Schriftstellerin Veza Canetti
Die Exil-Schriftstellerin Veza Canetti tritt in den Vordergrund
Der Name Canetti evoziert automatisch den Literaturnobelpreisträger von 1981 Elias Canetti. Seine schreibende erste Ehefrau Veza hatte ihn zeit ihres Lebens literarisch gefördert – ihr Anteil an Elias Canettis Gesamtwerk ist bedeutend, wie dieser selbst bekannte – sich selbst jedoch weitestgehend in den Hintergrund gestellt.
Nach Publikationsversuchen im Londoner Exil hatte Veza das Schreiben aufgegeben und war schließlich in Vergessenheit geraten. 1963 starb Veza Canetti in London. Als Elias Canetti einige Manuskripte Vezas dem Germanisten Helmut Göbel zur Verfügung stellt, ist der Weg geebnet zur posthumen Veröffentlichung ihres Werkes. 1990 erscheint der Novellenzyklus Die Gelbe Straße erstmalig unter dem Namen Canetti in Buchform. In den Folgejahren wurden weitere Werke von den Verlagen Hanser und Fischer publiziert: Der Oger, Die Schildkröten, Geduld bringt Rosen, Der Fund – mit durchschlagendem Erfolg. Seither beschäftigt sich die Literaturwissenschaft sowohl mit dem Werk Elias Canettis als auch mit dem seiner ersten Ehefrau.
Veza (Venetiana) Taubner Calderon, 1897 in Wien als Tochter des jüdisch-aschkenasischen Vaters Hermann Taubner aus Ungarn und der aus Bosnien stammenden sephardischen Mutter Rachel Calderon geboren, schloss ihre Schulbildung mit der Matura ab und gab in Wien Englischunterricht. Ihre fundierten Kenntnisse der Weltliteratur (Johann Wolfgang von Goethe, Heinrich Heine, William Shakespeare, Leo Tolstoj, Maxim Gorki, Guy de Maupassant) waren in den spaniolischen Kreisen sprichwörtlich. Bei einer Vorlesung von Karl Kraus lernte sie 1924 Elias Canetti kennen. 1934 heiratete das Paar.
Bevor Elias Canetti durch seinen ersten Roman „Die Blendung“ bekannt wurde, veröffentlichte Veza Taubner Calderon unter verschiedenen Pseudonymen in den 1930er Jahre ihre Kurzgeschichten in der Wiener „Arbeiter-Zeitung“ und erhielt 1932 den 2. Preis im von derselben Zeitung veranstalteten Preisausschreiben. Ihre Erzählung „Geduld bringt Rosen“ konnte sie 1932 unter dem Pseudonymn Veza Magd in der von Wieland Herzfelde herausgegebenen Anthologie „Dreißig neue Erzähler des neuen Deutschland. Junge deutsche Prosa“ publizieren.
Zusammen mit Elias und ihrem engen Freundeskreis war Veza Canetti eine glühende Verfechterin des Austromarxismus – ein auf die Bedürfnisse der Arbeiterklasse zugeschnittener Sozialismus, der in Österreich vorbildlich war. Noch heute zeugen viele gepflegte, für die Arbeiter errichteten „Gemeindehöfe“ in Wien davon, wie die nach dem Ersten Weltkrieg herrschende Wohnungsnot gelindert wurde. Veza Magd – ihr bevorzugtes Pseudonym – setzte sich stets für die Benachteiligten und misshandelten Geschlechtsgenossinnen ein und verlieh ihnen ihre literarische Stimme.
1938 flüchtete das Ehepaar Canetti nach Paris zu Bruder und Schwager Georges, einem dort bekannten Lungenspezialisten und emigrierte im Januar 1939 nach London. Der autobiographische Roman Veza Canettis „Die Schildkröten“ schildert die Nazi-Verfolgung in Wien und ihre Flucht nach England. Das Paar Canetti führte eine unkonventionelle Ehe: Elias Canetti hatte meist eine oder mehrere Frauen neben Veza, war charismatisch, aber egozentrisch und eifersüchtig.
Den gemeinsamen Lebensunterhalt verdiente Veza – wie viele Frauen in entbehrungsreichen Exilsituationen – mit Übersetzungen aus dem Englischen und als Lektorin in englischen Verlagen. Als Veza Magd übersetzte sie unter anderem den Roman von Graham Greene „The Power and the Glory“ (Die Kraft und die Herrlichkeit) und arbeitete als Lektorin in verschiedenen englischen Verlagen. Nach Angaben Elias Canettis scheiterten seine sowie Vezas Bemühungen um eine Veröffentlichung ihrer Werke. Ab 1956 schrieb sie nicht mehr, führte jedoch weiterhin die gesamte Korrespondenz ihres Mannes mit Familie, Freunden und Verlagen.
Veza Canettis Werke aus ihrer fruchtbaren Wiener Schreibperiode zeigen die von Arbeitslosigkeit und Armut geprägte Zwischenkriegszeit in Wien voller innerpolitischer Spannungen. Ihre Figuren sind skurrile, oftmals boshafte Gestalten aus der jüdischen Leopoldstadt, die sie in knappem, präzisem, humorvollem Stil entwirft. Nach der frauenfeindlichen und gewalttätigen Figur des Herrn Iger aus „Die Gelbe Straße“ konzipierte sie das Theaterstück „Der Oger“.
Eine 2013 an ihrem Wohnhaus in der Ferdinandstraße angebrachte Gedenkplakette und der nahe Veza-Canetti-Park erinnern an das ehemalige Domizil Veza Canettis. Seit 2014 wird jährlich der Veza-Canetti-Literaturpreis (10.000, – €) der Stadt Wien an junge Talente vergeben.
Zu Veza Canettis jüdisch-sephardischer Identität schrieb ich meine Dissertation („Ich bin Spaniolin“, 2018, Hamburger Lehmweg-Verlag) , die die stolze Selbstpositionierung Veza Canettis analysiert und anhand einer historischen Retrospektive das Festhalten der Sephardim an ihrer eigenen judenspanischen Sprache erklärt. Auch Veza Canetti sprach mit ihrem Mann das Djudezmo (Ladino), das als „Geheimsprache“ des Ehepaares registriert wurde.
Von Dr. Evelyn Patz Sievers
Schlagwörter: Biografisches, Frauen, Kultur, Literatur