Ignacio Zuloaga und die spanische Seele?
Ignacio Zuloaga (1870-1945) hat wie kein anderer Künstler mit seinen Stierkämpfen, Frauenportraits und der Darstellungen der kargen Landschaft Kastiliens das Spanienbild weit über die Grenzen seines Landes hinaus geprägt.
Spanien hatte 1898 den Krieg gegen Amerika verloren und musste auch seine Kolonien wie Kuba und die Philippinen aufgeben. Die einstige Weltmacht war an einem Tiefpunkt angelangt. Bei der Gestaltung einer neuen Zukunft spielten Literatur und Kunst eine Rolle. Die Frage stellte sich nach dem wahren Spanien, nach Tradition oder Moderne, setzte man auf eine Öffnung nach Europa oder auf die Rückbesinnung zu den nationalen Wurzeln.
Zuloaga wurde im baskischen Eibar geboren. Eine erste Ausbildung machte er bei einem Privatlehrer in Madrid, wo er auch die großen spanischen Meister im Prado studierte. 1890 zieht es ihn, wie so viele junge Künstler nach Paris. Schnell findet er dort Anschluss an die katalanische Künstlerclique um Santiago Rusiñol, zu der auch Gauguin, Degas und Toulouse-Lautrec gehören. In Paris wird der Weg für die Moderne bereitet, seine Künstlerfreunde experimentieren mit neuen Formensprachen. Zuloaga bleibt aber der traditionellen gegenständlichen Malerei treu. Es scheint, dass sich in seinem langen Aufenthalt im modernen Paris, die Sehnsucht nach dem traditionellen, vermeintlich ursprünglichen Spanien begründet hat. Ab 1898 verbringt er jedes Jahr mehrere Monate bei seinem Onkel in Kastilien. Kastilien wird zu seinem Sehnsuchtsort, zu dem wahren Spanien: „Ich bin aus dem Baskenland, fühle mich aber viel aktiver, wenn ich in Segovia lebe. Ich kann die große Weite des kastilischen Himmels und der Landschaft betrachten. Kastilien erschuf Spanien und unser Innerstes. Ob wir Basken, Galizier, Katalanen oder Andalusier sind: Wir müssen aus unserer Region heraustreten und Kastilier werden.“ Zuloaga malte das alte Spanien mit seinen Traditionen und Bräuchen, dabei glorifizierte er seine Dargestellten nicht. Er gehört der sogenannten Gruppe ‚1898’ an. Dies ist eine Gruppe, die sich nach dem verlorenen Krieg und dem Verlust aller Kolonien, nicht einem modernen Spanien öffnen möchte. Für den Philosophen Jose Ortega y Gasset zeigt genau dies die Tragik eines ganzen Volkes, das sich der Moderne verweigert, um seine Ursprünglichkeit zu bewahren und dem genau darum der Untergang droht. Die Sujets scheinen bei Zuloaga aus der Zeit gefallen zu sein, nichts deutet auf Industrialisierung und technischen Fortschritt hin. Er zeigt das einfache und entbehrungsreiche Leben der Landbevölkerung, müde Stierkämpfer, Bettler, Kleinwüchsige und Asketen. Seine Flamenco Tänzerinnen sind oft zweideutig und haben wenig mit Folklore zu tun. Seine Landschaften sind karg und unwirklich. Oft erkennt man Anlehnungen an seine großen Vorbilder Velásquez und Goya. Im Ausland wurde seine Malerei gefeiert und weckte das Interesse an Spanien und dessen Bräuchen und Traditionen. Don Quichotte, Carmen und Zuloaga waren für sie die Botschafter Spaniens. Anders bei den Spaniern, ihnen war seine Malerei zu unpatriotisch, zu rückständig und vom Ausland bestimmt. Zuloaga genoss den Ruhm im Ausland und doch träumte er von einem Spanien das sich der Moderne verweigert und in seinen Grenzen verhaften bleibt. Im Spanischen Bürgerkrieg schlägt er sich auf die Seite der Putschisten. 1940 porträtiert er Franco in Heldenpose. Dieser sonnt sich in seinem Ruhm und verschenkt seine Werke auch an befreundete Despoten. 1939 schenkt Franco Hitler drei Werke von Zuloaga, als Dank für die Unterstützung durch die Legion Condor.
Heute erlebt Zuloaga eine Renaissance. Er wird als Meister der figürlichen Malerei gefeiert. Dies mutet befremdlich an, da er ein Maler ist, der sich mit einem Despoten eingelassen hat. Franco hat von einem archaischen Spanien geträumt, von der Auferstehung des untergegangenen Weltreichs. Aber Zuloaga hat das archaische Spanien in seiner ganzen grausamen Realität dargestellt. Seine Toreros sind ausgelaugt und müde, die Bauern von Arbeit und Witterung gezeichnet und seine Gitanas haben nur wenige Gemeinsamkeiten mit der Romantik von Bizets Carmen. Er gehört ganz sicher zu den herausragenden Vertretern des sozialen Realismus. Seine Beobachtungsgabe, sein malerisches Können und die Wahl seiner Sujets bestätigen dies. Doch die Nähe und die Vorteilsnahme zu und durch Diktatoren kann nicht totgeschwiegen werden und muss aufgearbeitet werden.
Von Gabriele Jahreiß, Kunsthistorikerin, Januar 2024
Schlagwörter: Europa, Kultur, Museen und Sehenswürdigkeiten