Klub Hannah mit Eugenia Tusquets
Ein weiterer Abend im Klub Hannah mit einem Vortrag von Eugenia Tusquets, Malerin und Autorin aus Barcelona, die mehrere Romane und Sachbücher veröffentlicht hat.
Es war das erste Treffen im neuen Jahr, viele Frauen kamen – weitaus mehr als erwartet, auch viele für mich neue Gesichter – um sich kennenzulernen, auszutauschen, und einen interessanten, entspannten Abend miteinander zu verbringen. Nach der üblichen Begrüßungsphase stimmten wir uns atmosphärisch auf eine Erzählung ein, diesmal ging es um den neuen Roman von Eugenia Tusquets Die geraubten Leben“ oder „Los ladrones de vida“. Thema des Romans ist die in den 60er/70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts unter der Franco-Diktatur verbreitete Praxis, überwiegend sehr junge, oft minderjährige oder unverheiratete Mütter, oder meist mittellose Paare von ihren Neugeborenen zu trennen, um sie an wohlhabende Familien oder auch ins Ausland, wie z.B. nach Frankreich, Deutschland und die USA zu verkaufen. Es geht im Roman um die Aufarbeitung einer wahren Geschichte.
Es handelte sich grundsätzlich um illegale Adoptionen, die von der katholischen Kirche und mit ihnen zusammenarbeitende Krankenhäuser und medizinische Zentren organisiert und durchgeführt wurden. Es war zum einen ein Angriff auf das Proletariat, dem man das Erziehen von Kindern nicht zutraute, zum anderen das Freikaufen von der Schuld der Töchter wohlhabender Familien an die Kirche. Junge Frauen aus Familien, die die finanzielle Möglichkeit hatten, die Schwangerschaft eines unehelichen Kindes zu verheimlichen, wurden dafür oft aus ihren Heimatstädten in andere Städte in Spanien geschickt, wo sie in von der Kirche geführten Wohnheim unterkamen und dann ihre Babys unproblematischer anonym verkauft werden konnten. Die in Listen vermerkten der in Frage kommenden und gewünschten Adoptiveltern standen, wie zu erwarten in Spanien, dem Franco-Regime nahe. Diese Babys wurden bewusst an wohlhabende Familien verkauft, um eher eine Erziehung in entsprechender Umgebung mit Franco nahestehender Gesinnung zu gewährleisten. Frauen, die sich ein Kind wünschten, täuschten eine Schwangerschaft vor, damit das „erworbene“ Kind auf ihren Namen sofort eingetragen werden konnte. Man darf annehmen, dass die Kirche machtpolitisch und finanziell nicht unerheblich davon profitierte. Nach der Franco-Ära hätte der spanische Staat diese Fälle des Babyhandels untersuchen müssen. Es geschah aber sehr wenig. Die betroffenen Frauen wurden nicht unterstützt. Während der Diktatur war es den betroffenen Müttern untersagt, über den Babyraub zu sprechen. In den 80ger Jahren kam das Thema an die Öffentlichkeit, und Frauen, die finanzielle Möglichkeiten hatten, konnten mit Hilfe von Anwälten Nachforschungen über das Leben ihrer Kinder einleiten.
Viele Fragen wurden nach dem Vortrag gestellt, woraus sich eine Diskussion entwickelte, denn das Thema ist sozial und politisch brisant.
Die persönliche Geschichte der Autorin standen an diesem Abend weniger im Vordergrund. Viele Zuhörerinnen wünschten sich, mehr darüber zu erfahren wie sie zum Schreiben gekommen ist, was die Herausforderungen und Schwierigkeiten sind. Das persönliche Narrativ von jeder der hier Vortragenden, die in und außerhalb von Barcelona leben und arbeiten, lassen ein Kommunikations- im besten Fall soziales- Netz entstehen. Eine Absicht des Klub Hannah ist, durch ihre Geschichten persönlichen Zugang zu Frauen zu finden, als Basis für Kultur übergreifenden Austausch.
Von Corinna Hadi Gamp
Schlagwörter: Frauen, Interviews, Klub Hannah in Barcelona, Literatur