Editorial Nr 145: Nicht Schachmatt
Unser Dossier ist in der Ausgabe Nr 145 die Mode. Ich werde Ihnen aber von einer anderen Mode erzählen. Es ist zurzeit in Mode, über das Alter und das Altern zu sprechen. In der aktuellen Pandemie ist das nur natürlich, denn sie hat die Älteren in den Fokus gerückt. Sie benötigen mehr Aufmerksamkeit und Pflege, weil sie angesichts des Coronavirus sehr verletzlich sind. Aber gibt es das Alter wirklich? Das Alter wird wohl geehrt, nicht aber geliebt. Dagegen sagte die politische Philosophin und Publizistin Hannah Arendt: „Das Ich altert nicht!“ Soll uns das schmeicheln? Oder trösten? Es drückt eher aus, dass wir in jedem Lebensalter unmittelbar mit der Welt in Kontakt sind. Wie gehen wir mit unseren Alten um? Die Senior*
innen von heute – das vom Lateinischen abgeleitete Seniorin oder Senior hört sich freundlicher an, denn es drückt nur aus, dass jemand älter ist als jemand anderes, aber nicht alt – haben unsere Gesellschaften aufgebaut und dahin gebracht, wo wir gegenwärtig stehen. Deshalb sei ihnen besondere Anerkennung geschuldet. Die neuen digitalen Möglichkeiten, die es momentan fertigbringen, dass wir weiter in Kontakt bleiben, haben die Senior*innen jedoch nur bedingt aus der gerade notwendigen Isolation geholt. Strikte Isolation hat einen hohen Preis.
Erst langsam wird soziales Leben ohne zu großes Risiko wieder möglich. Eine hundertjährige Eiche zu werden, ist heute alltäglich, denn zu Beginn dieses Jahrtausends ist der menschliche Körper in den reichen und friedlichen Ländern mit einem nie dagewesenen Kapital an Jahren ausgestattet. Älter werden ist jedoch nicht einfach. Die Anti-Aging Kampagnen für die ü60 stehen in vielen Zeitschrift dafür. Wir sollten keine Falten haben, nicht rundlicher werden, immer strahlen und fit bleiben. Darüber hinaus wird das Alter durch das Urteil des Gegenübers plötzlich zu einer Rolle, die es zu spielen gilt, zu einem Kostüm, das wir anziehen. Wir sehen uns nicht alt werden. Eines Tages ist es jemand anderes, der es uns sagt.
Unsere Gesellschaft ist egoistischer geworden. Viele denken gern an sich selbst. Das können wir ändern. Gerade Seniorinnen oder Senioren leiden darunter, wenn sie nach dem Berufsleben mehr und mehr ins Abseits gleiten. Sie können heraustreten. Kreative bleiben immer kreativ. Und Kümmernde kümmern sich weiter. Sie kultivieren auch im hohen Alter noch ihre Fähigkeiten. Das Schaffen erhöht die Sensibilität, die die Freude am Leben eröffnet. Wir mögen das Graue, das Trübe, das Vergilbte, das Abgestandene nicht. Der bewusste Umgang mit der eigenen Langlebigkeit als inneres Ereignis, als klug geführtes Unternehmen ist unser Vermögen, körperlich und geistig. „Mehr Licht!!“ soll Goethe in den letzten Lebensmomenten gerufen haben. Er meinte damit sicherlich nicht die Stromrechnung, sondern das Licht des Herzens zu teilen.
Von Ina Laiadhi, Chefredakteurin
Schlagwörter: Moderne Welt