Mascha Kaléko – jüdische Exillyrikerin
Ich hatte einst ein schönes Vaterland,
So sang schon der Refugee Heine.
Das seine stand am Rheine,
Das meine auf märkischem Sand.
Mascha Kalékos Leben ist vom Exil geprägt. Sie wird am 7. Mai 1907 als Tochter jüdischer Eltern in Schidlow (Galizien) geboren, einer Kleinstadt im Osten der damaligen österreichischen Habsburger-Doppelmonarchie, heute in Polen gelegen. Die Eltern – der Vater russischer Staatsbürger, die Mutter Österreicherin aus Mähren – wandern kurz vor dem 1. Weltkrieg 1914 mit ihren zwei Töchtern nach Deutschland aus, zunächst nach Marbach. In Frankfurt wird Mascha eingeschult. Später siedelt die Familie nach Berlin über, wo der Vater – nach der Entlassung aus seiner Internierung als Staatsfeind – in der jüdischen Gemeinde Arbeit findet. Mascha macht in Berlin die Mittlere Reife und besucht als Gasthörerin Vorlesungen über Literatur und Philosophie an der Universität. 1928 heiratet Mascha Engel den Hebraisten Dr. Saul Kaléko, dessen Nachnamen sie zeitlebens beibehalten wird.
In der Berliner „Vossischen Zeitung“ und im „Berliner Tagblatt“ erscheinen jahrelang ihre Alltagsgedichte, die die hektische Stimmung der alten Reichshauptstadt Berlin und das Leben der kleinen Leute wiedergeben und Kaléko rasch zur literarischen Berühmtheit der neunzehnhundertdreißiger Jahre aufsteigen lassen. Die junge Lyrikerin frequentiert „Das Romanische Café“ in Berlin, einen vielbesuchten Treffpunkt der Intellektuellen der Weimarer Republik. 1933 werden im Rowohlt-Verlag zwei kleine Gedicht- und Prosabände „Das lyrische Stenogrammheft“ und „Kleines Lesebuch für Große“ veröffentlicht, die rasch zu Ruhm gelangen. Schriftsteller wie Thomas Mann, Alfred Polgar und Hermann Hesse loben die Dichterin für ihre teilweise frischen, kessen Großstadtgedichte. Mascha Kaléko wird später oft mit Heinricht Heine verglichen, denn die Dichterin zeichnet sich aus durch feine Ironie, oftmals zum Sarkasmus überwechselnd, die sie jedoch in einen zarten, melancholischen und weiblichen Rhythmus kleidet.
Auf der Flucht vor der nationalsozialistischen Verfolgung geht sie 1938 mit ihrem zweiten Mann, dem jüdisch-polnischen Musikwissenschaftler, Komponisten und Dirigenten Chemjo Vinaver und dem gemeinsamen Sohn Evjatar (später Steven) ins Exil nach New York. Dort publiziert sie lediglich einige Gedichte in der deutschen Exilzeitschrift „Der Aufbau“, und verdient hauptsächlich den familiären Lebensunterhalt durch Werbetexte und Übersetzungen. Zeitweilig ist sie Managerin des von ihrem Mann gegründeten Vinaver-Chors. 1959 emigriert sie mit Chemjo Vinaver ein zweites Mal, und zwar nach Jerusalem, um dort für Vinavers Anthologie der chassidischen Synagogalmusik bessere Konditionen zu finden.
Die Neuauflage des „Lyrischen Stenogrammheftes“ und 1958 ihrer „Verse für Zeitgenossen“ durch den Rowohlt Verlag beschert Kaléko im Nachkriegsdeutschland ab 1956 wieder ein paar Jahre glänzenden Erfolgs. Sie unternimmt Vortragsreisen in Deutschland und in die Schweiz, gibt Interviews und hält Dichterlesungen. Es erscheinen Gedichtsammlungen: das ihrem Sohn Steven gewidmete „Der Papagei, die Mamagei und andere komische Tiere“ (Fackelträger 1961), „Verse in Dur und Moll“ (Walter 1967), „Das himmelgraue Poesiealbum“ (Blanvalet 1968), „Wie’s auf dem Mond zugeht“ (Blanvalet 1971) sowie „Hat alles seine Schattenseiten, Sinn- und Unsinngedichte“ (Eremiten-Presse 1973).
Mascha Kalékos Stil bleibt unnachgeahmt, denn im Gegensatz zur stilistisch-sprachlichen Erneuerung der lyrischen Moderne bleibt die Dichterin dem deutschen konventionellen Reim treu. Der Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki sagt über Mascha Kaléko: „Sie schreibt, wie ihr der Schnabel gewachsen ist, die Lyrikerin der Neuen Sachlichkeit, die man oft entdecken muss, weil sie immer wieder in Vergessenheit gerät.“ Schwere Schicksalschläge treffen das Künstlerpaar Kaléko-Vinaver. Von dem unerwarteten Tod ihres Sohnes 1968, der das musische Element seiner Eltern geerbt hatte und mit 31 Jahren an Pankreatitis stirbt, erholen sich Mascha und Chemjo nie. Chemjo Vinaver stirbt 1973 in Jerusalem und Mascha Kaléko 1975 in Zürich an Magenkrebs.
Kalékos Nachlassverwalterin Gisela Zoch-Westphal schreibt 1987 ihre erste Biografie „Die sechs Leben der Mascha Kaléko“ und hält zahlreiche Lesungen über die Dichterin. Es folgen eine Dissertation „Die Vertreibung aus dem kleinen Glück“ (Irene Wellershoff), eine erweiterte Biografie (Jutta Rosenkranz) sowie verschiedene Gedichtbände. 2012 publiziert der Deutsche Taschenbuch Verlag „Sämtliche Werke und Briefe in vier Bänden“, herausgegeben und kommentiert von Jutta Rosenkranz.
Von Dr. Evelyn Patz Sievers
Schlagwörter: Biografisches, Europa, Frauen