Die duale Ausbildung gewinnt an Boden
Interview mit Clara Bassols, Leiterin der Fundación Bertelsmann Barcelona
Schon kurz nach ihrem Amtsantritt wollte ich Clara Bassols interviewen, aber es kam mir immer etwas dazwischen. Der Taschenspiegel stellt gern Frauen in Führungspositionen vor. Als ich sie jetzt ansprach, antwortete sie mir zu meiner Freude sofort. Ich hatte viele Fragen zur Stiftung Bertelsmann vorbereitet, aber wir konzentrierten uns auf die beiden Projekte der Fundación Bertelsmann hier in Spanien. Ich werde also später nochmal in Ruhe auf diese international agierende Stiftung eingehen, die sich für Themen wie Kultur, Demokratie und Gesundheit besonders engagiert.
Wie geht es der dualen Ausbildung in Spanien?
Die Duale Ausbildung wurde 2012 zum ersten Mal gesetzlich geregelt in Spanien. Bis dahin gab es sie nur in der Deutschen Berufsschule FEDA (ehemals ASET). Das Gesetz von 2012 ist so allgemein gehalten, dass die spanischen Regionen ihre eigenen Vorschriften gemacht haben. Es gibt also sehr viele verschiedenen Modelle in Spanien. In einigen Regionen werden den Azubis z.B. keine Vergütungen gezahlt.
Ist das Konzept so, wie man es aus deutschsprachigen Ländern kennt?
Nicht so recht. Die Inspiration sind die deutschsprachigen Länder, aber es gibt Unterschiede. In Deutschland spielen die Handelskammern eine wichtige Rolle, sie aktualisieren die Curricula oder organisieren die Examina. In Spanien haben sie diese Rolle nicht. Es gibt hier keine Extra-Abschlussexamina. Der schulische Anteil an der Ausbildung ist hier höher. In Deutschland dagegen ist das Unternehmen der Hauptträger des Konzepts. Weil die Bedingungen hier anders sind, hat die Fundación Bertelsmann die Idee gehabt, eine Allianz zu bilden, in der viele Organisationen mitwirken und sich für eine qualitativ hochwertige Ausbildung einsetzen. Inzwischen hat die „Alianza para la formación profesional dual“ 900 Mitglieder, neben Unternehmen, Schulen, Schulverbänden, Bildungsministerien auch Rathäuser und Gewerkschaften. Wir werden von Partnern wie dem Center of European Trainees in Baden-Württemberg stark unterstützt.
Wie kam die Idee, die Formación dual nach Spanien zu bringen?
Die Idee kam nicht von uns, sondern von der Regierung. Es war offensichtlich, dass die Ausbildung zu schulisch war… und ist. Die Lehrer in der Ausbildung kennen oft nicht die Ansprüche der Unternehmen. Sie können den Lehrstoff nicht schnell genug anpassen. So lernen die jungen Leute oft theoretische Inhalte, die nicht so gut zu dem passen, was die Unternehmen benötigen.
Spielen die spanischen Firmen mit?
Ja, aber es geht sehr langsam. Wenn jetzt ein Unternehmen entscheidet, dass es Auzbis ausbilden will, dann könnte es im September noch nicht damit anfangen. Man muss ein Projekt entwickeln, man braucht die Autorisierung vom Bildungsministerium. In Katalonien könnten sie frühestens in einem Jahr starten. Das ist eine lange Zeit für ein Unternehmen. Manche Unternehmen wiederum wollen gleich mit 100 Azubis anfangen. Davon raten wir ab, das ist zu komplex. Wenn man klein anfängt und Erfolg hat, dann kann man es ausbauen. Bei einem Misserfolg macht man nicht weiter. Ein Problem ist momentan, dass nicht genügend Jugendliche selbst für interessante Unternehmen gefunden werden.
Woran liegt das? Hat man keinen Zugang zu den jungen Leuten? Haben die Eltern eine andere Strategie?
Man muss das Konzept der dualen Ausbildung viel bekannter machen. Ihr Image verbessern, denn die hiesige Berufsschule, FP (formación profesional), hat keinen guten Ruf. In der Fundación Bertelsmann bemühen wir uns sehr darum. Auch wenn wir klein sind, nehmen wir jedes Jahr an über 100 Events teil. Wir haben einen Preis für die besten Ausbildungsbeispiele vergeben, der kürzlich verliehen wurde. Wir bräuchten allerdings eine Kampagne der Bildungsministerien für Jugendliche und Eltern, damit sie sie besser kennenlernen. Akut ist der Bedarf in der Industrie sehr groß, aber es finden sich nicht genug Jugendliche. Nehmen wir das Beispiel Gas Natural, das sehr gute Berufschancen bietet. Eigentlich müsste jeder Jugendliche sich darauf stürzen, aber wir mussten erst eine große Informationskampagne zusammen starten, um genug zu finden. Bei einer Jugendarbeitslosigkeit von 33% in Spanien ist das nicht zu verstehen.
