Die Frau, die den Gender-Pay-Gap erklärt.
Alfred-Nobel: Gedächtnispreis für Wirtschaftswissenschaften
Claudia Dale Goldin
die Frau, die den Gender-Pay-Gap erklärt.
In diesem Jahr vergab die Königlich-Schwedische Akademie der Wissenschaften in Stockholm den Nobelpreis für Wirtschaft an die US-Ökonomin Claudia Goldin (1949, New York), sie ist die dritte Frau, die diese Auszeichnung erhielt. Bis 2023 wurden drei Frauen, aber 90 Männer ausgezeichnet.
Claudia Goldin, seit 1990 Professorin an der Harvard University, erhielt die Auszeichnung für ihre Forschungen über das Einkommen und die Teilhabe von Frauen auf dem Arbeitsmarkt im Laufe der Jahrhunderte.
Die Erforschung der Frauenarbeit
Historische Untersuchungen über die Erwerbsarbeit konzentrierten sich lange Zeit ausschließlich auf die Männer. Über die weibliche Erwerbsarbeit existierte kein Datenmaterial und daher musste Claudia Goldin für ihre Forschung andere Quellen wie alte Arbeitsrapporten, Volkszählungen und Industriestatistiken nutzen. Sie belegte, dass Frauen nicht „nur“ im eigenen Haushalt, sondern auch im Bauern- oder Familienbetrieb ihres Mannes arbeiteten oder Lohnarbeiten ausführten. In Statistiken waren Frauen klar unterrepräsentiert; laut Goldin waren Ende des 19. Jahrhunderts dreimal so viele Frauen erwerbstätig wie offiziell angegeben. Ihr Anteil war zu Beginn des 19. Jahrhunderts ungefähr so hoch wie heute und ging mit Beginn der Industrialisierung zurück.
Diese Forschungsergebnisse sind in „Understanding the Gender Gap“, nachzulesen. Es ist diese Arbeit an der Schnittstelle von Wirtschaftsgeschichte und Ökonomie, die das Preiskomitee besonders würdigte.
Frauenarbeit während der Industrialisierung
Goldin widerlegte außerdem den Mythos, dass die Erwerbsbeteiligung der Frauen seit der Industriellen Revolution im Gleichschritt mit der wirtschaftlichen Entwicklung zugenommen habe. Statt einer kontinuierlich steigenden Kurve bildet die Zahl der erwerbstätigen Frauen während der vergangenen 200 Jahre eine U-förmige Kurve. Um 1790 arbeitenden mehr als die Hälfte der verheirateten Frauen, 1919 waren es noch 10 Prozent.
Die industrielle Revolution schuf zwar Hunderttausende Arbeitsplätze, erschwerte oder verunmöglichte den Müttern jedoch die Kombination von Kinderbetreuung und Erwerbsarbeit.
Die Ehe als Falle?
Weder stieg die Beschäftigungsquote der Frauen im Gleichschritt mit dem wirtschaftlichen Fortschritt noch verschwanden automatisch die Lohnunterschiede zwischen den Geschlechtern.
Laut Goldins Forschung gibt es mehrere Erklärungsfaktoren: Soziale Stigmata, gesetzliche Hindernisse und nicht zuletzt die Eheschließung hielten Frauen vom Arbeitsplatz fern oder zwangen sie zurück an den Herd: Gesetze etwa, gemäß denen verheiratete Frauen weder als Lehrerin noch als Bürokraft arbeiten durften.
Die Erwartungen der Frauen an ihre Erwerbstätigkeit waren ebenfalls von Bedeutung für die Berufswahl, die Ausbildung und damit die Einkommensunterschiede. Während die Frauen vor 100 Jahren üblicherweise bis zur Heirat erwerbstätig waren, gingen ab der Mitte des 20. Jahrhunderts viele Frauen auswärts arbeiten, wenn ihre Kinder erwachsen waren. Erst ab den siebziger Jahren begannen junge Frauen ihre Karriere zu planen, dabei kam der Anti-Baby-Pille eine bedeutende Rolle, zu.
Der Gender-Pay-Gap
Die Lohnunterschiede zwischen den Geschlechtern sanken während der vergangenen fünfzig Jahre, ohne gänzlich zu verschwinden. Claudia Goldin konnte aufzeigen, dass die Lohndifferenzen 1820–1850 sowie 1890–1930 abnahmen, also lange bevor die Geschlechterfrage ein Thema war. In den darauffolgenden Jahren schloss sich die Schere nicht weiter, trotz der besseren Ausbildung und höherer Erwerbsbeteiligung der Frauen und trotz kräftigem Wirtschaftswachstum.
Dies führt die Ökonomin Claudia Goldin unter anderem auf die „gierige Arbeit“ zurück. Gemeint sind damit sehr gut bezahlte Jobs, mit unverhältnismäßig langen Arbeitszeiten oder ständiger Rufbereitschaft. In einer Familie mit Kindern können nicht beide Partner solche „gierigen Jobs“ ausüben. Einer der Partner muss weniger arbeiten und weniger verdienen – dies ist meistens die Frau.
Der Verdienst der Preisträgerin ist es, dass sie in ihrer Forschungsarbeit die wichtigsten Treiber für die Geschlechterunterschiede in der Arbeitswelt aufgedeckt hat und damit Handlungsoptionen für den Abbau der Gehaltsunterschiede aufgezeigt hat.
Wie notwendig dies ist, zeigt ein Blick in die Statistik: Im EU-Durchschnitt verringerte sich der Verdienstunterschied zwischen Frauen und Männern von 2015 bis 2021 von 16% auf 13%. In Spanien betrug er 2021: 8.9% und in Deutschland 16,6%. Die Bundesregierung hat als Ziel die Senkung des Gender Pay Gap in Deutschland auf 10% bis 2030 formuliert.
Von Elisa Heinrich, Dezember 2023
Schlagwörter: Frauen, Geschichte