In Krisenzeiten wird die Moderne quasi über Bord geworfen
Wir treffen Constanza Macras Sonntag früh auf einen „Cortado“ unweit des Teatre Mercat de les Flores, wo sie am Vorabend mit ihrer Truppe Dorky Park ein Werk über Scheitern und Heimatverlust zur Aufführung brachte.
Die Sprache des Tanzes ist international. Wie kann das Tanztheater die Menschen aus verschiedenen Kulturen zusammenbringen?
Im Prozess der Schaffung eines Stückes des modernen Tanzes ist das kein Problem. Tänzer aus verschiedenen Ländern und Kulturen können leicht zusammenarbeiten, weil der Anspruch an ihren Spracheinsatz niedrig ist. Tänzer bereisen die ganze Welt auf der Suche nach Arbeit. Was das Publikum anbelangt, so ist die Sprache des Tanzes selbsterklärend.
Ihre Stücke haben viele Performance-Elemente. Wie viel ist vorgegeben und was entsteht spontan bei jeder neuen Aufführung? Reagieren die Tänzer dabei auch auf das Publikum?
Es gibt absolut nichts Spontanes. Das wäre gar nicht machbar, da es sonst von einer zur anderen Aufführung sehr variieren würde. Wir interagieren nicht mit dem Publikum.
Denken Sie sich die Themen ihrer Stücke immer selber aus oder arbeiten Sie auch auf Anfrage?
Es gibt immer Themen, momentan kommen immer mehr soziale auf. Der kreative Prozess läuft so ab, dass ich Ideen habe, langsam ein Konzept entwickle, dann kommt die Recherche dazu. Das dauert ziemlich lange. Für die Proben mit der gesamten Truppe rechnen wir im Normalfall drei Monate. Wenn wir Glück haben, können wir uns dreieinhalb Monate Zeit lassen. Es gibt natürlich Einladungen.
Zum Beispiel hat das Goethe-Institut Prag mein neustes Stück „Open for everything“ angestoßen. Die Idee war, mit Roma aus Tschechien und Ungarn etwas auf die Bühne zu bringen, um ihre aktuelle Situation zu reflektieren. Zunächst habe ich sie improvisieren lassen und im Anschluss alles zusammengesetzt. Es gibt dann in der Aufführung nichts Improvisiertes mehr.
Was ist Ihre Intention? Was wollen Sie mit Ihren Stücken erreichen? Planen Sie ihre Wirkung bewusst?
Ich will mit meinen Stücken keine Antworten gebe. Am liebsten ist es mir, wenn der Zuschauer selbst etwas für sich entdeckt und mit nach Hause nimmt. Das heißt, dass auch über den Abend hinaus noch Eindrücke oder Bilder hängen bleiben, die vielleicht anregen, sich Fragen zu stellen.
Wer sind Ihre Vorbilder?
Mit 16 Jahren als junge Tänzerin hatte ich Vorbilder, die sich aber geändert haben mit den Jahren. Heute habe ich keine Vorbilder, und sicher nicht Pina Bausch. Mir gefallen einige Filmregisseure, wie z.B. David Lynch oder Peter Haneke. Aber das sind keine Vorbilder für mich. Ich mache etwas ganz anderes als sie.
Wie suchen Sie sich Ihre Mitarbeiter aus? Arbeiten Sie immer mit denselben Künstlern zusammen?
Meistens arbeite ich mehrere Jahre mit denselben Künstlern zusammen. Das kann sich ändern wegen der Familiensituation der einzelnen Personen. Wir müssen viel reisen, was mit der Familie schwierig zu vereinbaren ist. Wenn ich neue Leute suche, dann organisiere ich einen Workshop von etwa einer Woche und da sehe ich dann, wer zu uns passt.
Sie sind in Argentinien geboren, haben an verschiedenen Orten der Welt gelebt und wohnen jetzt in Berlin. In Ihrem Stück „I’m not the only one“ setzen Sie sich kritisch mit dem Konzept „Heimat“ auseinander. Trotzdem die Frage: Wo ist Ihre Heimat?
