Von der Frankfurter zur Coburger Küche
Von der kleinen Frankfurter zur großen Coburger Küche
Interview mit der Historikerin, Autorin und Herausgeberin Isabel Segura
Wir treffen Isabel Segura Soriano im modernistischen Hotel España unweit der Filmoteca an einem dieser regnerischen Frühlingstage, deren Wolkenbrüche eine ganze Stadt ins Verkehrschaos stürzen.
Sie sind eine Frau mit vielen beruflichen Facetten. Wo liegt der aktuelle Schwer-punkt Ihrer Arbeit?
Der Schwerpunkt meiner Arbeit liegt zurzeit bei der Künstlerin Clotilde Cerdà, Tochter von Ildefons Cerdà, mit Künstler-namen Esmeralda Cervantes. Sie war Harfenistin, Komponistin, soziale Aktivistin und gründete eine Schule für Frauen.
Sie hatten ein deutsches Abenteuer mit dem Dokumentationsmaterial für Ihr Buch “Els viatges Clotilde Cerdà i Bosch“.
Vor einiger Zeit kaufte die Biblioteca de Catalunya ein Album mit Fotos, Aufzeich-nungen und Widmungen von Clotilde Cerdà von einem deutschen Antiquar aus Naumburg. Das Album war fantastisch. Bis zu diesem Zeitpunkt hatten wir hier nur spärliche Informationen über die Künstlerin. Anhand des Albums konnte ich die Recherche intensivieren und das Buch über sie schreiben. Clotilde bricht mit dem Vorurteil, dass Weiblichkeit auf das Hausinnere beschränkt bleiben müsse. 1861 in Barcelona geboren widmet sie sich dank der Förderung ihrer Mutter, der Malerin Clotilde Bosch, bereits sehr jung der Musik. Sie begeistert mit ihren Harfenkonzerten während ihrer Studienaufenthalte in Paris, Wien und Rom renommierte Künstler wie Victor Hugo, Richard Wagner, Franz Liszt und ganze Königshäuser. Daneben komponiert sie. Clotilde reist mit ihrer Harfe durch ganz Europa, Südamerika, die USA und die Türkei. Sie engagiert sich stark sozial und spricht sich offen gegen die Sklaverei und diverse Todesurteile aus.
In Katalonien dürfen Frauen damals nicht ohne die persönliche Zustimmung des Königs zur Universität gehen. Ihre Bildung beschränkt sich auf Hausarbeiten. Clotilde Cerdà dagegen umgibt sich mit sehr engagierten Frauen. Mit Dolors Aleu, der ersten Ärztin in Spanien und den Schriftstellerinnen Josefa Masanes und Antonia Opisso gründet sie 1885 die Akademie der Wissenschaften, Künste und Handwerk für Frauen in der Rambla Catalunya Nr. 10.
Es ist interessant, die Tochter Clotilde mit dem Vater Ildefons zu vergleichen, die beide von der Geschichte vergessen wurden. Cerdà verlässt Barcelona nach Streitigkeiten und stirbt 1876 in Kantabrien. Erst Mitte des letzten Jahrhunderts wurde die Figur Cerdà, der Schöpfer des Eixample, wiederent-deckt. Mit Clotilde passiert etwas Ähnliches. Die katalanische Gesellschaft würdigt ihren innovativen Charakter nicht. Erstellt sie darum dieses Album, um ihre zahlreichen Aktivitäten und das Echo darauf selbst festzuhalten? Die katalanische Regisseurin Rosa Verges will die bewegende Geschichte ins Kino bringen.
Wir wissen nicht, wie dieses außer-gewöhnliche Album in einer deutschen Stadt landete. Clotilde hatte diverse Verbindungen zu Deutschland. Man weiß, dass Kaiser Wilhelm II sie 1889 nach Schloss Ehrenburg in Coburg einlädt, wo sie Harfenistin des Hofes Gotha Sachsen-Coburg wird. Mir liegen Kopien von Briefen mit Briefkopf des Residenz-schlosses vor, in denen sie berichtet, dass sie dort Romanzen komponiert und veröffentlicht hat. Ich würde diese Partituren gern finden. Sie veröffentlichte auch die Geschichte der Harfe in Deutsch. Im Jahr 1895 heiratete sie in Brasilien Oscar Grossman, einen deutschen Geschäftsmann aus Leipzig. Es gibt noch viel zu erforschen.
Die Geschichtsschreibung ist von Männern monopolisiert. Wie bewerten Sie Ihr Engagement für die Frauen? Haben Sie die Frauen in Einklang mit der Gesellschaft gebracht? Haben Sie eine Wahrheit gefunden? Haben Sie die Rolle der Frau wiederhergestellt?