Da ein Entgelt gezahlt wird, sehen die jungen Leute sofort einen wirtschaftlichen Erfolg.
Ja, ohne Vergütung ist die Beziehung zwischen Unternehmen und Azubi weniger gut aufgestellt. Beide nehmen das dann nicht so ernst. Es kostet das Unternehmen nichts, also engagieren sie sich wenig. Die jungen Leute geben auch nicht ihr Bestes, wenn sie diese finanzielle Anerkennung nicht erhalten. Wir haben den Bildungsministerien Vorschläge gemacht, wie man das Gesetz ändern sollte, damit die Ideen sich widerspiegeln.
Welche anderen Projekte/ Ziele verfolgt die Bertelsmann Stiftung in Spanien?
Seit 2014 haben wir nur zwei Projekte, beide um die Jugendbeschäftigung steigern: die duale Ausbildung und das Projekt der koordinierten Berufsausbildung. Wir möchten die Schulen unterstützen, damit sie den jungen Leuten zwischen 14 und 18 eine bessere Berufsorientierung geben. Wir haben ein deutsches Handbuch ins Spanische übertragen, das wir an 30 Pilotschulen spanienweit ausprobiert haben. Für die Eltern, die ja mitentscheiden, haben wir einen Ratgeber herausgegeben, in dem 18 Experten diverse Fragen ausführlich beleuchten. Für die Jugendlichen selbst haben wir ein Online-tool entwickelt. Es ist eine Art Reise durch fünf Planeten, durch die die jungen Leute sich selbst und ihre Vorstellungen besser kennenlernen. Es gibt Aufgaben zu Gegenwart und Zukunft. Wer bin ich? Wo will ich hin? Was will ich mit 40 erreicht haben? Ein Monster geht auf die Ängste der Jugendlichen ein. Wir übersetzen es gerade ins Katalanische und auch ins Englische. Warum ins Englische? Der Stoff kann dann auch im Englischunterricht eingesetzt werden.
Die Bertelsmann Stiftung hat viele andere Projekte.
Sie hat weltweit 70 Projekte im sozialen Bereich, in der Bildung, Kultur, Demokratie und Gesundheit. Die Deutsche Bertelsmann Stiftung ist ein Think-Tank. Und wir hier sind ein Do-Tank. Wir arbeiten operativer. Wir haben auch Personal in Sevilla und Madrid, aber der Sitz ist hier in Barcelona. Für beide Projekte haben wir externe, spezialisierte Mitarbeiter, die die Unternehmen und Schulen in der dualen Ausbildung und der Berufsorientierung begleiten und unterstützen. Wir helfen den Unternehmen in der Praxis, damit sie wissen, welche Kompetenzen sie im Unternehmen aufbauen müssen.
Wir sind hier relativ unabhängig und stimmen unsere Projekte im groben mit der Zentrale ab. Wir leben hier eine sehr kooperative Teamkultur. Wir sind nur wenige, sehr engagierte Mitarbeiter, die deshalb sehr eng zusammenarbeiten.
Hat die Fundación Bertelsmann eine Rolle in der spanischen politischen Krise gespielt?
Ich würde sagen, in der Krise nicht, aber jetzt sind wir als Ansprechpartner für duale Ausbildung und Berufsorientierung gut angesehen. Man hört auf unsere Vorschläge.
Hat sie eine Rolle bei der europäischen Krise (Migration, Griechenlandkrise…) spielen können?
Wir fokussieren uns nur auf die beiden Projekte und versuchen, uns nicht zu verlieren. Wir sind dann sehr erfolgreich, wenn wir Sachen konkret angehen.
Besonders seit der Griechenlandkrise hat Deutschland durch seine Sparpolitik einen nicht so guten Ruf bei den südeuropäischen Völkern. Versucht die FB dem entgegen zu steuern? Wie?
Wir nehmen dieses schlechte Image nicht so wahr. Die Bertelsmann Stiftung ist eine deutsche Stiftung, die ihre Finanzierung durch die Familie Mohn auch in Spanien erhält. Wir profitieren von dem guten Ruf Deutschlands. Man sieht, dass die Unternehmen wettbewerbsfähig sind. Dass es wenig Jugendarbeitslosigkeit gibt, hat auch mit der dualen Ausbildung zu tun. Uns hilft, dass wir von Deutschland kommen und internationale Erfahrung mitbringen. Deshalb werden wir besonders gut angesehen. Wir haben keine Mühen damit, das Deutschlandbild zu verbessern. Wir sind zudem eine Stiftung und verkaufen nichts. Der Name Bertelsmann steht in keinem der Firmennamen der Gruppe. Alles was wir machen ist kostenlos. Unsere Mitglieder zahlen keinen Beitrag für die Allianz. Die Kosten werden hauptsächlich von uns getragen, aber wir haben inzwischen eine lange Liste von Unternehmen, die einen freiwilligen Beitrag leisten, in dem sie Druckkosten übernehmen oder als Sponsor auf unserem Kongress auftreten. Ein kleines Unternehmen dagegen „leiht“ uns seinen Azubi, damit er in einem Event von seinen Erfahrungen berichten kann.
