Krisen dienen dazu innovativ zu sein
Interview mit Walther von Plettenberg
Geschäftsführer der Deutschen Handelskammer für Spanien
Seit 2010 leitet der Betriebswirt und promovierte Jurist Walther von Plettenberg die Deutsche Handelskammer für Spanien mit ihren Büros in Madrid und Barcelona. Er beantwortete unsere Fragen, die uns in der Corona-Pandemie besonders bewegen.
Die Deutsche Handelskammer blickt auf eine über 100-jährige Geschichte zurück. Welche Rolle spielt sie heute in Spanien? Eine über 100–jährige Geschichte: Ja! Wir haben 2017 unser 100-jähriges Jubiläum gefeiert. Aus einem Kreis deutscher Unternehmer mitten im 1. Weltkrieg in Barcelona ist heute ein weltweites Netz von über 90 deutschen Auslandshandelskammern gehörenden Handelskammer geworden. Etwas mehr als 1.100 Mitglieder in Spanien und Deutschland tragen diesen Verein. Wir beraten Unternehmen mit Blick in beide Richtungen, eine Vielzahl von Veranstaltungen über das Jahr dienen der Weiterbildung, informieren und ermöglichen Kontakte zwischen Personen und Unternehmen. Wir sind gewissermaßen auch die „offizielle“ Stimme der deutschen Wirtschaft in Spanien und werden als solche durchaus auch in den Medien und bei staatlichen Stellen wahrgenommen. Stolz sind wir insbesondere auch auf die vielen Jahre, über die wir in Spanien die duale Ausbildung in Zusammenarbeit mit über 60 Unternehmen und mehreren Berufsschulen, insbesondere von FEDA in Barcelona und Madrid, fördern.
Können Sie uns beschreiben, wie die Handelskammer funktioniert?
Als Verein nach spanischem Recht steht an der Spitze der Kammer ein Vorstand, dem wiederum der Präsident der Kammer vorsteht. Weitere 20 Mitglieder des Vorstands werden auf der jährlichen Mitgliederversammlung für zwei Jahre gewählt. Dem Vorstand gehört auch der Geschäftsführer an, der ein Team von knapp 40 Mitarbeitern in Madrid und Barcelona leitet. Die Geschäftspolitik wird in vielen Dingen auch mit dem DIHK in Berlin und dem Netz der anderen AHKs abgestimmt. Das gibt einer nationalen AHK eine andere Stärke, als wenn sie ausschließlich lokal verortet wäre. Marktberatung, Recht & Steuern, Aus- und Weiterbildung sind die Kernleistungen, die wir für Unternehmen kostenpflichtig erbringen. Für die Mitglieder sind auch die vielen Veranstaltungen als Gelegenheit zu Networking und Weiterbildung wichtig. In einem normalen Jahr gibt es rund 70 Veranstaltungen. Letztes Jahr haben an diesen Veranstaltungen fast 4.300 Teilnehmer teilgenommen.
Welches waren Ihre größten Herausforderungen?
Das unerwartete Erscheinen des Coronavirus im vergangenen März mit seinem Lockdown in Spanien war für uns – wie für jedermann – eine unglaubliche Herausforderung: Büroarbeit von zuhause aus, praktisch von einem Tag auf den anderen, Präsenzveranstaltungen plötzlich virtuell-digital anbieten zu müssen, diese ständig zu verbessern, weil naturgemäß mit der Zeit auch Ermüdungserscheinungen, was digitale Formate angeht, auftraten, den Einnahmeneinbruch aufzufangen, über einige Monate in Kurzarbeit gehen zu müssen. Es war ein unglaublich spannendes Jahr, wir haben viel dazugelernt.
Die Welt erlebt gerade die Coronapandemie und in der EU kommt noch der Brexit hinzu. Wie ist der Zustand der deutschen Unternehmen in Spanien?
Seit den 1990er Jahren erstellen wir mehrmals jährlich ein Konjunkturbarometer, das die Geschäftslage und Aussichten der deutschen Unternehmen in Spanien reflektiert. Interessant ist, dass die Bewertung der Geschäftslage der deutschen Unternehmen in Spanien besser ist als die Einschätzung der Wirtschaftslage des Landes. Das entspricht sicher einerseits der Tatsache, dass der Großteil der deutschen Unternehmen in Spanien solide Unternehmen sind, finanziell gut ausgestattet und relativ industrielastig. Die Industrie wurde von der Pandemie tendenziell weniger hart getroffen als viele Segmente im Dienstleistungsbereich. Aber dieses Ergebnis mag auch Produkt einer gewissen Verzerrung der Perzeption sein: die eigene Situation kann man selbst einschätzen, für das, was „draußen“ passiert, ist man auf die Medien angewiesen, die den schwierigen Spagat zwischen objektiver Berichterstattung und der Notwendigkeit irgendwo auch reißerischer Berichterstattung leisten müssen, um die Leserschaft für sich zu gewinnen. Wer sich das einmal im Detail ansehen will: die Umfragen sind auf unserer Website einsehbar.
