Die Apokalypse ist schon da
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Interview mit Teresa Lanceta, Textilkünstlerin
Interview mit der Künstlerin Teresa Lanceta, deren retrospekti-ve Ausstellung “Weben als offener Code” 2022 im MACBA zu sehen war. Ihr Werk umfasst Wandteppiche, Leinwände, Ge-mälde, Zeichnungen, Schriften und Videos. Lanceta entdeckte die Kunst des Webens im Kon-takt mit den Berberfrauen des Mittleren Atlas. Daher rührt ihre Leidenschaft für die Strukturen und Geometrien der Volkskunst auf verschiedenen Kontinenten.
Im Jahr 2022 gab es im MACBA eine Ret-rospektive Ihrer Arbeiten unter dem Titel “Weben als offener Code”. Wie wurde sie aufgenommen?
Sie lacht. Außergewöhnlich. Ich bin natür-lich sehr glücklich, weil so viele Besucher und Besucherinnen gekommen sind. Das erfüllt mich mit Freude und Stolz, denn die Kunst wird zu etwas, an dem jeder teilnehmen kann. Es sind nicht nur Leute gekommen, die mit Kunst zu tun haben, sondern alle möglichen Leute.
Ein Magazin aus Barcelona hat die Ausstellung als eine der 10 besten in Spanien im Jahr 2022 bewertet. Fühlen Sie sich geschmeichelt?
Nun, ich bin auch überrascht, weil es sehr gute andere Ausstellungen gab. Manch-mal hat man das Glück, dass man erwähnt wird. Ich nehme an, es könnte zehn bes-sere geben. Ich freue mich über die Wertschätzung, die auch in amerikani-schen Foren erwähnt wurde. Ich hatte noch eine weitere Ausstellung in Valenci-a, die vor kurzem zu Ende gegangen ist und die ebenfalls außerordentlich viele Besucher hatte. Viele Schulen und Int-ressierte von außerhalb Madrids und sogar aus Barcelona, die die Ausstellung im MACBA gesehen hatten, sind gekommen.
Haben Sie dort Teppiche ausgestellt oder sich selbst?
Beides. Sie lacht. Man kann sich selbst in seinen Werken wiederfinden, aber sie gehören auch anderen. Sie bewegen sich fort. Sie verändern ihre Bedeutung. Sie können sich sehr von dem unterscheiden, was ich mir vorgestellt habe. Wenn sie mein Atelier verlassen, ist es sehr schwie-rig, zu kontrollieren, was die anderen sehen werden. Das Beste ist, dass sie eine andere Sichtweise der Dinge haben. Ich habe in dieser Hinsicht großes Glück gehabt. Ich kann immer auf das Engagement meiner Vertrauten bauen. Dieses Ver-trauen hat sich für mich immer ausge-zahlt. Denn ich kann erwarten, dass sie sich gut um mein Werk kümmern werden. So bin ich ziemlich ungebunden. So habe ich nicht diese negative Last, dass ich kritisieren muss. Das hat meine Arbeit verbessert.
Was sind die verschiedenen Schritte beim Knüpfen eines Teppichs?
Ich knüpfe keine Teppiche. Meine Technik ist das Weben. Es ist eher wie ein Gobelin, ein gewebter Wandteppich. Im Prinzip legt man ihn nicht auf den Boden. Ich muss mich für die Größe des Webstuhls entscheiden, bevor ich ihn aufstelle. Das ist der erste Schritt. Es gibt Breitenmaße, ich kann 2,5 Meter nicht überschreiten. In der Länge habe ich vollen Spielraum, dank der Räder, mit denen man das Ge-webte ab- und aufwickeln kann. Es lassen sich so viele Meter weben, wie ge-wünscht. Zuerst entscheide ich über die Größe und ein bisschen über die Zeich-nung. Aber ich habe nie eine vorherige Zeichnung. Ich habe die Idee und ein paar Farben. Ich habe viel gezeichnet, aber immer erst nach dem Weben. Ich denke am Webstuhl nach, was mir hilft, zu über-legen, was ich tue und was dabei heraus-kommen wird.