Das Land , aus dem ich komme. Der Ursprung. Einerseits ist das die Sprache. Also wie man spricht. Ich wohne schon sehr lange in Europa. Jedes Mal wenn ich nach Argentinien zurückkomme, dann fühle ich mich zuhause, weil dort meine Muttersprache auf ihre Art gesprochen wird. Der Sprachcode. Aber andererseits ist Heimat dort, wo man sich zuhause fühlt. Man kann sich auch eine neue Heimat schaffen. Ich fühle mich in Berlin zuhause. Dort habe ich inzwischen meine eigene Familie, meinen Sohn. Das ist jetzt meine Heimat. Mein Sohn spricht zum Beispiel Deutsch mit mir. Das wäre mir vor Jahren nie in den Sinn gekommen, dass mein Kind einmal Deutsch mit mir sprechen würde.
Spielt der Tango eine Rolle in ihren Stücken?
Nein, ich nehme nie Tango. Ich will nicht in diese Kategorie geraten: Argentinien gleich Tango. Als Argentinierin gefällt mir Tango, ich sehe ihn mir gern an, tanze ihn nur leidlich. Es gibt so viel mehr in Argentinien zu entdecken.
Nichts ist dem Menschen so unentbehrlich wie der Tanz, sagt Molière. Fred Astaire beschreibt den Tanz als ein Telegramm an die Erde mit der Bitte um Aufhebung der Schwerkraft. Mata Hari sieht es poetisch: Der Tanz ist ein Gedicht und jede seiner Bewegungen ist ein Wort. Wem würden Sie zustimmen?
Ich habe keine solche Message. (Sie lacht.) Für mich ist Tanz eine Sprache, eine weitere Sprache, mittels der man sich ausdrücken kann. Sie verkörpert Konzepte wie Freude, aber auch Abstraktes, das man mit Sprache nicht ausdrücken kann. Ich will nicht nur mit Texten arbeiten, Tanz erweitert die Ausdrucksmöglichkeiten.
Ist der Einsatz von Elementen wie Video, Licht, Musik eine Bereicherung des Tanzes oder kommt man dadurch vom eigentlichen Tanz weg?
Ich mache keinen puren Tanz. Meine Stücke integrieren Elemente wie Text, Musik und Video. Der Tanz ist ein zusätzliches Element. Ich nehme meist sehr viel Text, mehr als gestern Abend in dem Stück „I’m not the only one“. Die Kreationen sind eher Theater als Tanz. Manche Leute, die kommen, um Tanz zu sehen, sind vielleicht enttäuscht. Andere dagegen finden etwas Unerwartetes vor und lassen sich von der Geschichte und den Bildern packen. Dieser Stil ist seit einiger Zeit als Espectáculo Creación katalogisiert.
Und die Live-Musik, wann wird die komponiert?
Die Musik ist im ganzen Entstehungsprozess dabei. Meist gebe ich Tänzern und Musikern ein Thema vor, auf das sie gemeinsam improvisieren sollen. Ich habe nicht immer gleich Ideen oder Bewegungen im Kopf, wie man etwas umsetzen kann. Also erarbeiten wir Teile gemeinsam. Wenn uns etwas davon gefällt, dann arbeiten wir es aus und integrieren es ins Stück.
Für einen Tänzer ist sein Körper sein Instrument. Welche Beziehung haben Sie zu Ihrem Körper? Treten Sie auch noch selber auf?
Jeder hat eine eigene Beziehung zu seinem Körper. Das hängt vom Training ab. Oder wann man begonnen hat, zu trainieren. Einige sehen den Körper wie eine Maschine. Ich bin mir nicht ganz darüber im Klaren. Ich selber trete nicht mehr auf. Ich beschränke mich jetzt auf Pilates. Aber wenn mir eine Bewegung vorschwebt, dann kann ich sie den Tänzern vortanzen. Diese Beweglichkeit hat sich mein Körper durch das viele Training bewahrt.
Ihre Tanzkompanie heißt „Dorky Park“. Woher kommt der Name?
