Europa setzt auf die Kreislaufwirtschaft
Unterbrochene Lieferketten, das Malheur im Suez-Kanal und nun Getreide und Energie – die Ressour-cenknappheit ist in aller Munde und vor allem in Europa müssen Unternehmen ganz genau rechnen. Und das nicht erst seit der Pandemie oder dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine.
Die Weltmarktpreise für Industrierohstoffe sind bereits seit der Jahrtausendwende enorm gestiegen und China kontrol-liert mittlerweile 80% der weltweiten Produktion seltener Erden. Die Weltbevölkerung wächst und wächst, wie auch unser galoppierender Konsum. Allein vom Kassenschlager iPhone wurden seit Markteinführung im Jahr 2007 circa 2,2 Milliarden Stück verkauft. Smartphones im Allgemeinen, Unterhaltungselektronik und spottbillige Fast Fashion à la Zara, Bershka etc. bilden den Kern des billig kaufen und wegwerfen als Lifestyle.
Natürliche Ressourcen stehen am Anfang aller Erzeugnisse und stecken in jedem einzelnen Konsumgut. Unternehmen können rechnen und haben deshalb früh erkannt, dass unsere Ressourcen knapp und teuer werden. Die Idee der Kreislaufwirtschaft ist schon etwas älter und aus dem Dreiklang der 1970er – Reduce, Reuse, Recycle – ist längst eine Losung mit zehn Rs geworden. Es geht darum, einen Kreislauf der Wertschöpfung zu schaffen, statt wertvolle Ressourcen ungenutzt zu verbrennen oder zu begraben. Und das haben auch die Großunternehmen erkannt, wie die vom Weltwirtschaftsforum gegründete Platform for Accelerating the Circular Economy bezeugt. Adé Müllverbrennung und Deponie, willkommen Repair-Café und Ressourceneffizienz! Ohne Zweifel müssen auf die Worte noch viel mehr Taten folgen.
Europäische Umweltpolitik
Umweltthemen sind eng mit der Wirtschaft verzahnt und mittlerweile zu einem Querschnittsthema vieler Politikfelder geworden. Die Anfänge der europäischen Umweltpolitik im engeren Sinn gehen auf die erste Umweltkonferenz der Vereinten Nationen im Jahr 1972 zurück. Damals wie heute kommt Europa bei der Umweltpolitik eine Schlüsselrolle zu. Schließlich hat unser Kontinent mit der Industriellen Revolution, der heutigen Industrie und unserem Konsumverhalten wesentlich zur aktuellen Situation beigetragen.
Europa hat aber auch jahrzehntelange Erfahrung im Recycling und setzt sich hohe Ziele. Konkret sollen bis 2030 alle Kunststoffverpackungen recycelbar oder wiederverwendbar sein. Der Export von Plastikmüll außerhalb der OECD-Staaten wird weiter eingeschränkt. Recycling ist aber lediglich die letzte Zuflucht in einer Kreislaufwirtschaft, bei der es um viel mehr geht. Nämlich um Wertschöpfung, wirtschaftliche Zugewinne und Jobs. Dies stellt der im Dezember 2019 vorgestellte europäische Grüne Deal in Aussicht, wie auch das Ziel, Europa zum ersten klimaneutralen Kontinent zu machen. Bereits 2018 kam das Paket zur Kreislaufwirtschaft, mit vier Richtlinien und ambitionierten Zielen bei der Vermeidung, Wiederverwendung, Recycling und Deponierung von Abfällen. Liest man die Schlagzeile, dass Einwegplastikprodukte wie beispielsweise Einwegbesteck in der EU verboten werden, übersieht man, dass dadurch vor allem der Verschwendung von Ressourcen vorgebeugt werden soll.
Die Umsetzung des Umweltrechts in den EU-Mitgliedstaaten ist allerdings unzureichend, so das Europäische Parlament, und von Land zu Land verschieden. Das sieht man schon am direkten Vergleich Deutschland/ Spanien und auch innerhalb der einzelnen Länder. Das EU-Motto „In Vielfalt vereint“ gilt auch beim Thema Umwelt, denn es besteht eine geteilte Zuständigkeit der Mitgliedstaaten und der EU: „Die EU ist befugt, in allen Bereichen der Umweltpolitik, darunter Luft- und Wasserverschmutzung, Abfallentsorgung und Bekämpfung des Klimawandels, tätig zu werden. Begrenzt wird ihr Handlungsspielraum durch das Subsidiaritätsprinzip und die im Rat erforderliche Einstimmigkeit in Angelegenheiten, die steuerliche Fragen, die Raumordnung, die Landnutzung, die quantitative Bewirtschaftung der Wasserressourcen, die Wahl der Energiequellen und die Struktur der Energieversorgung betreffen.“
Zero Waste – Weniger ist wichtig
Die zukunftsfähige Nutzung unserer Ressourcen und eine intelligente Weiter-verwertung des Produzierten sind gut. Müllvermeidung ist besser. Im japanischen Dorf Kamikatsu schaffte man es 2020, 81 % aller Abfälle wieder-zuverwerten, ordentlich sortiert in mehr als 40 Recyclinggruppen. Auch Großstädte wie München und rund 450 Gemeinden in Europa haben sich eine Gesamtstrategie zur Müllvermeidung gegeben oder arbeiten daran. Auf der Website von Zero Waste Europe (www.zerowasteeurope.eu) erkennt man schnell, wieviel bereits im Gang ist. Das europäische Netzwerk aus Communities, lokalen Führungskräften sowie Expertinnen und Experten baut politischen Druck auf und zeigt mit Handreichungen und Beispielen guter Praxis, wie es geht. Mitmachen erwünscht!
In den letzten zehn Jahren ist die Kreislaufwirtschaft zu einem zentralen Punkt der europäischen Wirtschaftspolitik geworden. Unternehmen achten auf ihre Ressourcen und diese sind nichts anderes als unser aller Ressourcen. Wer braucht geschälte, in Plastik verpackte Orangen? Jeder Griff zum unverpackten Gemüse aus der Region, jedes Kilo Müll weniger hilft. Ressourceneffizienz und hippe Unverpackt-Läden liegen im Trend, verflogen der Wagenburg-Charme der Pionierjahre. Das ist wichtig, weil so der intelligente Umgang mit Ressourcen immer mehr zum Mainstream und Big Business geworden ist. Geld regiert die Welt und verändert diese hoffentlich bald nachhaltig.
Im November 2022 stehen die Eingangstüren zum deutschen Einzelhandel nicht mehr sperrangelweit offen und es sind zwei, statt acht, Rolltreppen im permanenten Betrieb. Energie sparen, indem wir Energieverschwendung vermeiden! Für viele war das immer normal, für viele andere scheinbar nicht. Wir könnten an dieser Stelle an unsere eigenen Großeltern denken. Opa war Meister im Reparieren und Oma wachte über Lichtschalter, geschlossene Türen und Weck-Gläser, die aktuell viele Hipster-Herzen beglücken. Wenn wir uns auf die Zeit vor der Plastikflut und Wegwerfgesellschaft besinnen, sind wir gut beraten.
Von Kolja Bienert, Dezember 2022
Mehr Information zum europäischen Grünen Deal
https://ec.europa.eu/info/strategy/priorities-2019-2024/european-green-deal_de
Schlagwörter: Moderne Welt