Wann ist der erste künstlerische Gobelin in Europa aufgetaucht?
Sicherlich vor sehr langer Zeit. Die Vor-stellung von Kunst hat sich im Laufe der Jahrhunderte stark verändert. Im Mittelal-ter wurden bereits Kriegsfahnen gewebt. Das Weben ist sehr primitiv, es ist eines der ältesten Handwerke.
Worin besteht der Unterschied oder die Besonderheit zwischen den Wandteppi-chen in Marokko und denen in Spanien?
In Marokko habe ich meine Sichtweise auf die Webereien und die Weberinnen erweitert, aber ich kannte die Technik bereits und hatte schon vorher mit der Weberei gearbeitet. In Spanien gibt es nicht mehr viele Orte, an denen gewebt wird. Es gibt nur wenige Leute wie mich. Das Handwerk ist in Spanien fast verloren gegangen. Was gerettet wurde, ist die Stickerei, aber nicht das Weben. In Ma-rokko hingegen ist die Tradition noch lebendig. Sie benutzen sie noch, sie stel-len Kissen und Teppiche her, und sie klei-den sich zudem mit Stoffen, die sie selbst produzieren. In vielen Dörfern tragen Männer hausgemachte Textilien. Auch die Jaima – das Zelt – wird gewebt. In Marokko gibt es eine sehr lebendige und vielfältige Tradition. Es gibt drei sehr wichtige geo-grafische Gebiete, die sehr differenziert und reichhaltig sind. In Spanien sind wir gleich nebenan, deshalb erschien es mir wichtig hinüber zu schauen.
Was sind die Themen Ihrer Teppiche?
Ich arbeite an der Struktur des Webens selbst. Das heißt, ich übertrage meine Ideen auf eine natürliche Art und Weise auf den Webstuhl, eine Art und Weise, die es erlaubt, ohne Zeichnungen auszu-kommen. Um einen Gobelin herzustellen, zum Beispiel einen Wandteppich wie die von La Granja in Madrid, wird auf einen Karton ein Motiv gezeichnet , auf den Webstuhl übertragen und hergestellt. Das geschieht nach sehr genauen Vorgaben. Ich mag die Struktur des Webstuhls, die es erlaubt, Zeichnungen vor allem in Streifen auf eine sehr natürliche Weise und in Diagonalen anzufertigen. Ich mag es sehr, dass man die Struktur des Gewe-bes, das Geflecht der Fäden sehen kann.
Können die Themen der Wandteppiche eine Rolle bei der Sensibilisierung der Menschen spielen?
Zunächst einmal ist ein Hinweis, ob ihnen die Schönheit der Fäden, der Wolle, der Farben gefällt. Es ist etwas, das sie an-spricht, das sie als ihr eigenes empfinden. Wolle begleitet uns schon unser ganzes Leben lang in Pullovern oder Decken, die Farben sind anziehend, weil sie in sich selbst schön sind, in den Materialien. Was mich vor allem interessiert, ist zu zeigen, dass es eine Struktur im Stoff gibt, eine binäre Codestruktur. Der binäre Code wurde in der Ausstellung in Barcelona sehr gut erklärt: Es handelt sich um eine Reihe von Fäden, die abwechselnd gezo-gen werden. Es ist der primitivste Code der Zeit, und er wurde bis heute beibehalten. Der Binärcode ist sehr einfach, aber er kann sehr komplex werden, wie es bei Computern der Fall ist. Er ist ein Teil unserer mentalen Struktur, unseres Den-kens. Er ist ein Teil unseres Wesens und funktioniert auch in der Natur. Weben ist ein offener Code. Es überschreitet physi-sche, zeitliche und kulturelle Grenzen.
