Die Patin der Expats?
Der Klub Hannah, hörte ich, sei nach Hannah Arendt benannt worden. Hannah Arendt ist mithin die Patin eines Klubs von mehr oder weniger freiwillig in Spanien lebenden Nicht-Spanierinnen. Patinnen stehen für Wünsche, Ziele bzw. Programme, so wie Schul- und Firmennamen. Wofür steht Hannah Arendt?
Im Deutschen Historischen Museum sollte am 27. März 2020 eine Ausstellung mit dem Titel „Hannah Arendt und das 20. Jahrhundert“ eröffnet werden.
In den Zeiten des Eingeschlossenseins ist es gerade uns Vielreisenden untersagt, Ausstellungen zu besuchen. Sie finden schon gar nicht mehr statt. Dieser Anreiz zur Nachforschung fällt nun weg, doch bleibt das Buch zur Ausstellung und die online-Version auf dhm.de mit Bildern der Ausstellung und Radio-Features zu einzelnen Stationen in Hannah Arendts Leben und Werk.
Dort erfährt man, welche Aspekte am Leben und an der Arbeit von Hannah Arendt immer wieder und immer wieder neu interessieren.
Da Kultur und die Freiheit über Nacht in den Dornröschenschlaf geschickt wurden, warten wir auf den Prinzen oder die Prinzessin, die die Welt wieder wachküssen. Inzwischen bleibt Zeit, Hannah Arendt und dem Leitbild, das sie dem Klub Hannah gibt, nachzuspüren.
Hier erscheinen mir die Kapitel über Hannah Arendts (jüdisches) Selbstverständnis, die Auseinandersetzung mit einer anderen Sprache und Kultur und über Hannah Arendts inhaltliche Arbeit und ihre Persönlichkeit die Brücke zu bilden, die Frauen von heute mit dieser – wie sie selbst einmal sagte – altmodischen Frau des frühen 20. Jahrhunderts verbindet.
Hannah Arendt hat von 1906 bis 1975 gelebt, sie ist als deutsche Bürgerstochter in die Welt aufgebrochen, ohne sich um die damals üblichen weiblichen Rollenzuschreibungen zu kümmern. Sie studierte reine Theorie: Philosophie, evangelische Theologie und Griechisch und kümmerte sich nicht um alltägliches Gerede. Von daher focht sie der alltägliche „dumme“ Antisemitismus von der Straße nicht an. Selbstverständlich würde sie später eine leitende Position in der akademischen Welt zu übernehmen. Das war für die eigensinnige, hochintellektuelle Bürgerstochter völlig klar.
Doch als am Ende der 20er Jahre aus Redensarten menschenverachtende Politik wurde, verstand Hannah Arendt als politische Zeitgenossin glasklar, dass nun eine Politik alle Macht hatte, Juden zu entrechten. Und in der Tat wurden Juden seit 1933 Schritt für Schritt erst dämonisiert, dann entrechtet, schließlich beraubt, entwürdigt, entmenschlicht und ermordet. Hannah Arendt rettete sich bereits 1933 über Frankreich in die USA und wurde dort zu der politischen Theoretikerin, als die wir sie kennen.
In den Jahren des französischen Exils (1933 – 1940) leistete Hannah Arendt ausschließlich Sozialarbeit für jüdische Kinder und Jugendliche, die nach Palästina auswandern sollten.
1941, glücklich in den USA angekommen, wurden zunächst jüdische Fragen Hannah Arendts publizistisches Thema. In der Phase vor der Gründung Israels stritt Arendt gegen den Zionismus und die nationalistische Landnahme Palästinas gegen die dort lebende Bevölkerung. Sie trat für einen Staat ein, der Juden und Arabern unveräußerliche Menschen- und Bürgerrechte garantieren sollte. Das hat ihr keine Freunde gemacht. Das war nicht das einzige Mal, dass sie gegen den Zeitgeist anschrieb. Sie hatte verstanden, dass die gewaltsame Landnahme einen nie enden wollenden Konflikt auslöste, unter dem bis heute mehr denn je die Region und die Welt leiden. Hannah Arendt hat selten eine mehrheitsfähige Position eingenommen und sie war in der Sache sehr streitbar.
Bis 1951 war Hannah Arendt staatenlos, was sie wegen der damit einhergehenden Rechtlosigkeit sehr belastete. Dennoch hat sie zu den großen Streitfragen der amerikanischen Innen- und Außenpolitik Stellung bezogen. Zur Bürgerrechtsbewegung, zum Vietnam-Krieg, zu den Studentenrevolten und sie wäre nie nur einen Millimeter von ihrer Position oder ihren Urteilen abgewichen. Sie war eben unerschrocken, meinungsfreudig, ironisch-scharf in ihren Urteilen und hatte sich ihre Argumente gut überlegt. Dennoch war sie bei aller Meinungsfreudigkeit immer Argumenten zugänglich, wenn jemand ihr seine Perspektive zu der jeweiligen Frage plausibel machen konnte. Sie hörte gut zu und verstand sehr schnell.
Seitdem Arendt in den USA war, schrieb sie in Englisch, einer neuen Sprache für sie, die Jahr um Jahr mehr ihre eigene wurde. Sie behielt bis zu ihrem Tod ihren rumpelnden deutschen Akzent. Vermutlich war Assimilation nie ihre Sache. Wenigstens sollte man hören, woher sie kam.
