Frauentag
Brauchen wir den noch oder kann der weg?
Diese Frage lässt sich sehr leicht beantworten, denn wer sie stellt, hat offensichtlich eine große Wissenslücke im Bereich der Geschlechtergleichstellung. Solange diese Lücke besteht, brauchen wir auch den 8. März noch, um aufmerksam zu machen und aufzuklären.
„Each for Equal“ ist das Thema des diesjährigen International Womens Day (IWD). Mit diesem Motto wird klar, dass eine Öffnung des Frauentages angestrebt wird. Each = Jede*r meint nicht nur jede Frau, sondern jeden Menschen. Frauen sollen im 21. Jahrhundert nicht mehr allein und gegen Männer, sondern gemeinsam mit ihnen um Gleichberechtigung kämpfen.
Gleichzeitig ist eine neue Sachlichkeit eingezogen, die den Frauentag aus der Hysterie-Ecke katapultiert. Klar regen wir uns auf, aber wir können unseren Standpunkt mit Daten und Fakten untermauern, die seit Anfang des Jahrhunderts vielschichtig zusammengetragen werden.
Zum Global Gender Gap, der weltweiten geschlechtsbedingten Kluft wird zum Beispiel seit 2006 vom World Economic Forum (weforum.org) jährlich ein Index erstellt. Damit kann man im Ländervergleich, aber auch unter dem zeitlichen Aspekt sehen, woher wir kommen und wie weit der Weg zur Gleichheit noch ist. Dabei wird nicht nur der Pay Gap berücksichtigt, sondern auch Wirtschaftsteilhabe, Chancengleichheit, Bildung, Gesundheit und politisches Machtgefüge. Diesem Index zufolge haben wir global gesehen circa 68% des Weges zur Gleichbehandlung zurückgelegt. Im Vorjahresvergleich sind das weit weniger als 1 %. Wenn wir in diesem Tempo voranschreiten, ist der 8. März noch mindestens für die nächsten 40 Jahre ein feststehender Termin.
Nun könnte man sagen, naja, im Weltmittel zieht uns Afrika nach unten, mit Kinderhochzeiten, Genitalverstümmelung und religiös angestachelter Gewalt gegen Frauen bis hin zur Gesetzmäßigkeit der Vergewaltigung in der Ehe. Ja, selbst wenn es nur Afrika wäre, wäre es doch Grund genug, auf die Straße zu gehen und zu demonstrieren. Doch zum einen besteht der Gender Pay Gap sogar im ach so fortschrittlichen Silicon Valley (siehe weforum.org), zum anderen sehen die Statistiken, wenn man nur Europa betrachtet, auch nicht so rosig aus.
Hier ermittelt seit 2007 das Europäische Institut für Gleichstellungsfragen EIGE einen Geschlechterindex. Dieser hat sicher andere Maßstäbe, aber das Mittel liegt in diesem Jahr europaweit bei 68,8 Punkten. Deutschland liegt mit 68,7 einen Hauch darüber, steht aber im Vergleich zu Spanien mit 74,6 Punkten deutlich schlechter da. Wenn es um Arbeitsgerechtigkeit, Wissen, Machtteilhabe und Gesundheitssystem geht, kaufen die Spanierinnen den deutschen Frauen den Schneid ab. Hierzulande ist es wiederum um die gerechte Entlohnung schlecht bestellt. In diesem Bereich liegt Spanien mit 78,7 Punkten weit unter dem Schnitt von 82,6. Das Lohngleichheitsgesetz, das mit seiner Forderung nach verpflichtender Gehaltstransparenz im letzten Jahr in Spanien in Kraft trat, ist zumindest ein Schritt in die richtige Richtung, um Missstände aufzudecken. Das soll den Grundstein legen für eine systematische Veränderung des Lohngefüges. Bleibt abzuwarten, ob es Früchte trägt. Bis dahin haben sowohl Spanierinnen als auch deutsche Frauen einen Grund, am 8. März Präsenz zu zeigen.
Und was bitte schön soll die Männer antreiben, Gleichberechtigung einzufordern?
Nun, strukturell gesehen brauchen wir in Europa gut ausgebildete Frauen, die qualitativ hochwertige Arbeit leisten. Wir steuern in den Industrieländern auf einen Mangel an qualifizierten Arbeitskräften zu, wenn er nicht schon vorliegt. Da können wir nicht nach Männlein und Weiblein die Arbeit aufteilen, wie das in den Nachkriegsjahren wieder eingeführt wurde. Um den Mangel abzufedern, müssen Frauen auch den Anreiz haben, sich zu exponieren, nicht ausschließlich aber doch an erster Stelle über die gleichberechtigte Entlohnung.
Gerade in männerlastigen Berufen wie in der Technik, der IT oder im Ingenieurwesen ist durch Integration und Diversität sehr viel zu gewinnen. Je vielseitiger der Blickwinkel, umso besser gelingen Bedarfsermittlung, Produktentwicklung, Design und Feinabstimmung. Ein Wettbewerbsvorteil, der beim heute vorherrschenden Konkurrenzdruck nicht einfach verspielt werden darf. In Unternehmen, in denen darauf geachtet wird, was Frauen brauchen, wird fast automatisch abgeglichen, was jeder Mitarbeiter braucht, um einen zufriedenstellenden und damit produktiveren Arbeitsplatz zu bekommen. Unbewusste Vorurteile führen im Gegensatz dazu, dass Talente nicht ausgeschöpft werden.
Gleiches gilt innerhalb der Familie. Das heimische „Care-Paket“ aus Kinderbetreuung, Haushalt und Altenpflege muss anders verteilt werden, damit Frauen sich ihrem Potential entsprechend einbringen können. Haushaltshilfen, Kinderbetreuungskonzepte und Altenpfleger*innen können Familienfrieden stiften. In diesen Berufen sind allerdings vorwiegend Frauen unterwegs und sie sind (daher?) in der Regel schlecht bezahlt.
Wir brauchen also Frauen in „Männerberufen“, Diversität am Arbeitsplatz, gerechte Regelung von Pflege- und Betreuungsleistungen, neue Konzepte für den Haushalt. Dafür können sich auch Männer stark machen, denn eine Verbesserung kommt allen gleichermaßen zugute, sei es privat oder im Job.
Dafür brauchen wir den Frauentag. Der kann also noch nicht weg!
Von Kati Niermann, Februar 2023
Schlagwörter: Frauen, Kultur, Moderne Welt