Krebsentdeckung durch Mikrowellen
Im Editorial des 141. TaschenSpiegels vom August 2020 hatten wir die katalanische Mathematikerin Judit Chamorro Servent eingeführt, die diesjährige Preisträgerin des europäischen Preises MSCA (Marie Skłodowska-Curie Actions).
Es stimmt, dass wir sehr stolz darauf sind, dass eine junge Frau etwas Besonderes erreicht. Die Nachricht hat meine Neugier geweckt und ich habe Judit zu mir eingeladen, um mit ihr persönlich zu reden. Ich muss gestehen, ich wollte, dass auch meine Kinder sie kennenlernen sollten, denn es wäre beeindruckend und sicherlich ein gutes Beispiel für sie. Also war sie an einem Dienstagabend da: jung, fröhlich und nett, bereit, sich mit uns zu unterhalten. Man merkt bald, dass sie viel gereist ist und gesehen hat, sie drückt sich präzis und fließend aus. En detalle erhielt sie den Preis für ihr Engagement in der Kategorie „Auswirkungen intersektoraler und interdisziplinärer Mobilität und Wissenstransfer“.
Chamorro studierte Mathematik an der UAB Barcelona. Nach 12 Jahren harter Forschungsarbeit auf der ganzen Welt kam sie mit dem preisgekrönten Projekt COLONINFO nach Barcelona zurück. Ihr Weg führte über Frankreich (Toulouse), Madrid, Kanada, Dänemark, Madrid, Neuseeland, Frankreich (Bordeaux) und endlich landete sie an der UPF Barcelona (Universitat Pompeu Fabra), wo sie mit ihrem Team forscht.
Überall hat sie tolle Erfahrungen gesammelt und hervorragende Menschen verschiedener Disziplinen kennengelernt. Sowohl in Kanada als auch in Neuseeland gab es wenige einheimische forschende Wissenschaftler, es war alles sehr international und eine kulturelle Herausforderung. In Bordeaux hat ein besonderer Arzt sie sehr geprägt: „Es war nicht zu fassen, als der Mann mir sagte, er habe meine wissenschaftliche These bis zum Ende gelesen! Seitdem haben wir eng zusammengearbeitet und er hat mich so viel unterstützt. Ich werde ihn niemals vergessen.“
Judit hat einen klaren analytischen Verstand, aber sie sagt, sie habe am Anfang keine Ahnung gehabt, dass die Mathematik sie in diese medizinische Richtung führen werde. Sie vermutet, dass ihre an Krebs schwer erkrankte Großmutter etwas damit zu tun hatte, denn sie war dadurch tief bewegt und wollte irgendetwas dazu beitragen, gegen Krebs zu kämpfen.
Und sie hat es geschafft: bei dem Projekt COLONINFO geht um eine Software, die im klinischen Einsatz zur Krebserkennung dienen soll. Und wie? Sehr vereinfacht zusammengefasst: mehrere endoskopische Antennen geben Mikrowellen ab. Falls ein Tumor vorhanden ist, werden verschiedene Wasserniveaus entdeckt. Basierend darauf, wie schnell die Mikrowellen zurückprallen, werden Daten an den Computer geschickt. Judits Software verwandelt die Daten in Bilder, die Ärzte interpretieren können. Man beobachtet von innen: „Es el problema inverso”, sagt sie (das umgekehrte Problem). Der Prototyp wurde bei Brustkrebs getestet, aber man erwartet weitere Anwendungen bei Dickdarm- oder Gebärmutterkrebs. Außerdem sind die Kosten der Methode viel niedriger im Vergleich zu konventionellen Technologien. Judit ist sehr froh und hoffnungsvoll, was das Projekt und den Preis betrifft, aber sie macht sich Sorgen, weil die Forschungswissenschaft noch ein sehr männliches Gebiet ist. Sie möchte betonen, dass Frauen und Männer unterschiedlich kommunizieren: „Frauen sind wenig kategorisch, wir bitten die anderen um ihre Meinung, wir schenken den anderen mehr Aufmerksamkeit und haben wenig Ego.”
Sie wagt es nicht, Folgendes laut auszudrücken, und deswegen sage ich es jetzt: Es gibt weder in Spanien noch in Katalonien genug Unterstützung, was die Forschung angeht. Eine Menge Geld wird in die Schulen und Universitäten für unsere Kinder und Jugendlichen investiert, aber viele Absolventen müssen im Anschluss an ihr Studium in andere Länder gehen, um ihre Karriere als Wissenschaftler fortzusetzen. Europa ist eine offene Tür zur Welt.
Wegen der Pandemie wurde die Preisverleihung in Kroatien abgesagt. Judit erzählt, dass alle Teilnehmer*innen ihr Projekt als ein kurzes Video von 3 Minuten zusammenfassen mussten, als ob sie die Preisträger*innen wären. Das war echt schwierig.
Laut Einschätzung der Deutschen Bank, in elEconomista.es am 10. September, wird die Corona-Krise den Anfang einer neuen Ära darstellen: Die Ära der Unordnung und der Unwissenheit, nicht unbedingt negativ, denn sie birgt die Chance auf einen neuen ökonomischen Kreislauf und eine andere Gesellschaftsstruktur; vielleicht die Ära der Hoffnung.
Wir wünschen Judith Chamorro weiter viel Erfolg.
Von Sara Oró, September 2020
Weiterführende Infos zu MSCA
https://ec.europa.eu/research/mariecurieactions/node_en
Schlagwörter: Gesundheit