Kennen Sie Pömmelte?
Copyright „Landesamt für Archäologie Sachsen-Anhalt, Andrea Hörentrup“
Interview mit Prof. Dr. Harald Meller Direktor des Landesamtes für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt
Ein Mann hat sein Leben für ein Stück der Geschichte in Gefahr gebracht, nachdem er sich versichert hatte, dass dieses Stück eine falsche Annahme rehabilitieren und korrigieren würde. Die Annahme, dass die Europäer Barbaren gewesen seien.
Eine Einschätzung, unter der Europa gelitten hat. Er hat etwas riskiert und es geschafft dieses kleine Stück Geschichte zu bergen. In den USA würde er als Nationalheld gefeiert. Wie viele Teile des Weltkulturerbes sind in dunklen Kellern oder auf Dachböden, bei Antiquitätshändlern oder in privaten Sammlungen verschwunden! Nur weil sie niemanden gefunden haben, der sie protegiert, kein Staat, keine Institution, keine Gesetze. Das Interview mit Prof. Dr. Harald Meller habe ich schriftlich geführt, auch wenn das vom journalistischen Standpunkt nicht die bevorzugte Vorgehensweise ist. Wenn Sie mehr zum Thema Himmelscheibe wissen wollen, lesen Sie sein Buch, verschenken es oder wenn schenken Sie die Himmelscheibe als Schmuckstück, damit sie für alle sichtbar bleibt.
Wie konnten Sie die Nebra-Himmelsscheibe, die ein Teil des Weltkulturerbes ist, in Ihren Besitz bringen?
Die Himmelsscheibe von Nebra wurde dem damaligen Berliner Museumsdirektor, Wilfried Menghin, 2001 zum Kauf angeboten. Sie war 1999 illegal im Land Sachsen-Anhalt auf dem Mittelberg bei Nebra ausgegraben worden. Deshalb weigerte sich der Berliner Museumsdirektor, sie anzukaufen und informierte mich als zuständigen Landesarchäologen. Mit Hilfe der Polizeibehörden gelang es, in einem aufregenden und nahezu ein Jahr lang dauernden Kriminalfall die Himmelsscheibe bei einem fingierten Ankauf in der Schweiz in unseren Besitz zu bringen.
Manche sagen, dass sie zur gemeinsamen, europäischen Geschichte gerechnet werden kann. Können Sie uns das bestätigen?
Die Himmelsscheibe datiert in die frühe Bronzezeit, um 1.600 v. Chr. In dieser Zeit ist Europa wegen der Notwendigkeit des Austausches von Zinn und Kupfer für die Bronzeherstellung sehr gut vernetzt, so scheinen beispielsweise enge Verbindungen zwischen den bronzezeitlichen Kulturen Mitteldeutschlands und der El-Agar-Kultur in Südspanien zu bestehen. Die Himmelsscheibe von Nebra ist Teil des exklusiven und in Deutschland nur zwei Dutzend Stücke umfassenden Weltdokumentenerbes der UNESCO – dem Memory of the World. Aufgrund der europaweiten Bezüge ist sie nahezu eine Ikone für die europäische Gemeinschaft. In gewisser Weise zeigt dies auch ihr Bildprogramm.
In einem Interview mit Ihrem Kollegen Roberto Risch sagte er uns, dass diese Entdeckung neue Fenster in eine Vergangenheit geöffnet hat, die man nicht kannte.
Die schriftlose Vorgeschichte lässt sich zwar durch Archäologie in Bezug auf die materiellen Lebensumstände ausgezeichnet erschließen, die immateriellen geistigen Inhalte aber sind sehr viel schwerer zu fassen. Die Himmelsscheibe zeigt uns das erste bekannte komplexe Kuppelweltbild, den ersten Lunisolarkalender in Europa, aber auch die geistige Veränderung eines solchen Himmelsbildes über die Zeit. Darüber hinaus ist sie die erste konkrete Abbildung des gestirnten Himmels weltweit.
Denken Sie, dass dieser Fund den Blick auf die Vergangenheit geändert hat. Wie?
Wir neigen dazu, die schriftlosen Kulturen, insbesondere die vorgeschichtlichen Menschen zu unterschätzen, da wir deren geistige Welt, ihre Musik, Philosophie, Tänze und Spiele mangels Schrift nicht mehr kennen. Die Himmelsscheibe von Nebra zeigt, dass eine Unterschätzung unserer Vorfahren nicht gerechtfertigt ist, sie sind auch im geistigen Sinne unsere Brüder und Schwestern.
Frauen hatten während der Bronzezeit eine besondere Stellung. Die Exogamie war eine wichtige Heiratsregel.
