Tag der Befreiung – wer feiert mit?
Die Deutschen haben ein sehr gespaltenes Verhältnis zum 8. Mai, dem Tag der Befreiung. Da ist von militärischer Niederlage über Schande und Schuld bis Scham und Entsetzen für jeden ein Grund dabei, weshalb dieser Tag nicht gefeiert werden sollte.
Am 7. Mai 1945 wurde die bedingungslose Kapitulation der deutschen Wehrmacht vereinbart und der 8. Mai als Zeitpunkt für die Einstellung aller Kampfhandlungen festgelegt.
Ein denkwürdiges Datum. In der DDR war es lange Zeit ein Feiertag, wie der Tag des Sieges im sozialistischen Bruderland Sowjetunion. Das 30 Meter hohe Monument im Treptower Park in Berlin erschien mir als Kind angemessen, um die Bedeutung dieses Tages zu symbolisieren. Ein Soldat, der ein kleines Kind auf dem Arm hält und mit dem Stiefel ein Hakenkreuz zertritt. Und dass es am Tag der Befreiung nach dem Gedenkzeremoniell Grillen im Garten und Straßenfeste für die Kinder gab, stand dazu in keinerlei Widerspruch. Wir feierten ja die Freiheit. Eine Freiheit, die wir wie sich später herausstellte gar nicht hatten.
In der BRD war die Anerkennung als Tag der Befreiung ein langer mühevoller Weg. 1949 nannte Theodor Heuss – wenig später der erste Bundespräsident – das Datum ein Paradox, weil „wir erlöst und vernichtet in einem waren“.
Willy Brandt gab als Bundeskanzler erstmals 1970 eine Regierungserklärung zum Tag ab.
Erst 1985 sprach Bundespräsident Richard von Weizsäcker in seiner Rede tatsächlich vom „Tag der Befreiung … von… der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft“. Die Wahrnehmung hatte sich innerhalb von 2 Generationen verschoben.
In Berlin war dieser 8. Mai 2020, der 75. Jahrestag der Befreiung einmalig ein gesetzlicher Feiertag. Dieses Jubiläum wäre so wichtig gewesen, um das Datum in einer Art Politik des Erinnerns zu verankern. Doch dann kam Corona und es gab nur eine stille Kranzniederlegung ohne Publikum und das war es. Kein Staatstreffen, keine Gala, keine Ehrungen.
Der ehemalige Bundespräsident Joachim Gauck hatte im letzten Jahr gewarnt, man sollte gegenüber der neuen Generation nicht von Schuld sprechen, die sei individuell, Nachgeborene hätten keine Schuld. Aber die Jungen müssen wissen, was geschah.
Hier muss auch kein Schlussstrich gezogen werden, wie teilweise verlangt wird. Wer 500 Jahre Reformation feiern kann, der kann erst recht 75 Jahre Befreiung vom Nationalsozialismus feiern.
Wir alle wissen, wer die Geschichte ignoriert, läuft Gefahr, die Fehler zu wiederholen. Ausländerfeindlichkeit, wirtschaftlicher Abschwung, Arbeitslosigkeit und Existenzängste, dieser 8. Mai war geprägt von einer Krisensituation, die einmal mehr zeigt, dass unsere Freiheit auf tönernen Füßen steht, dass wir das Erinnern brauchen, doch nicht mit dem erhobenen Zeigefinger, sondern als positives Erlebnis. Lasst uns doch in ganz Europa feiern, wir sind doch in guter Gesellschaft.
In den Niederlanden wird bereits der 5. Mai gefeiert, da an diesem Tag bereits die Kapitulation auf dem Gebiet der Niederlande ausgehandelt wurde.
Spanien hat sich im letzten Jahr entschlossen, den 5. Mai zum nationalen Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus zu erklären. Ein großer Schritt, wenn man bedenkt, wie zurückhaltend die Spanier im Allgemeinen mit der Vergangenheitsbewältigung sind. Das Datum kennzeichnet den Tag der Befreiung des KZ Mauthausen in Österreich, das hierzulande das Konzentrationslager der Spanier genannt wird, weil an die 7500 republikanische Spanier (nach verschiedenen Quellen auch deutlich mehr) hier interniert waren. Die historische Aufarbeitung ist zu großen Teilen der Amical de Mauthausen zu verdanken, die ihren Sitz in Barcelona hat und aus ehemaligen Häftlingen und deren Angehörigen besteht.
In Frankreich und Tschechien wird das Kriegsende am 8. Mai gefeiert. Auch Frankreich hatte diesen Feiertag bereits einmal abgeschafft, dann aber wieder aufgenommen. Auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion wird teilweise der 9. Mai als Tag des Sieges gefeiert, weil die Kampfhandlungen gegen die russischen Streitkräfte erst am 9. Mai endgültig eingestellt wurden.
Italien feiert den 25. April als Tag der Befreiung. Die USA haben ihren Memorial Day am letzten Montag im Mai ausgeweitet um alle Kriegsgefallenen zu ehren, auch die des I. und II. Weltkrieges. Und auch für die Amerikaner ist es kein Widerspruch, im selben Atemzug die Schwimmbadsaison zu eröffnen und den Sommerauftakt mit Picknicks zu zelebrieren.
Feiern wir das Erinnern, das Ende dieses schrecklichen Krieges und das Leben.
Von Kati Niermann
Zum Nachlesen: zitierte Reden zum 8. Mai
Schlagwörter: Geschichte, Kultur