Sie war beobachtende und teilnehmende Zeitgenossin, die zwar als Privatperson die Öffentlichkeit scheute, sie aber als argumentierende Theoretikerin suchte. Sie hat sich selbst und ihre Zeitgenossenschaft reflektiert und beurteilt. Dabei war sie unkonventionell, unerschrocken und wie sie selbst sagte: frech.
Vor allem jedoch hat sie nachgedacht, und zwar ungewöhnlich scharf.
Denken ist in ihren Augen die entscheidende Fähigkeit freier Menschen, um gemeinsam handeln zu können. Um unsere Welt zu gestalten, müssen wir über Maßnahmen entscheiden oder über uns wird entschieden. Für solche, schwerwiegenden Entscheidungen brauchen wir gut begründete Urteile und Positionen. Gerade weil wir nicht wissen können, welche Folgen unsere Maßnahmen haben werden.
Ihre bedeutenden Bücher bestätigen dies. Die „Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft“ (1951) stellen fest, welche Elemente einen totalitären Staat – jenseits aller ideologischen Systeme – ausmachen: unter der Bedingung der Massengesellschaft, in der es keine Bürgerrechte gibt, lassen sich die Menschen von der Propaganda einlullen. Eine straffe Staatsorganisation nutzt einen Polizeiapparat, der die Bürgerinnen und Bürger bespitzelt und terrorisiert. Die Menschen werden vereinzelt, sie fühlen sich hilflos und sind den Repressionen des Staates ausgesetzt. Im schlimmsten Fall folgt nun die systematische Liquidierung, d.h. Ermordung der erklärten Staatsfeinde.
In „Vita Activa“ fragt Hannah Arendt danach „was wir tun, wenn wir tätig sind?“ Sie stellt die Verwandlung menschengemäßer Tätigkeiten in sinnentleertes Handlangen und Konsumieren dar. Doch sie gibt uns die Hoffnung, dass wir mittels unserer condition humaine, insbesondere weil wir denken können, immer die Möglichkeit des Neuanfangs haben. Wir können etwas beginnen, wenn wir uns denn der Mühe des Denkens unterziehen.
Ihr umstrittenstes Buch bleibt „Eichmann in Jerusalem – Ein Bericht über die Banalität des Bösen“. In fünf Essays für die Zeitschrift The New Yorker zeigt Hannah Arendt mit welcher pedantischen Gleichgültigkeit Eichmann „seine Pflicht“ erfüllte und die Transporte der jüdischen Gefangenen aus allen Teilen des von den Nazis besetzten Europas organisierte. Sie schreibt auch, dass er bei dieser Aufgabe auf die in Jahrhunderten der Diaspora eingeübte Unterstützung durch die Judenräte rechnen konnte. Sie hatten die Aufgabe, die jüdischen Gemeinden gegenüber den jeweiligen Herrschenden zu vertreten und achteten vor allem darauf, dass diese keinen Vorwand haben könnten, zu Pogromen aufzurufen.
Der laute Streit gegen die Autorin zeigt, dass sie sich um Erwartungen nicht scherte. Auf jüdischer Seite hätte man sich das Porträt eines Teufels in Menschengestalt gewünscht und eine einfühlende Parteinahme für die Opfer. Hannah Arendt nahm für die Opfer Partei, aber anders als die damalige Gesellschaft es gerne gelesen hätte.
„Ich hab’ einfach gemacht, was ich machen wollte“, sagte sie im Interview mit Günther Gaus 1964 und ihr ganzes Leben bezeugt dies. Sie hat einfach das gemacht, was sie für richtig erachtete. Zuvor hat sie gründlich nachgedacht und dann unerschrocken ob der öffentlichen Reaktionen, ihre Sicht der in Rede stehenden Sache publiziert.
Das macht sie für uns Frauen auch heute noch zur Patin, der wir gar nicht genug für ihre Unkonventionalität und ihre klare Vernunft danken können. Es leuchtet ein, dass der Klub Hannah, sie zur Patin gewählt hat: eine politisch denkende Frau, die zupackend handelt, Schwierigkeiten nicht scheut und sich durchsetzt, Länder und Sprachen wechselt, im öffentlichen Leben Partei ergreift für unbeliebte Positionen und sich nie bruchlos einpasst. Eine Frau, die ich gerne zur besten Freundin hätte, und wie sie sich im Klub Hannah zusammenfinden.
Buchtipps:
Alle Bücher Hannah Arendts sind lesenswert, aber leider auch sehr umfangreich.
Für heutige Leser*innen seien unbedingt empfohlen „Wir Flüchtlinge“ bei Reclam erschienen, und „Die Freiheit, frei zu sein“ bei dtv. In jeder der beiden Publikationen findet sich eine Einführung bzw. ein Nachwort von Thomas Meyer, einem der besten Kenner der Schriften Hannah Arendts.
Der link zur Ausstellung „Hannah Arendt und das 20. Jahrhundert“ www.dhm.de Das Begleitbuch zur Ausstellung wurde bei Piper veröffentlicht.
https://www.youtube.com/watch?v=JSyTEUi6Kw Gespräch Günther Gaus mit Hannah Arendt 1964.
Von Irene Kambas
Schlagwörter: Biografisches, Frauen, Literatur