Die südspanische El-Agar-Kultur und die mitteleuropäische Aunjetitzer Kultur, wie die Frühbronzezeit hier bezeichnet wird, zeigen, dass der Stellenwert der Frauen dem der Männer ähnlich ist. Neueste genetische Studien in Süddeutschland zeigen, dass vorwiegend fremde Frauen aus mehrere hundert Kilometern entfernten Gebieten geheiratet wurden, während die Männer lokal blieben. Für Südspanien ist dies genetisch und isotopisch noch nicht vollständig untersucht. Hier warten wir auf sicherlich spannende Ergebnisse.
Was haben Pömmelte und Stonehenge gemeinsam?
Pömmelte und Stonehenge sind beides Kreisgrabenanlagen mit nahezu gleichem Durchmesser. Darüber hinaus datieren sie in den identischen Zeitraum. Die Erbauer beider Anlagen gehören auch nach unseren genetischen und archäologischen Studien zur selben Kultur, sodass Pömmelte sich von Stonehenge vor allem darin unterscheidet, dass es dort keinen steinernen Ausbau der Anlage gibt. Da Pömmelte ausgezeichnet ausgegraben ist, kann man von diesen Ergebnissen auf Stonehenge zurückschließen. Dies ist wesentlich, da sich Stonehenge aufgrund älterer Störungen nur in Teilen modern archäologisch erschließen lässt.
Warum wurde dieser Schatz erst so spät gefunden?
Im Gegensatz zu Stonehenge lag die Anlage von Pömmelte in intensiv genutztem Ackerland. Sie war damit an der Oberfläche nicht mehr sichtbar und wurde erst nach der politischen Wende in Deutschland durch die Luftbildarchäologie entdeckt.
Die Himmelsscheibe von Nebra war oberirdisch gar nicht zu erkennen. Sie ist auf einer bewaldeten Kuppe, gemeinsam mit weiteren Bronzebeigaben, in einer Grube deponiert worden.
Kann man heute die wirtschaftlichen Auswirkungen auf die Region schon einschätzen? Wird es ein Magnet werden wie der Eiffelturm oder die Sagrada Familia?
Bereits heute werden die Himmelswege, eine Tourismusroute, zu der neben der Arche Nebra, einem Besucherzentrum am Fundort der Himmelsscheibe, auch die rekonstruierte Anlage von Pömmelte gehört, von zahlreichen Menschen jährlich besucht. Ob sich Pömmelte, wie beispielsweise Stonehenge, zu einem Tourismusmagneten entwickelt, bleibt der Zukunft, gutem Marketing, aber auch dem Zufall überlassen. So zeigt beispielweise aktuell, dass die Erwähnung in chinesischen Fernsehsendungen die touristischen Destinationen in Europa wesentlich beeinflussen kann.
An welchen Projekten arbeiten Sie zurzeit?
Wir arbeiten an der weiteren Erforschung der Himmelsscheibe, dazu erfolgen weitere Ausgrabungen im Umfeld von Pömmelte sowie einer nahegelegenen zweiten Kreisgrabenanlage. Am Ende gilt es, die gesamte Rituallandschaft, wie bei Stonehenge, zu erschließen.
Wenn ein Archäologe einen solchen Fund macht, was bedeutet das für ihn persönlich: wird er berühmt, verantwortlich oder eitel?
Zu allererst bedeutet ein solcher Fund Verantwortung im Erforschen und Bewahren, aber vor allem auch im Bekanntmachen des Fundes. Schließlich gehört ein solcher Fund nicht einem Einzelnen oder den Fachgelehrten, sondern allen. Nichts eint die Menschheit weltweit mehr, als die UNESCO-Welterbestätten. Dies ist das einzige Programm, auf das sich alle Menschen und politischen Systeme vorbehaltlos geeinigt haben. Ein kleiner Teil dieser Gemeinschaft zu sein, reicht als Ergebnis für ein Arbeitsleben aus.
Viele Frauen tragen die Nebrascheibe als Schmuckstück. Ehrt Sie das?
Ich freue mich immer, wenn ich Frauen mit Himmelsscheibenschmuck sehe. Das zeigt, dass guter Geschmack und Kunstfertigkeit eine Brücke über 3.600 Jahre schlagen können und sich über die Jahrtausende an unserem ästhetischen Empfinden wenig geändert hat.
Herr Prof. Dr. Meller, wir danken für die Zeit, die sich genommen haben, um unsere Fragen zu beantworten.
Von Ina Laiadhi
Unser Buchtipp:
Die Himmelsscheibe von Nebra:
Der Schlüssel zu einer untergegangenen Kultur im Herzen Europas
Prof. Dr. Harald Meller (Autor), Kai Michel (Autor)
384 Seiten, Propyläen Verlag,2018
Schlagwörter: Europa, Geschichte, Traditionen