Berliner Mauer – Problemlose Stornierung – Mit erstattungsfähigen Tickets
Wenn ich die Berliner Mauer in die Suchmaschine eingebe, ist dies die erste Anzeige, die mir entgegenspringt. Ist schon geschmacklos, wenn man bedenkt, dass ein ganzes Volk einstmals gerne die Berliner Mauer „storniert“ hätte, einige um den Preis von Freiheit, Leben und Familie.
Genauso stimme ich Moderatorin Sarah Kuttner zu, die es als dekadent empfindet, wenn Tom Kaulitz seiner frisch Angetrauten ein Stück Berliner Mauer schenkt, damit es in Heidi Klums Garten daran erinnert, dass Mauern nicht errichtet, sondern eingerissen werden sollen.
Noch gibt es Menschen, die bei dem Gedanken, dass die Berliner Mauer im August ´61 errichtet wurde, um West-Berlin hermetisch abzuriegeln, nicht mehr richtig durchatmen können. Noch gibt es Menschen, die bei den Bildern vom Fall der Mauer in den Wochen nach dem 9. November ´89 Tränen verdrücken. Ich merke beim Gedanken daran, wie sich mir ein Schluchzen in der Kehle kräuselt, doch es wachsen Generationen heran, die die typischen Betonblöcke, aus denen sich die Mauer größtenteils zusammensetzte, nur noch als historische Artefakte empfinden.
Die Berliner Mauer war das Sinnbild des Kalten Krieges, sie war der ultimative Akt der Teilung zwischen Ost und West. Immerhin wurde die innerdeutsche Grenze schon 9 Jahre früher errichtet. Diese letzte Maßnahme, das „Schaufenster der freien Welt“ West-Berlin mit einem „antifaschistischen Schutzwall“ zuzumauern, besiegelte das Schicksal eines Volkes, das zu zwei Völkern wurde.
Worte, die im Zusammenhang mit dem Bau der Mauer geäußert wurden, haben noch heute Symbolcharakter. Man nehme nur „Niemand hat die Absicht eine Mauer zu errichten“ von Walter Ulbricht, die zeigen, dass man von Politikern betrogen und belogen wird. Oder „Ich bin ein Berliner“ von John F. Kennedy, die sagen, ich kann nicht viel für euch tun, aber ich stehe auf eurer Seite.
Dagegen könnte der Satz von Günter Schabowski „Das tritt nach meiner Kenntnis… ist das sofort, unverzüglich.“ zur Öffnung der Mauer nicht eindeutiger Ausdruck der Kapitulation eines ganzen Regimes sein.
Was den „Nach-Wende-Geborenen“ abhandenkommt ist das Gefühl, das mit diesem Abschnitt der Geschichte einhergeht. Dass man den Kopf leicht einzieht und den Mund hält, wenn die Formulierung Antrag zur ständigen Ausreise fällt, dass man beschämt niederblickt beim Abholen des (ja doch) großzügig gewährten Begrüßungsgeldes. Das Zusammenspiel von fassungslosem Entsetzen und ehrfürchtigem Staunen und der Verwirrtheit dazwischen sowohl bei Errichtung als auch beim Fall der Mauer. Eine Mauer zu akzeptieren, war 1961 besser, als einen Krieg zu riskieren, eine Mauer einzureißen, war 1989 besser als den Volksaufstand bewaffnet eskalieren zu lassen. Doch alles hat seinen Preis, Schießbefehl, Mauerschützen und Maueropfer; Wendeverlierer, Wendehälse und -abzocker.
Einschneidend wird Geschichte da, wo sie persönlich wird. Meine Mutter war ein Kind, als die Berliner Mauer errichtet wurde, ich war Jugendliche, als sie fiel. Es fällt mir schwer, meiner Tochter zu erklären, was ich dabei empfunden habe. Mein Leben war gleichförmig, vorgezeichnet, vorhersehbar und ist dann scharf in einen Zickzackkurs abgebogen. Nach meinem Tagebuch aus dieser Zeit war es mir genauso wichtig, einen neuen Kassettenrecorder von meinem Jugendweihegeld zu kaufen, wie mich an politischen Diskussionen zu beteiligen. Ich konnte mich mit Parolen wie „Wir sind das Volk“, „Wir sind ein Volk“ oder „Wir bleiben hier“ gleichermaßen identifizieren (und dabei den Soundtrack von Dirty Dancing hören). Werte wie Selbstbestimmung, Freizügigkeit, Gleichberechtigung, Mitgestaltung, Vertrauen und Sicherheit haben sich in meiner Wahrnehmung entscheidend verschoben. Es erweitert den Blickwinkel, schafft einen Erfahrungsschatz, wenn man aus einem Land kommt, das es nicht mehr gibt, für eine Zukunft erzogen wurde, die nicht mehr möglich ist.
Man kann sehr geteilter Meinung sein über die Mauer, die einst Deutschland teilte, aber für viele ist sie ein persönliches Stück Geschichte. Mit solchen Themen geht man behutsam um. Was ich nach wie vor nicht abkann, ist, wenn aus meiner Vergangenheit Kapital geschlagen wird oder jemand der Meinung ist, er könne die Bedeutung genau erfassen und dann an der Oberfläche dümpelt. Schatzi, wir stellen uns ein Stück Berliner Mauer in den Garten? Komm wir buchen die Berliner Mauer, können wir ja kostenlos stornieren, wenn es uns zu viel wird?
Sorry, geht gar nicht!
Von Kati Niermann
Schlagwörter: Europa, Kultur, Moderne Welt