Wir haben vor kurzem eine neue Webseite für die „Alianza para la formación dual“ gestartet, damit sich die Mitglieder leichter koordinieren können, damit das gleiche Thema nicht auf zwei oder mehr Wegen doppelt vermittelt wird.
Wie sind Sie zur Fundación Bertelsmann gekommen?
Ich habe lange Jahre als Anwältin für Arbeitsrecht in internationalen Kanzleien gearbeitet. Als mir der Vorschlag gemacht wurde, die Leitung zu übernehmen, dachte ich im ersten Moment, das passt nicht zu mir. Aber dann wurde mir klar, dass ich immer gern in einer Stiftung arbeiten wollte, die etwas für die Jugend in Spanien bewirkt. Im Auswahlverfahren habe ich mich dann durchgesetzt.
Wie gestalten Sie in Ihre Verantwortung als Direktorin des hiesigen Sitzes der Stiftung als Frau?
Wir sind ein sehr flaches Team. Ich halte engen Kontakt zu dem Team in Madrid und Sevilla. Wir haben ein monatliches, strategisches Meeting und wöchentlichen Teamsitzungen, damit jeder weiß, was der andere macht, woran er arbeitet. Wir koordinieren viel innerhalb der Stiftung und außerhalb mit unseren Partnern: den großen Organisationen, wie der Spanischen Handelskammer oder Wirtschaftsunternehmen, aber auch dem ganz kleinen Betrieb, der eigentlich nie Zeit hat. Wir sind in dieser Arbeit sehr erfolgreich. Wir wollen in den nächsten Jahren nicht mehr wachsen, sondern die Qualität unserer Projekte steigern, damit wir Vorzeigeprojekte haben. 2015 haben wir mit zehn Unternehmen angefangen und haben dieses Allianz-Projekt auch dem König präsentiert. Mein größter Stolz ist, dass ich ein wunderbares, junges Team habe. Unser Vizepräsident Francisco Belill hatte die Idee zur Alianza. Er ist als Türöffner sehr wichtig für unseren Erfolg gewesen. Er hat 2014 einen Teil des Teams ausgewählt und auch mich eingestellt. 2015 habe ich dann das Team vervollständigt.
Welche Werte vermittelt die Bertelsmann Stiftung?
Die typischen Werte: die langfristige Entwicklung der Gesellschaft fördern. Wir unterstützen nur unsere eigenen Projekte, nicht die von anderen. Wir setzen Impulse, wir sind die Schnellboote. Wenn wir eine Notwendigkeit entdecken, starten wir ein Projekt, um Lösungen zu finden und als Pilotprojekte auszuprobieren. Und danach kommen dann die Kreuzfahrtschiffe, die es allgemein verbreiten. Wir haben gerade die Genehmigung erhalten, dass wir nach 2019 noch drei Jahre weiter an diesen beiden Projekten in einer dritten Projektphase arbeiten können. Wenn die Projekte reif genug sind, d.h. die Kammern oder der Staat das übernehmen, werden wir uns ein anderes Betätigungsfeld suchen.
Gibt es viele Frauen, die in der Bertelsmann Stiftung eine ähnliche Funktion ausüben?
Ja, es gibt viele Direktorinnen in der Bertelsmann Stiftung, die eine ähnliche Arbeit wie ich ausüben. In Fundación Bertelsmann bin ich die einzige Direktorin, aber das Team besteht ca. zur Hälfte aus Frauen. Liz Mohn und ihre Tochter Brigitte sitzen im höchsten Gremium. Ich stelle in der Gesellschaft natürlich fest, dass je höher man kommt, desto weniger Frauen man trifft. Das müsste sich allgemein in der Gesellschaft ändern.
Lesen Sie den TaschenSpiegel?
Eigentlich nicht, aber jetzt werde ich ihn lesen. Sie lacht.
Bertelsmann steht für Lesen. Welches Buch würden sie unseren Lesern als Sommerlektüre empfehlen?
Ich habe gerade ein spannendes, originelles Buch gelesen von José Saramago: Die Stadt der Blinden. Die Gesellschaft wird in dem Buch plötzlich blind.
Clara Bassols, vielen Dank für das sehr interessante Gespräch.
https://www.fundacionbertelsmann.org
http://www.alianzafpdual.es/
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