Bewegungen der schlimmsten Art
Es war der 19. September 1985. Wir lebten seit 5 Jah-ren in einem kleinen Häuschen in Mexiko City, fühl-ten uns wohl, glücklich und zufrieden. Die Kinder waren bereits auf dem Weg zur Schule in der Stadt. Um kurz nach sieben Uhr saßen wir gemütlich beim Frühstück. Es sah nach einem normalen Tag aus.
Aber dann hörten wir ein eigenartiges Rauschen und sahen erstaunt, dass unsere Deckenlampe leicht zu schwingen an-fing. Und dann überrollte es uns auch schon: das heftigste Erdbeben, das wir je in unserer Zeit in Mexiko erlebt haben. Es war schon zu spät, um auf die Straße zu flüchten. Also wankten wir wie auf einem schaukelnden Schiff unter einen Türpfosten – einer der sichersten Plätze bei Erdbeben – und hielten uns krampfhaft am Türrahmen fest. Es war nicht das erste Beben, das wir miterlebten, aber diesmal war es an-ders. Das ganze Haus schaukelte, Schranktüren sprangen auf, Wasser plätscherte in wilden Wogen aus dem Aquarium, Bücher und Vasen polterten auf den Boden und es schaukel-te und schaukelte. Angst lässt sich schwer beschreiben, aber wir standen da mit klopfendem Herzen und butterweichen Beinen, krampfhaft an den Türrahmen geklammert. Ich dach-te immer nur: Hör auf, bitte, bitte hör auf. Aber das heftige Schwanken wollte und wollte nicht enden. Eine Minute kann unheimlich lang sein. Dieses Erdbeben dauerte ganze 3 Mi-nuten. Aber dann, so plötzlich wie es gekommen war, war es vorbei. Es war, als hätte man die ganze Zeit die Luft angehal-ten und auf einmal konnte man wieder atmen. Auf der Straße standen schreiende und weinende Menschen, einige knieten betend auf dem Asphalt.
Mit immer noch weichen Knien lief ich ans Telefon und rief die Schule an. Glücklicherweise waren die Kinder inzwischen unversehrt in der Schule angekommen. Kurz danach gab es keinerlei Verbindungen mehr. Über der Stadt lag eine dunkle Staubwolke und erst Stunden später berichtete das Radio vom ganzen entsetzlichen Ausmaß dieses Bebens. Ganze Küstenteile waren abgebrochen, über 400 Häuser zerstört, tausende beschädigt. Kirchen, Museen, Krankenhäuser, gro-ße Hotels, alles lag in Trümmern. Man sprach später von 10.000 Toten, aber es dürften sehr viel mehr gewesen sein, ganz zu schweigen von den abertausenden Verletzten. Bei Fahrten durch die Stadt bot sich noch monatelang ein grau-enhafter Anblick.
In unserem Stadtteil waren alle Häuser heil geblie-ben und niemand war verletzt. Ich kann es heute noch nicht fassen.
Von Dixi Greiner, Februar 2021
Infos
Das Erdbeben in Mexico-Stadt war das bis dato schlimmste in Mexico mit einem Wert von 8 auf der Richterskala. Das Epizentrum lag weit außerhalb der Stadt, das Beben wird nach seinem Ursprung auch Michoacan-Beben genannt. Es gehörte nicht zu den stärksten Erdbeben der Welt, doch durch die besondere Lage von Mexico-Stadt auf dem Grund des trockengelegten Texcoco-Sees waren die Erschütterungen in dieser Region besonders verheerend und forderten die meisten Todesopfer, die Mexico je durch ein Erdbeben zu beklagen hatte.
Schlagwörter: Geschichte