Schöne Fragen. Ich mag es, Neuland zu entdecken. Bereiche, von denen wenig bekannt war. Bei einer Recherche zur Literatur katalanischer Frauen stellte ich zu meiner großen Überraschung fest, dass hunderte Frauen auf Katalanisch veröf-fentlicht hatten. Wer zu Frauenthemen forscht, merkt, wie viele Frauen in verschiedenen Bereichen wie Literatur, Architektur kreativ tätig waren. Mich interessiert diese Recherche. Die Frage ist, wenn es so viele gab, warum wissen wir nichts davon? Woran scheitert es?
Ihr “Guía de dones de Barcelona” erzählt Geschichten von Frauen in verschiedenen Epochen. Gab es Schwierigkeiten, die Informationen zu finden?
Es gibt kaum Schwierigkeiten, an solche Informationen zu kommen. Man muss seinen Blick nur anders ausrichten. Manchmal taucht ein Fragment oder ein indirekter Hinweis auf. So viele Frauen in jeder Epoche haben in verschiedenen Bereichen etwas geschaffen. Aber es gibt Übertragungsfehler. Die Frage ist, warum dieses Wissen uns heute nicht erreicht. Die Antwort liegt in den Kriterien, die Werke von Frauen nicht würdigen. Als ich an den katalanischen Schriftstellerinnen arbeitete, wandte ich mich an die höchste Koryphäe katalanischer Literatur. Das Werk einer katalanischen Autorin lehnte der Professor nach kurzer Durchsicht mit den schlichten Worten ab: Es ist nicht gut! Da bin ich gegangen. Das war weder ein Kriterium noch eine Literaturkritik oder sonst irgendetwas. Er wollte sich nicht damit befassen. Wir stehen vor einem Problem der Unwissenheit. Werke von Frauen werden nicht berücksichtigt. Und das hält an. Wie kann es sein, dass man Clotilde Cerdà nicht kennt? Eine international anerkannte Künstlerin. Die Recherche muss Bereiche erkunden, die nicht hegemonial sind, also nicht die dominante soziale Position von Männern und eine untergeordnete Position von Nicht-Männern garantieren sollen.
1984 haben Sie “Revistes de Dones 1846-1935” veröffentlicht. Was hat sich seitdem getan?
In Zusammenarbeit mit Marta Selva machten wir eine Bestandsaufnahme von Zeitschriften von und für Frauen in einem langen Zeitraum. Wir wollten den Beitrag aufzeigen, den Frauen zu dieser mächtigen Branche leisteten. Neben den Zeitschriften mit eindeutig hegemonialer Ausrichtung gibt es viele, die darüber hinausgehen. Im Allgemeinen aber verbreiten diese Ideen zur Weiblichkeit. Aber nicht einmal die bürgerlichen Frauen, an die sich ein Großteil der gesellschaftlichen Überlegungen richtet, verinnerlichen sie. Das ist das Witzigste dieser Untersuchung. Sie glauben nicht daran und leiten selbst Institutionen wie das 1910 von Francesca Bonnemaison gegründete Institut für Kultur der Frauen. Das Interessante an diesem Projekt war, dass sie 1936 beim Ausbruch des Bürgerkrieges feststellt, dass viele dort ausgebildete Frauen sich nicht mehr auf die Rolle der Hausfrau beschränken wollen. Sie stellt sich dann die Frage, ob sie vielleicht zu weit gegangen ist mit ihrem Projekt.
Sie bereiten gerade ein Buch zum Thema “Küche” vor. Kommen Sie als Frau aus der Küche nicht heraus?
Nein, also ich kann gar nicht kochen. (Lacht) Ich bin nur wenig in der Küche gewesen. Aber Küchen interessieren mich sehr, weil sie Ausdruck der jeweiligen Häuslichkeit sind. Außerdem glaube ich, dass selbst die neutrale Architektur alle hegemonialen Überlegungen aufgreift und sie umsetzt. Es gibt aber auch innovative Highlights. Die österreichische Architektin Margarete Schütte-Lihotzky konzipiert 1926 für den sozialen Wohnungsbau die sogenannte Frankfurter Küche. Es handelt sich um eine kostengünstige Küche, in der die Abläufe der Hausarbeit optimiert sind. Eine Werkbank mit Hocker vor dem Fenster sorgt für gutes Licht. Diese Küche ist die Grundlage der Küche von heute.
