Historische Einigung: Europäischer Aufbauplan NextGenerationEU
Am 21. Juli 2020 haben die Staats- und Regierungschefs der EU-Mitgliedsstaaten (Rat der EU) nach einem mehrtägigen Sitzungsmarathon eine Einigung über den Europäischen Aufbauplan NextGenerationEU (750 Milliarden Euro) und den mehrjährigen Finanzrahmen 2021-2027 (1 100 Milliarden Euro) erreicht. NextGenerationEU soll aus der Corona-Krise führen, der Finanzrahmen legt außerdem die EU-Mittel der nächsten sieben Jahre fest.
Historisch! Skandalös! Riesenerfolg! Totgeburt!
Wie immer waren die Reaktionen so unterschiedlich und bunt wie die EU-Mitgliedsstaaten und ihre Parteienlandschaften. In vielen Ländern berichteten die Medien im Live-Ticker über die Verhandlungen und unterstrichen so deren Brisanz.
Die Europäische Kommission hatte einen Aufbauplan NextGenerationEurope mit Zuschüssen in Höhe von 500 Milliarden Euro und -zurückzuzahlenden- Krediten in Höhe von 250 Milliarden Euro vorgeschlagen, um EU-Mitgliedern aus der Corona-Krise zu helfen. Nach 91 Stunden Verhandlung hatten sich die 27 Staats- und Regierungschefs schließlich auf einen Aufbauplan mit 390 Milliarden Zuschüssen und 360 Milliarden Krediten geeinigt. Die Verhandlungen waren zäh. Zumindest die deutschen Spitzenpolitiker*innen kennen das aus den Verhandlungen zwischen Bund und (Bundes-)Ländern.
An der Medienberichterstattung konnte man deutlicher als sonst ablesen, wie unterschiedlich die Länder der EU und ihre Forderungen sind: Nord-Süd-Gefälle, die selbsternannten „sparsamen Vier“, stärkere und schwächere Wirtschaften, etc. Im Grunde ist dies überhaupt nichts Neues, das EU-Motto „in Vielfalt geeint“ bringt diese grundlegenden Unterschiede seit jeher zum Ausdruck. Es gibt kleine, mittlere, große, arme und reiche Staaten in der Europäischen Union. Noch dazu mit Regierungen verschiedenster Couleur, die für ihr Land und auch ihre Parteien das vermeintlich beste Ergebnis erzielen wollen. Die Kunst der EU-Politik besteht darin, das beste Ergebnis für die gesamte Union zu erzielen.
Ja, die Einigung ist historisch. Denn die EU-Staaten nehmen, in dieser Form, zum ersten Mal gemeinsame Schulden auf. Davor hatte sich gerade Deutschland lange Zeit gesträubt und sich noch während der Euro-Krise mit Händen und Füßen gewehrt. Ohne den europäischen Schulterschluss wäre es für EU-Mitglieder wie beispielsweise Spanien sehr schwer, Kredite auf den Finanzmärkten aufzunehmen. Und ohne zahlungsfähige Kunden in EU-Absatzmärkten wären auch Exportnationen wie Deutschland auf gravierendere Probleme zugesteuert.
Sicher muss nun engmaschig kontrolliert werden, dass die Gelder im Leben der EU-Bürger*innen Wirkung zeigen, vernünftig investiert und die Kredite schließlich zurückgezahlt werden. Es ist aber auch wichtig, zu erkennen, dass die EU-Staaten einander zur Seite stehen. Und dass sie kein Vakuum entstehen lassen, das nicht-EU-Staaten mit Krediten und damit einhergehenden, politischen Forderungen füllen könnten.
EU-Parlament: Nicht mit uns, so nicht!
Der Europäische Aufplan NextGenerationEU bedeutet allerdings auch, dass Mittel des mehrjährigen Finanzrahmens gekürzt werden sollen. Die Corona-Kosten und die weggefallenen Zahlungen des Vereinigten Königreichs müssen ausgeglichen werden. Konkret wurden Kürzungen im zukunftsweisenden Forschungsprogramm Horizon (Horizont 2020), im Bereich Gesundheit und im Investitionsplan InvestEU in den Raum gestellt. Erasmus+, dem EU-Programm für Bildung, Jugend und Sport, stehen ebenfalls Kürzungen im Ausbau der bisherigen Mittel ins Haus. Und was wird aus dem europäischen Grünen Deal, dem Fahrplan für eine nachhaltige EU-Wirtschaft, der ebenfalls zukunftsweisend ist? Die nächste Generation in der EU sind (auch) die jungen Menschen und der Klimawandel macht den Umweltschutz zum Kernthema der Zukunft.
Abgeordnete verschiedenster Parteien im Europäischen Parlament, von links bis rechts, haben auch deshalb bereits heftige Kritik am Paket der europäischen Staats- und Regierungschefs geäußert. Nun müsse die parlamentarische Kontrolle das ausgleichen, was im Sitzungsmarathon unter den Tisch gefallen sei.
Darüber hinaus will das Europäische Parlament auch die Wahrung der Grundwerte der EU (Art. 2; Vertrag über die EU) gesichert sehen. Dazu gehört die Rechtsstaatlichkeit, die in einigen EU-Staaten akut und in anderen latent bedroht ist. Die beiden gesetzgebenden EU-Einrichtungen, Rat und Parlament, müssen sich nun in voraussichtlich zähen Verhandlungen einig werden.
Von Kolja Bienert
Informationen zum Europäischen Aufbauplan NextGenerationEU aus erster Hand finden Sie hier: https://ec.europa.eu/info/live-work-travel-eu/health/coronavirus-response/recovery-plan-europe_de
Schlagwörter: Europa, Moderne Welt