gestellt wurde.
Eusebi hat sich einflussreich verheiratet und mit 10 Nachkommen den Stammbaum hinreichend konsolidiert, dass man bis heute immer den einen oder anderen Güell im Gespräch hat.
Sei es Juan Antonio Güell y Lopez (1874-1958), der II Conde de Güell und Marqués de Comillas, der ein paar Monate Bürgermeister von Barcelona war und dann nach Frankreich floh, um nach eigenem Bekunden weder die linke Faust noch den rechten Arm heben zu müssen. Auch er war der Kunst zugetan und schuf eine bedeutende Sammlung von religiösen Skulpturen. Viele der Stücke gehören heute zum Kunstschatz im Museo Nacional de Escultura de Valladolid.
Oder Carlos Güell de Sentmenat (1930-2012) der Gründer und kurzzeitige Präsident der Partei Centre Catalan.
Oder heutzutage Jose Joaquin Güell y Ampuro (*1968), der Industrielle und Banker, der einmal als der katalanischste Teil seiner Exfrau, der PP-Politikerin Cayetana Álvarez de Toledo, bezeichnet wurde. „Joaco“, der Ada Colau bitter attackierte, als 2017 die Entscheidung fiel, das Monument von Antonio López, dem Schwiegervater von Eusebio Güell zu entfernen, weil auch dieser einen schwarzen Fleck auf der Weste hatte.
Der Name treibt auch seltsame Blüten. So hat ein Ururenkel von Eusebi Güell Xavier Güell 2019 ein Buch herausgebracht „Yo, Gaudí“, das weder Novelle noch Biografie ist, sondern eine „Interpretation“ des Architekten, basierend auf bekannten Schriftstücken Gaudís und Erzählungen, die innerhalb der Familie Güell weitergereicht wurden.
Weitergereicht wurden auch die Adelstitel der Familie, den der Baronie haben seit 1956 die Frauen inne.
Die Güells waren und sind Abgeordnete, Stadträte, Industrielle, Schriftsteller, Bankbesitzer, Immobilienhändler (wer ein Grundstück in Barcelona erwirbt, muss aufpassen, dass es nicht mit einem mittelalterlich anmutenden Erbpachtzins belegt ist), Grundbesitzer, Adlige, Kunstsammler und Mäzene. Wenn man sich ein Bild von der Familie machen möchte, kann man das Buch „Els Güell“ von Andreu Farras lesen, doch einen kritischen Blick auf die „Geschichte einer der einflussreichsten Familien Kataloniens der letzten 2 Jahrhunderte“ wird man hier nicht finden.
Von Kati Niermann, Mai 2022
Dossier Familie: TS 152
Schlagwörter: Geschichte