Sprechen wir über Frauen und die Tapis-serie: Kennen Sie eine Frau, die durch ihre Arbeit reich geworden ist?
Ich bezweifle das sehr. Es handelt sich um gute Subsistenzjobs. Die Frauen weben zu Hause, in ihren Häusern, im Allgemeinen für sich selbst, obwohl sie auch eigene Stücke verkaufen, besonders in Krisenzeiten. Männliche Weber, die in Werkstätten arbeiten, benutzen eher Webstühle mit einer glatten Unterlage, die sie mit den Füßen bedienen. Das geht viel schneller. Es erlaubt weniger oder nur program-mierte Muster. Männer verdienen eher ihr Geld auf diese Weise.
Sie haben Teppiche, Stoffe oder Projekte mit dem Institut Miquel Taradellas gemacht, woran arbeiten Sie jetzt?
Jetzt arbeite ich an einem Projekt für den Patio Herreriano in Valladolid. Ich werde in einer Renaissancekapelle aus dem 14. Jahrhundert ausstellen, die ein Museum ist. Für diese Ausstellung arbeite ich mit spanischen Teppichen aus dem 15. Jahr-hundert. Es gab muslimische Kreationen, die von den Christen, zum Beispiel den katholischen Königen, gekauft wurden. Ich denke über die drei Kulturen nach, die es damals gab: die christliche, die muslimische und die jüdische. Was hat jede dieser Kulturen mit Textilien ge-macht? Über diese Webkultur ist sehr wenig bekannt, da fast nichts erhalten geblieben ist, außer der Kleidung von Persönlichkeiten, die bei Bestattungen verwendet wurde. Diese Textilien wurden von den Muslimen hergestellt.
Sie haben zu Beginn Ihrer Karriere im Raval gewohnt, was sind die Symbole?
Einer der fünf Säle im MACBA war für den Raval reserviert. Dort waren verschiede-ne Leinwände und drei Wandteppiche ausgestellt. Jedes Werk trägt den Namen einer Straße oder von Festsälen, die dort früher existierten. Ich wollte in gewisser Weise nachahmen, wie die Straßen im Raval aussehen, die sehr labyrinthisch sind. Es gibt kaum gerade Linien wie in der Ensanche. Da die Teppiche im Raum aufgehängt waren, konnte der Betrachter sie von vorne und von hinten sehen. Das ist es, was ich vom Ortsteil Raval gerne zeigen würde: die Vorder- und Rückseite. Aspekte des Raval scheinen meist sehr negativ. Aber es ist ein einladender und kreativer Ort. Er nimmt seine Bewohner sehr offen auf. In vielerlei Hinsicht ist er sehr positiv. Mit den Schülern des Gymna-siums Miquel Tarradellas haben wir eine Karte der Berufe im Raval erstellt, um zu zeigen, dass es ein Viertel ist, in dem viele Menschen arbeiten. Das Viertel ist sehr lebendig.
Brauchen wir in Anbetracht dessen, was die Erde heute durchmacht, einen Wand-teppich wie die Apokalypse des Heiligen Johannes in Angers?
Sie lacht. Es gibt so viele Dinge, die wir heute brauchen. Bewusstheit und Res-pekt. Ich lebe in einer Gegend in der Provinz Alicante, in der die Wüste bereits angekommen ist. Sie ist bereits um uns herum. Die Apokalypse ist schon da. An-gesichts des Wassermangels finde ich es seltsam, dass in neuen Häusern nicht zwingend eine andere Sanitärstruktur vorgeschrieben ist. Nicht nur in Spanien, sondern überall auf der Welt. Die gegen-wärtigen Sanitäranlagen sind absurd, da sie eine ständige Wasserverschwendung in den Häusern darstellen. Wir werden große Einschränkungen bekommen.
Teresa Lanceta, vielen Dank für das Gespräch
Ina Laiadhi, Mai 2023
Infos
https://www.teresalanceta.com/
Schlagwörter: Frauen, Kultur, Traditionen