Wie ist die Stimmung unter den Geschäftsführern und ihren Mitarbeitern?
Wenn man sich die angesprochenen, periodischen Umfragen anschaut, ist immer wieder interessant zu sehen, wie schnell sich die Stimmung ändern kann. Wenn wir von Corona eines – einmal wieder – lernen konnten, ist es, dass die Welt, die Zukunft, der Absatz, etc. viel weniger planbar ist, als wir das gewöhnlich unterstellen oder unterstellen wollen. Und die Stimmung hängt nicht nur von der Aktualität, sondern auch von einer Erwartung ab: wie geht es mittel- und langfristig weiter? Wir sind, glaube ich, alle vorsichtiger in unseren Planungen und Erwartungen geworden. Unserer letzten Umfrage von vor wenigen Monaten war zu entnehmen, dass die Hoffnung einer soliden wirtschaftlichen Erholung vor dem Hintergrund Impfung u.ä. mittelfristig zwar stark ausgeprägt ist. Aber gleichzeitig wissen wir aus der Erfahrung des letzten Jahres, dass die Zukunft weniger planbar ist, als wir gewöhnlich unterstellten. Sprich, die Einschätzung, die Stimmung ist volatiler als wir es wahrhaben wollen. Denn, wie es so schön heißt: „Erstens kommt es anders, zweitens als man denkt“!
Was geben Sie den Chefs der Unternehmen mit auf den Weg?
Ich würde mich hüten, hier Ratschläge zu geben. Aber ich denke, Verantwortungsträger teilen gewisse Erfahrungen, gerade in Krisenzeiten, die man austauschen kann. Für uns geht es hier besonders darum, auf starke Herausforderungen flexibel und rasch zu reagieren, es geht darum, die Mitarbeiter bei deren Bewältigung intensiv als Team einzubinden, ihnen, den Kunden und Lieferanten die Sicherheit zu vermitteln, dass es bei aller Widerwärtigkeit voran- und weitergeht. Es geht darum, gemeinsam die Erfahrung zu machen, dass Krisen auch dazu dienen, Neues zu lernen und auf andere Weise vielleicht zu wachsen. Kurz, „innovativ“ zu sein! Wir lernen in solchen Zeiten auch, dass wir zusammengehören, dass wir gemeinsam weiter kommen, als wenn wir es allein versuchen. Es geht also auch um die Entdeckung einer echten Solidarität.
Welche Wirtschaftsbereiche haben am meisten gelitten, welche am wenigsten?
Die großen Verlierer sind bekannt: vor allem sind es Tourismus, Hotel- und Gaststättengewerbe, das Messewesen. Gerade die ersten beiden Bereiche machen diese Krise für Spanien besonders schmerzlich. Aber fast überall haben die Unternehmen Federn lassen müssen. Der noch größere Schuldenberg, der durch diese neue Krise weiter aufgetürmt wird, wird uns allen in der Zukunft noch zu schaffen machen. Für eine Minderzahl der Unternehmen hat diese Krise unerwartete Geschäftschancen gebracht: Der Online-Handel und die dazugehörige Logistik, Lebensmittel, Internetplattformen, IT-Ausstattung, die das Home-Office möglich machen, Produzenten gewisser – auch langlebigerer – Artikel insbesondere des häuslichen Bedarfs haben sehr zulegen können.
Hat die Coronapandemie positive wirt-schaftliche Effekte in Bewegung gesetzt?
Ich habe es bereits angedeutet: Die Pandemie hat uns gezwungen, schneller und stärker zu innovieren, Anpassungen zu erzwingen, die normalerweise viel länger gebraucht hätten. Der sogenannte „Digitalisierungsschub“, den die Pandemie gebracht hat, ist nicht umsonst in aller Munde. Nicht wenige haben diesen Schub in den letzten Monaten am eigenen Leib erfahren.
Sie haben ein großes Angebot an Schulungen. Wie halten Sie das aufrecht?
