Der verwaiste Cervantes
2016 ist das Jubiläumsjahr von zwei ganz großen Europäern. Es jährt sich der 400. Todestag sowohl von Cervantes als auch von Shakespeare. Neueren Forschungen zufolge nach fallen beide Tage wahrscheinlich auf das gleiche Datum. Shakespeare haben wir so gefeiert, wie es sich gehört.
Wegen der wirtschaftlichen Krise in Spanien fielen die Feiern um Cervantes dagegen eher dürftig aus. Aber das ist nicht das Wichtigste in diesem Jahr. Das Wichtigste ist wohl, dass Großbritannien die EU verlässt und ganz Europa damit im Londoner Nebel stehen lässt. Allerdings hat die frisch gewählte Premierministerin schnell versucht, die Wogen zu glätten, in dem sie in europäischen Hauptstädten verkündete: „Wir haben zwar die EU verlassen, bleiben aber weiter in Europa.“ Ich hoffe, Cervantes wird es trösten, dass sein Freund Shakespeare Europa nun doch nicht verlassen hat. Möge es zahlreiche Gelegenheiten geben, diese beiden Großen zu feiern in Anerkennung all dessen, was sie zu Kultur, Literatur und europäischer Kunst beigesteuert haben. Genauso wie es Goethe, Molière, Lagerlöff oder viele andere unermüdlich getan haben. Die Liste derer ist lang, die der europäischen Kultur ihr heutiges Gesicht gegeben haben. Wir brauchen heute mehr denn je eine gemeinsame Kultur, um diejenigen durchzuschütteln, die sich zu sehr an ihre Macht krallen. Manchmal hilft da nur, den ignoranten Leuten den (Taschen)Spiegel vorzuhalten. Das konnte Cervantes bestens. Durch eine stärkere, kulturelle Kooperation festigen wir unsere Bande. Lassen Sie uns einen gemeinsamen Marktplatz der Ideen schaffen, ohne Grenzen, ohne Zölle und mit Augenmerk auf das Verbindende, nicht das Trennende. Da würde Cervantes wieder fröhlicher werden. Und Shakespeare fühlte sich nicht so allein. Natürlich habe ich die Frauen an dieser Stelle nicht vergessen. Haben sie doch Hervorragendes geleistet. Stellen Sie sich vor, Hillary Clinton wird morgen Präsidentin der USA!!! Sie würde sich in eine Reihe einreihen mit Angela Merkel in Deutschland, der erwähnten Theresa May in Großbritannien und Christine Lagarde vom IWF. In den wichtigsten Ländern und Positionen tanzen wir inzwischen nach der Pfeife von Frauen. Sicher, diese Frauen an der Macht sind– noch- nicht perfekt. Ist das nicht dennoch eine positive Entwicklung?!?! Oder sind sie nur als Lückenbüßerinen zu verstehen, wenn Männer mit ihrem Latein am Ende sind!?!? Cervantes sähe es sicherlich zuversichtlich und gelassen! Sollte es mit den Frauen nicht auf Anhieb besser klappen: Frauen dürfen auch mal ein paar Dummheiten machen. Antworten werden wir womöglich nicht so einfach finden, wie schon unser Zitat auf der Titelseite andeutet. Lesen Sie mal wieder die Klassiker und profitieren Sie von Ihren Ferien! Wir sehen uns! Moin Moin!
Von Ina Laiadhi, Editorial TaschenSpiegel, Nr 117, 2016
Schlagwörter: Europa, Literatur