Das A und O des Wetters
Die Omegawetterlage
Wen interessiert schon das Wetter am Nordpol? Als Kind hat man mir in der Schule beigebracht, dass meine Heimatstadt so hoch über dem Meeresspiegel liegt, dass selbst wenn die Polkappen schmelzen, mein Wohnort auf dem Trockenen liegt. Das hat mich damals sehr beruhigt. Heute weiß ich, dass das eine trügerische Sicherheit war.
In den letzten drei Jahren konnte man weltweit, auch in Spanien und Deutschland sehen, welch gefährliche Auswirkungen die Erwärmung des Nordpols und das damit einhergehende Abflauen des Jetstreams hat. In Deutschland gab es zwei Dürreperioden in Folge, die große Ernteausfälle einbrachten und die Wälder derart auszehrte, dass sie anfälliger denn je für Ungezieferbefall und Waldbrände sind. In Spanien gab es sintflutartige Regenfälle und verheerende Stürme und Gewitter, die Millionenschäden verursachten. Dürre in Russland, arktische Winter in Nordamerika, Überschwemmungen in Pakistan und Waldbrände in Kalifornien. Laut Wetterexperten müssen wir uns in Zukunft auf die Häufung so genannter Extremwetterlagen einstellen.
Allen genannten Katastrophen ist eines gemeinsam, die zugrundeliegende Omegawetterlage. Bei dieser blockieren zwei sehr südlich geratene Tiefdruckgebiete ein sehr nördliches Hochdruckgebiet. Der Jetstream bildet um die drei herum Wellen, die auf der Wetterkarte wie ein Omega Ω aussehen. Da das Hoch unterhalb des Jetstreams liegt, dreht es sich angeschoben von diesem im Uhrzeigersinn, die Tiefs oberhalb des Jetstreams entgegen dem Uhrzeigersinn. Statt also mit ihrer Drehung wie bei normaler Lage den Bewegungen des Strahlstroms zu entsprechen, blockieren sie ihn. Sie greifen wie Zahnrädchen ineinander und der Strom gerät ins Stocken. So bleiben die Hochs und Tiefs manchmal wochenlang hängen, statt nach 3 bis 6 Tagen weiterzuziehen. Ein solch blockierendes Hoch bringt im Sommer eine Hitzewelle, weil heiße Luft aus dem Süden fast ohne abzukühlen nördlich darum herumgeführt wird, und im Winter einen Kälteeinbruch, weil das östlich gelegene Tief das Hoch mit kalter Polarluft befeuert. Das kann mal schön sein, wie beim Fußballmärchen 2006, bringt aber, wenn es häufig auftritt, unsere Natur in Not. Und während Donald Trump angesichts des Kälteeinbruchs im mittleren Westen im Januar 2019 noch gehässig tweetet: „…global warming? Please come back fast, we need you!“, raufen sich Wissenschaftler und Klimatologen die Haare angesichts der schnellen Abfolge von durch die Erderwärmung bedingten Extremwetterlagen.
Das Abflauen des Jetstreams wurde deshalb zur Liste der erdklimatischen Kippelemente hinzugefügt, zu denen unter anderen das Auftauen des Permafrost, die Abholzung der Regenwälder und das Absterben von Korallenriffen gehören. Die Folgen beim Umlegen dieser Klimakippschalter durch die globale Erwärmung um nur wenige Grad werden als diskontinuierlich und irreversibel beschrieben und für einen Zeitraum noch vor Erreichen der Jahrhundertwende vorausgesagt. Es sei denn, wir verändern sofort und drastisch unser Verhalten. Denn bei ein bisschen Waldsterben und Überschwemmung wird das Problem nicht enden, hier fängt es erst an, Hungersnöte, kollabierende Wirtschaftssysteme, Flüchtlingsströme und Kriege können die Folge sein. Selbst hochentwickelte Industrienationen stoßen angesichts solcher Katastrophen an ihre Grenzen. Denken Sie zurück an das Elbehochwasser im Spätsommer 2003, wo wochenlang der Zug- und Autobahnverkehr ausfiel, oder an das Schneechaos in Münster im Herbst 2005, als viele Haushalte mitten im Kälteeinbruch tagelang ohne Strom ausharren mussten. Oder die Hitzerekorde der Sommer 2018 und 2019 mit Borkenkäfern und Waldsterben. Und dann überlegen Sie, wie es sein wird, wenn sich solche Vorkommnisse versiebenfachen. Denn das ist die Vorhersage bei gleichbleibendem Treibhausgasausstoß.
Fast könnte man meinen, die Erde hätte uns Covid 19 geschickt, um uns auf den richtigen Weg zu schubsen. Ein sehr esoterischer Ansatz, aber wir haben mit weltweiten Lockdowns genau so reagiert, wie es das Weltklima braucht: Eindämmung unnötigen Flugverkehrs, Einstellung der Kreuzschifffahrt, minimaler Autoverkehr, Industrie auf das Lebensnotwendigste beschränkt …
Vielleicht können wir ein paar der neuen Gewohnheiten in eine neue Klimanormalität übernehmen. Wenn wir auf die Bremse treten, kann der Jetstream wieder Fahrt aufnehmen und die Großwetterlage für uns ins Lot rücken. Denken Sie bei der nächsten Omegawetterlage drüber nach, denn die kommt bestimmt.
Von Kati Niermann, September 2020
Dossier 142: Wind und Wetter
Schlagwörter: Moderne Welt