Da kann ich gut an Ihre vorangehende Frage anknüpfen. Digitalisierung ist hier das Stichwort geworden! Wir haben alle unsere Schulungen digital umgestellt. Das hat uns ermöglicht, Kunden aus ganz Spanien zu erreichen, die wir normalerweise gar nicht oder nur ausnahmsweise in Madrid oder Barcelona erreichten. Natürlich fehlt bei virtuellen Veranstaltungen etwas Wichtiges – die Spontaneität und physische Nähe des menschlichen Gegenübers kann online nicht ersetzt werden: Aber auf der anderen Seite ist eine Teilnahme leichter darzustellen. Kein aufwändiges An- und Abreisen, keine damit einhergehenden Kosten, Flexibilität bis zur letzten Minute. Digitalisierung der Schulungen zwingt auch dazu, die Zeit noch mehr zu optimieren, denn die Aufmerksamkeit kann bei einer Online-Schulung nicht so lang aufrechterhalten werden, wie bei einer Präsenzveranstaltung.
Nach der Krise wird es Verlierer und Gewinner geben. Kann man die schon ausmachen?
Schwer zu sagen – ganz sicher wird das traditionell Präsenzgeschäft, das auf den klassischen Kundenbesuch angewiesen ist, nachhaltig getroffen bleiben. Wir werden uns daran gewöhnen müssen, dass vieles „hybrid“ angeboten werden wird: Reisen, Besuche, Einkäufe, etc. Damit bricht aber auch ein Teil des Geschäfts weg, das auf physische Präsenz des Kunden ausgerichtet war. Das kann das Messewesen, Hotel- und Reisegewerbe insbesondere stark treffen.
Wie stellen Sie sich die Stellung Europas in der Welt nach der Krise vor?
Positiv wird man anerkennen müssen, dass Europa unter dem Druck der Ereignisse überraschend viel Einigkeit aufgebracht hat, bei aller Unterschiedlichkeit der Interessen. Wir haben 2020 einen neuen langfristigen Haushalt 2021-2027 verabschieden, ein Abermilliarden schweres Wiederaufbauprogramm „Next Generation EU“ in Rekordzeit verabschieden und den Brexit zu Ende verhandeln können. Ob das Wiederaufbauprogramm, das aus der Not eine Tugend macht, den beabsichtigten Erfolg haben wird, wird sich zeigen müssen. Es soll Europa gesamthaft „resilienter“ machen, digitaler, wettbewerbsfähiger, umweltfreundlicher, nachhaltiger… Das sind alles wunderbar klingende Begriffe. Aber man wird sich die Frage stellen dürfen: Wird so viel Geld, das über noch mehr Schulden finanziert wird, die dann aus theoretisch effizienteren, international wettbewerbsfähigeren Strukturen mit einer höheren Wertschöpfung zurückgezahlt werden müssen, das wirklich leisten können? Der Beweis wird noch geführt werden müssen.
Zur Bewältigung der Krise sind hohe Summen freigeschaltet worden. War das genug? War es zu wenig?
Ohne diese hohen Summen – wir sprechen von einem Paket für Spanien, das allein an nichtrückzahlbaren Transferleistungen über 80 Mrd. Euro, sprich fast 2.000 Euro pro Einwohner Spaniens beträgt – hätten wir möglicherweise infolge einer kritischen Bewertung der Solvenz einiger Mitgliedsstaaten eine neue Eurokrise vor der Tür gehabt. Insofern war dieses Programm wohl notwendig. Sie werden aber meinen vorigen Ausführungen entnommen haben, dass ich hier eine gewisse Skepsis hege. Erfahrungsgemäß führt zu viel einfaches Geld über zu wenig Zeit zum Aufbau von ineffizienten und Klientelstrukturen. Am Ende des Tages wird man hier einen Strich ziehen und sich fragen müssen: überwiegen die positiven Aspekte des Programms deutlich die negativen Aspekte, die zwingend auch auftauchen? Oder hätten wir es besser mit weniger Geld angehen sollen?
Einige glauben nicht an Corona? Und Sie?
Glauben? Glauben tue ich nur an Gott. Was Corona angeht: Ich finde es gesund, wenn man sich in einer demokratischen Gesellschaft auch fragen darf, ob und in welchem Maße, die gegen die Pandemie zu treffenden Maßnahmen geeignet sind, Schaden von der Bevölkerung abzuhalten, und ob sie in einem sinnvollen Verhältnis zu dem Schaden stehen, den die Maßnahmen anrichten. Das kann auch kontrovers geschehen, hier und dort wird die Diskussion vielleicht sogar schrill sein. Aber das ist gesund so. Damit müssen wir lernen zu leben. Das ist auch der Preis der Freiheit.
Herr von Plettenberg, wir danken für das aufschlussreiche Interview.
Von Ina Laiadhi, Januar 2020
Infos
Deutsche Handelskammer für Spanien
Avenida Pio XII, 26-28, 28016 Madrid
Tel.: +34 91 353 09 10, www.ahk.es
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