Interview der Redaktion Kati Niermann
Foto: Niermann
Dieses Mal wollte ich keiner Einzelpersönlichkeit das Wort geben, sondern der ganzen Redaktion, um die aktuelle Situation anhand einer Anekdote und ein paar Fragen zu philosophieren… Idee von Ina Laiadhi
• Viele Leute sprechen vom Vor- Corona und dem Nach-Corona. Glaubst Du an ein Nach-Corona? Warum?
• Was hat Dir am meisten gefehlt/ fehlt Dir am meisten?
• Was hat Dich am Ehesten gerettet? Kinder, Lesen, telefonieren, Poesie, kochen?
• Es erheben sich jetzt Stimmen, die sagen, dass das Coronavirus die Frauen wieder mehr ins Haus bringt und das sei gut so. In wirtschaftlicher, erziehungsmäßiger, kulinarischer Hinsicht. Teilst Du diese Idee?
• Die Krise in einem Wort.
Anekdote : Meine Tochter hat Anfang Mai Geburtstag. Da es der 14. ist und ein wichtiges Datum, der Übergang zum Erwachsenwerden, hätten wir richtig groß gefeiert. Ende Mai hätte sie Konfirmation gefeiert. Das neue Kleid hängt schon im Schrank. Jetzt können wir alles nur im kleinen Kreise oder gar nicht feiern. Ich bin sehr stolz, wie sie damit umgeht. Wie sie einen Rückschlag nach dem anderen schluckt und sich anpasst. Wie sie sich jeden Morgen vor das Tablet setzt und genau wie wir Erwachsenen ihren Job per Videoschalte und in Eigenverantwortung macht. Wie sie mit Freundinnen neue Wege der Kommunikation entdeckt, um sich gegenseitig Mut zuzusprechen. Ich denke, wenn dieses Schuljahr vorbei ist, haben sich alle unsere Kinder einen Extra-Applaus verdient, für die Stärke, die sie täglich beweisen müssen.
Ich wünsche mir, dass es ein Nach-Corona gibt. Eines, in dem die Menschen im einzelnen und vor allem Politik und Wirtschaft neue Lösungen und Strategien finden, um mit unserer Welt so umzugehen, dass sie auch für künftige Generationen erhalten bleibt. Denn die Natur hat uns jetzt deutlich gezeigt, dass sie nicht nur eine Ressource für den Menschen ist, die es möglich preiswert auszubeuten gilt. In diesem Nach-Corona wünschte ich mir ein Nein zu Kreuzfahrten, ein Nein zu Inlandsflügen, ein Ja zu nachhaltiger Waldbewirtschaftung, ein Ja zu gesünderer, fleischreduzierter Ernährung, ein Ja zu lokalem Einzelhandel. Wenn wir uns umsehen, müssen wir zugeben, dass die Coronakrise zu großen Teilen selbstgemacht ist, weil wir in Bereiche der Natur eingreifen, die wir unberührt lassen sollten, weil Höher-Schneller-Weiter uns eine Schlagzahl vorgibt, der wir ohne Nachdenken hinterherrennen, konsumieren, Müll produzieren und dabei selbst ausbrennen. Nach Corona sollten wir ausloten, was wir wirklich brauchen, was uns guttut und was Luxus ist, den wir uns auf Kosten zukünftiger Generationen leisten. Wir müssen konsequent sein, Nach-Corona hat jetzt schon begonnen.
Es erheben sich jetzt Stimmen, die sagen, dass das Coronavirus die Frauen wieder mehr ins Haus bringt und das sei gut so. In wirtschaftlicher, erziehungsmäßiger, kulinarischer Hinsicht. Teilst Du diese Idee?
Ganz und gar nicht. In einer idealen Welt sollte jeder, ob Mann oder Frau, sich selbst aussuchen können, wie er seine Rolle im Leben ausfüllen möchte. In der realen Welt, gerade hier in Spanien wird die Coronakrise eine wirtschaftliche Krise nach sich ziehen, in der beide Geschlechter hart am Wiederaufbau arbeiten müssen. Wir können uns keine “Frau am Herd” leisten und wollen es auch nicht.
In einem Chat hat eine Mutter gefragt, was so schlimm daran sei, dass die Kinder jetzt wieder lernten, sich am Haushalt zu beteiligen, ihren Geschwistern Lieder vorzusingen, zu kochen, zu putzen und Strümpfe zu stopfen. Das klingt für mich sehr schmerzhaft nach einer Rolle rückwärts in der Geschlechtererziehung. Da kann ich nur sagen, viele Menschen haben für das Recht der Kinder -insbesondere für Mädchen- gekämpft, in die Schule zu gehen und dort für ein gutes selbstbestimmtes Leben zu lernen. Wollen wir wirklich unsere Kinder so erziehen, dass sie aufhören, nach den Sternen zu greifen und sich zufrieden geben mit “cantar y coser”?
Die Krise in einem Wort: Eine Chance!
Von Kati Niermann
Schlagwörter: Frauen, Gesundheit