Küchendesign ist nicht anekdotisch. Es spiegelt immer die vorherrschenden Verhältnisse wider. Wenn Hausarbeit wertlos ist, sieht man das in der Küchenkonzeption. Im vorindustriellen Zeitalter war die Küche der Mittelpunkt des Hauses, der soziale Treffpunkt. In den bürgerlichen Häusern liegen Küchen in einer “Sackgasse” am Ende des Flurs und mit Arbeitsplatten vor der Wand. Innovative Küchen kommen von Frauen. Ich liebe es, Verbindungen zwischen verschiedenen Bereichen wie Architektur, Geschichte und Literatur herzustellen. Die Dinge sind nicht unbedingt so, wie sie scheinen. Die Neugierde am Forschungsobjekt überwiegt, auch wenn man durch diese Arbeitsweise nicht zu einer Expertin eines Bereiches wird.
Wird die Geschichte femininer?
Ein bisschen. Die Frage ist komplex. Untersuchungen haben den gesellschaft-lichen Beitrag von Frauen auf allen Kontinenten herausgearbeitet. Aber momentan wird dieses Wissen wieder trivialisiert. Gestern war ich in einer Ausstellung über Frauen im Jahre 1714. Schockierend das Frauenbild, das dort mit öffentlichen Geldern vom Rathaus kolportiert wird. Frauen werden haupt-sächlich als kokett oder schön präsentiert. Es ist eine große Beleidigung für Frauen, wenn man sie nur als “Geliebte von xxx” oder “Frau von xxx” beschreibt. Machen Beschreibungen wie kokett oder schön heute noch Sinn?
Haben sich die Spanier mit ihrer Geschichte versöhnt?
Im Allgemeinen gab es kein großes Interesse an der Erforschung und Analyse der Geschichte. Zu den letzten Jahren – auch der Franco-Zeit – gab es einerseits ein absolutes Schweigen und andererseits sowohl rechts als auch links ein Interesse daran, Helden und Heldinnen zu schaffen. Aber die Wurzel des Übels wird nicht erklärt. Geschichten von Helden und Heldinnen aller Seiten erklären im Grunde genommen gar nichts. Für mich werten die ganzen Ereignisse von 1714 den Krieg als Motor der Geschichte auf. Ich bin absolut gegen diese Betrachtung des Kriegs als Leitbild der Geschichte. Krieg ist Tod und Zerstörung. Wenn man den Krieg als Motor der Geschichte hinstellt, wertet man die Gewalt auf. Das heißt Aggression und Gewalt werden gefördert. Die alltägliche Geschichte des Schaffens, bei der viele Frauen mitgewirkt haben, ist noch nicht geschrieben. Der einzige Weg, um Konflikte zu lösen, scheint Gewalt zu sein. Das sieht man auch in der Gewalt gegen Frauen. Wir bleiben diesen Werten treu.
Die Architektur von Barcelona und Frauen. Laut Ihrer Schätzung sind zwischen 30 und 40% der Gebäude im Eixample von Frauen finanziert. Warum weiß man davon so wenig?
Es gerät in Vergessenheit. Das geht vielen bekannten Gebäuden so. Die wohlha-bende Roser Segimon beauftragte Gaudí mit der Planung der Pedrera und finan-zierte den Bau aus ihrem Vermögen. Später wird er unter dem Namen ihres Ehemanns als Casa Milà bekannt. Ein anderes bekanntes von Frauen finan-ziertes Gebäude ist die Casa de las Punxes an der Diagonal, das die drei Terrades-Schwestern 1906 bei dem Architekten Puig i Cadafalch in Auftrag gaben. Heute ist es unter anderem darum so bekannt, weil der Architekt es mit einem Sant Jordi-Mosaik, dem Wahlspruch Sant Patró de Catalunya, torneu-nos la llibertad, versehen hat.
Wenn Sie freie Hand hätten, was würden Sie in Barcelona für Frauen errichten?
Für mich war es sehr wichtig, das von Bonnemaison initiierte Haus der Kultur der Frauen wieder seiner ursprünglichen Bestimmung zu übergeben. Sein Schicksal war ungewiss. Das Rathaus war sich nicht sicher, was mit diesem Ort geschehen sollte, darum haben wir es für kulturell kreative Frauen eingefordert. Für mich wäre es wichtig, die femininen Sichtweisen in den Auf- und Umbau der Stadt einzubeziehen. In die Frage: Welche Stadt wollen wir? den Blick von Frauen einfügen.
Fr. Segura, wir danken für das interessante Gespräch
von Ina Laiadhi
- Germain: “Pont Des Arts”
Infos
Els viatjes de Clotilde Cerdà i Bosch,
Isabel Segura Soriano, Ed
Schlagwörter: Frauen, Geschichte