Ein humanes Ende?
Schlägt man einen Reiseführer Barcelonas auf, ist der haarige Wilfried garantiert eine der ersten geschichtlichen Anekdoten, die dem Leser präsentiert wird. Die Ursprungslegende des Herrschergeschlechts der Grafen von Barcelona darf in keinem Dumont fehlen. Als Startschuss für das Mittelalter schließt man die Epoche gewöhnlich mit der Heirat Ferdinands und Isabellas ab. Der schöne Titel, die katholischen Könige, gefällt besonders den Protestanten, denn dann kann man endlich über Spanien schreiben und muss sich nicht mehr mit den verschiedenen iberischen Kronen rumschlagen. Doch ist Ferdinand keineswegs aus der gräflichen Linie, sondern stammt aus dem Haus Trastámara, der letzte genetische Abkömmling des haarigen Ursprungshelden ist der weniger bekannte Martin der Humane. Er starb 1410 ohne Nachkommen und löste damit einen Bürgerkrieg aus, welcher erst im Kompromiss von Caspe (1412) beigelegt werden konnte. Sein einziger legitimer männlicher Nachkomme war im Vorjahr (1409) verstorben und dieser plötzliche Tod des Sohnes und des Vaters war für die dynastische Nachfolge eine Katastrophe.
Er wird als ruhiger Herrscher beschrieben, sehr religiös und devot – er hörte dreimal täglich eine Messe – doch alles andere als dem Fasten zugetan. Seine Leibesmasse nahm im Alter wohl stetig zu und das hatte sicherlich auch mit den vielen Sorgen zu Lebzeiten zu tun. Die Finanzlage der Krone war in sehr prekärem Zustand als Martin das Ruder übernahm und die Küste litt unter den Barbaresken-Korsaren. Er kümmerte sich um all diese Notstände bravourös, konnte sich gegen den aufmüpfigen Adel behaupten und sich um die Belange Sardiniens und Siziliens kümmern. Seine Regierungszeit kann man sicherlich als Erfolg einstufen.
Vermutlich war es der Kontrast zwischen dem Erfolg zu Lebzeiten und der Erbkatastrophe nach seinem plötzlichen Tode, die den italienischen Humanisten Lorenzo Valla (1405-1457) zu einer Anekdote inspirierte. Der britischen Schriftsteller John Duran griff die Geschichte zum ersten Mal in seiner Geschichte der Hofnarren (1858) auf und sie wurde dann begierig von weiteren Historikern wie Paul N. Morris wiedergegeben. Dabei handelt es sich mit hoher Wahrscheinlichkeit um eine historische Legende, mit der Lorenzo Valla zeigen wollte, wie gut er sich mit der Antike auskannte. Die Anekdote geht folgendermaßen: Martin habe gierig eine ganze Gans verzehrt. Üble Magenbeschwerden wären daraufhin die Folge gewesen und der König habe leidend und stöhnend in seinem Gemach gelegen. Er habe nach seinem Hofnarr Borra gerufen, der nach einer guten Weile fröhlich das Zimmer betreten habe. Der König hätte daraufhin wissen wollen, woher er käme. Borras Antwort: Aus dem nächsten Weinberg, dort sah ich einen jungen Hirsch, welcher an seinem Wedel (in Jägersprache der Hirschschwanz) aufgehängt war, weil er Feigen gestohlen hatte. Martin habe diesen Witz so lustig gefunden, dass er nach 3 Stunden unkontrollierten Lachens verstorben sei. Die Anekdote klingt so absurd, dass sie beinahe wieder plausibel erscheint. Heutzutage wird kaum jemand denken: Wild am Wedel aufzuhängen ist doch unmöglich! Das ist schon wirklich komisch! Das muss doch ein mittelalterlicher Witz sein, oder? Höchstwahrscheinlich hat der Humanist Lorenzo Valla die Geschichte selbst erfunden, war Tod durch Gelächter doch ein Topos der Antike und somit eine Möglichkeit mit Allgemeinwissen zu glänzen. Sicher ist, dass die Anekdote fleißig von Barcelona-Bloggern aufgegriffen wurde und heutzutage, wenn man Google zu leicht Glauben schenkt, quasi zum historischen Fakt aufgestiegen ist. Somit hat uns ein Autor des 15 Jahrhunderts mithilfe eines der großen Geschichtenerzähler des 19 Jahrhunderts ganz schön zum Narren gehalten.
Cornel-Peter Rodenbusch, Mittelalterhistoriker, nebenberuflich Touristenführer. Kontakt: cornelpeterrodenbusch@gmail.com
Detail der Altarretabel, welche die Translation der Gebeine des heiligen Severus (1405) nach Barcelona zeigt. Gemalt 1541 von Pere Nunyes und Enric Fernandes handelt es sich um eine fiktive Darstellung, in welcher Martin der Humanen bei der Überführung der Reliquien mit Hand anlegt und den Sarg mitträgt. Heute ist das Gemälde im Diözesanmuseum von Barcelona zu besichtigen.
Detail für den Artikel:
https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Mart%C3%ADn_I_de_Arag%C3%B3n.jpg
Gesamtansicht:
https://ca.wikipedia.org/wiki/Sever_de_Barcelona#/media/File:Trasllat_Barcelona_Reliquies.jpg
Von Cornel-Peter Rodenbusch
Schlagwörter: Geschichte, Katalonien