Der Namen stammt aus einer Zeit, wo ich mit Kindern zusammenarbeitete, die auf Playstation Gorky Park spielten. Ein Dork ist jemand, der sich treiben und sich nicht in ein Schema pressen lässt. Ein Wortspiel aus Gorky Park und Dorky Park, es ergab sich so. Dabei blieb es. Jetzt können wir den Namen nicht mehr ablegen.
In Ihren Stücken ist Sprache ein wichtiges Element. Wie überwinden Sie die Sprachgrenzen?
Die Texte sind kein Problem. Wir übersetzen. Zum Beispiel das Hundegedicht gibt es auf Deutsch, Englisch, Spanisch, Italienisch, in mehreren Sprachen. Wir speichern es und lassen es ablaufen. Oder wenn es sehr viel Text ist, dann arbeiten wir mit projizierten Untertiteln. Unsere Arbeitssprache ist meist Englisch, weil viele internationale Künstler in der Truppe sind.
Wie beeinflusst die aktuelle Krise die Kultur?
Sehr stark. Es wird immer weniger Geld für Produktionen zur Verfügung gestellt. Wir haben Gott sei Dank viel Arbeit und Tourneen, auch für die kommenden Jahre. Alle klagen. In Deutschland merkt man es noch nicht so sehr, das kommt sicher etwas später. Aber wir haben schon jetzt weniger Tourneen und weniger Geld auf den Tourneen zur Verfügung. Ich war immer mal wieder im Teatro Lliure in Barcelona, aber immer mit wesentlich aufwändigeren Stücken. Jetzt nimmt man lieber weniger umfangreiche, um die Kosten klein zu halten.
Für mich ist Tanz eine Sprache, eine weitere Sprache, mittels der man sich ausdrücken kann.
Den Einfluss des Geldes spürt man überall. Wir merken das oft schon am Stil des Buffets, des Transports oder des Hotels. Wir benötigen ja oft ganze LKWs, um unsere Materialien zu transportieren. Manchmal ärgert es uns, wie das zur Verfügung stehende Geld verteilt wird. Das ermüdet. Es gehen so viele Millionen Euro in die Oper, dabei ist das eine Unterhaltungsform, die schon wegen ihrer Länge gar nicht mehr zeitgemäß ist. Drei bis vier Stunden Oper, wer kann da hingehen?! Sie wurden für eine andere Zeit konzipiert. In Krisenzeiten erstarken meist konservative Elemente, weil nur das Konservative weiter subventioniert wird. Die Moderne wird quasi über Bord geworfen, weil es dafür kein Geld mehr gibt.
Man sollte sich Maßnahmen überlegen, wie man die Menschen mehr fürs Theater interessiert. Die Eintrittspreise senken, die jungen Leute über gezielte Werbung ansprechen. Es sind die Jungen, die etwas verändern werden, nicht die Alten. Ich habe vor kurzem mit vielen Künstlern das Manifest „Let’s create a bottom-up Europe“ unterschrieben. In Europa gab es noch nie so viele gut ausgebildete junge Leute wie jetzt. Leider aber ganz viele davon ohne Job. Mich haben bei den Vorbereitungen zu meinen Aufführungen häufig ganz junge Techniker und anderer Staff durch ihr Engagement und ihre hohe Professionalität beeindruckt. Wir müssen diesen gut ausgebildeten Leuten das Leben zumindest etwas erleichtern. Wir brauchen Diskussion und Bewegung, um etwas zu ändern.
Sie sagten, dass Sie schon öfters in Barcelona gewesen seien. Haben Sie schon einmal bei Sardanas vor der Kathedrale mitgetanzt? Sie sind ein Symbol für die Einheit des katalanischen Volkes und werden dort jedes Wochenende mit Live-Musik spontan getanzt.
Nein, davon habe ich noch nicht gehört. Es hört sich aber sehr interessant an, auch wenn ich keine folkloristischen Elemente in meine Stücke aufnehme.
Fr. Macras, wir danken für das sehr anregende Gespräch.
Ina Laiadhi, Sabine Bremer, Dezember 2012
Infos
CONSTANZA MACRAS
DORKYPARK
WWW.DORKYPARK.ORG
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