Netzwerk in der hiesigen Gesellschaft
Interview mit Albert Peters, Vorsitzender des Kreises Deutschsprachiger Führungskräfte in Barcelona
Ich treffe Albert Peters an einem Freitag, den 13. in seiner Kanzlei. Der einsetzende Wochenendverkehr fließt in den frühen Nachmittagsstunden noch relativ gemächlich auf der Diagonal aus der Stadt raus. Die Barceloneser haben an diesem Tag, wenn sie denn abergläubisch sind, ja auch nichts zu befürchten.
Sie sind Vorsitzender des Kreises Deutschsprachiger Führungskräfte. Können Sie unseren LeserInnen kurz die Ziele des Vereins umreißen?
Nachdem ich schon von 2008 bis 2012 Vorsitzender war, habe ich 2016 erneut für dieses Amt kandidiert, weil ich glaube, dass wir als eine in Barcelona ansässige Institution viel erreichen können. Wir sehen uns als Institution, die versucht, in der Gesellschaft Brücken zu schlagen. Wir wollen ein Netzwerk für unsere Mitglieder, aber auch ein Netzwerk in der Gesellschaft sein. Wir können dazu beitragen, dass es ein Zusammenwachsen von Leuten gibt, die aus anderen Ländern, nicht nur aus Spanien hierher kommen. Wir können versuchen uns hier einzubringen. Und umgekehrt können wir die Akzeptanz unserer Gruppe erhöhen, das heißt, dass wir nicht als Ausländer, sondern als Leute gelten, die in Catalunya und Spanien leben, die Verantwortung tragen und so behandelt werden. Wir zahlen unsere Steuern, wir leben hier und vielleicht werden wir auch hier sterben. Es gibt keinen Unterschied zu allen anderen außer beim Wahlrecht. Ich bedauere sehr, dass die europäische Union das noch nicht gelöst hat.
Sie haben ca. 200 Mitglieder. Sind Sie mit der Zahl zufrieden?
Nein. Wir hatten 270 vor der Krise. Vor Ende des Jahres wollen wir wieder auf 220 Mitglieder kommen. Wachsen ist gut, aber wir sagen auch, Qualität vor Quantität. Wir suchen sehr stark junge Leute und Frauen, weil wir ein Spiegelbild der Gesellschaft sein sollten. Wenn wir einen bestimmten Anteil an Frauen haben wollen, dann müssen wir jeden Tag daran arbeiten. Meine Frau ist Französin und deshalb sehe ich, dass in Frankreich das Selbstverständnis viel grösser ist. Man ist in Spanien den Frauen gegenüber viel offener ist als Deutschland. Die Reihenfolge ist für mich Frankreich, Spanien, Deutschland.
Sind Frauen im KDF aktiv?
In unserem sechsköpfigen Vorstand arbeiten zwei engagierte Frauen, denen wir nicht vorgeben, was sie machen sollen. Sie gehen ihren eigenen gleichberechtigten Weg. Wir arbeiten bewusst daran, dass uns das zum Selbstverständnis wird. Wenn wir eine Situation finden, wo wir ganz konkret etwas machen können, werden wir das tun.
Als geplante Rednerin habe ich nur Professorin Margot Käßmann im Herbst gesehen…
Daran arbeiten wir auch. Im Frühjahr ist der Besuch der Wirtschaftsministerin von Baden-Württemberg geplant. Der Vortrag einer weiteren Rednerin ist fürs erste Halbjahr in Vorbereitung. Wir nehmen eigentlich keine Wertung vor, ob Frau oder Mann, aber oft ist es noch so, dass Männer schneller bereit sind, mal eben nach Barcelona zu fliegen. Frauen haben leider immer noch mehr zu kämpfen. Nach dem Motto: eine Frau muss doppelt so viel arbeiten wie ein Mann.
Hat die Wirtschaftskrise negative Auswirkungen auf die Arbeit des Vereins gehabt?
Ja, zum Beispiel auf die Bereitschaft von hochkarätigen Referenten aus Deutschland oder auch aus Madrid zu kommen. Es fehlt Zeit und Geld. Bis 2008 war es relativ einfach, Leute aus Deutschland zu bekommen. Während der Krise war es für die Vortragenden viel schwieriger aus dem Unternehmen rauszugehen, weil sie dort Präsenz zeigen mussten. Auch eine Minderung der finanziellen Unterstützung, die wir von der Industrie bekommen, mussten wir akzeptieren. Sie konnten nicht gleichzeitig Angestellten kündigen und Institutionen sponsern. Wir selber sind wirtschaftlich gut durch die Krise gekommen. Aber es muss jeden Tag dafür gekämpft werden, wie in jedem Unternehmen, in jeder Familie.
Eine unserer Aufgaben ist das Netzwerk. Wo können wir helfen? Wenn man Mitglied bei uns im Kreis wird, dann hat man nicht morgen sofort einen Nutzen davon. Aber wir sind ein Netzwerk, das weiterhilft. Als wir vor Jahren mit dem TaschenSpiegel über eine Unterstützung gesprochen haben, war neben dem finanziellen Engagement wichtig, dass wir den TaschenSpiegel 200 Mitgliedern zugänglich gemacht haben. Diese Netzwerke kann man überall praktizieren und sich gegenseitig helfen.
Wir wollen mit der Generalitat und dem Ayuntamiento im Gespräch bleiben, aber auch mit der Regierung in Madrid. Über alle Fragen, die anstehen. Wir empfinden uns hier in Katalonien nicht als Gruppe von Deutschen oder Deutschsprachigen, sondern als Teil der Gesellschaft. So möchten wir behandelt werden und so behandeln wir auch andere. Für mich ist die wichtigste Aufgabe, den Kreis wieder in der Gesellschaft Spaniens zu positionieren. Ich will, dass man uns kennt. Ich will, dass wir zuhören können, ich will aber auch, dass man uns zuhört. Wenn ich sehe, welche Leute jetzt kommen, dann sieht das gut aus. Gerade heute, am Freitag, den 13. habe ich eine tolle Nachricht bekommen. Er lacht. Unser Vorstand arbeitet sehr aktiv. Wir suchen die Kontakte. Mein Lieblingsspruch, seitdem ich in Spanien bin, ist: Hablando se entiende la gente.
Das betrifft Katalonien und Madrid. Aber auch die Institutionen. Wir haben das Goethe-Institut, das Generalkonsulat, die Botschaft in Madrid, die Fundación Goethe, den TaschenSpiegel, die Außenhandelskammer und den Kreis Deutschsprachiger Führungskräfte: Man muss miteinander sprechen. Wir haben letztlich ein gemeinsames Ziel: Gut und erfolgreich hier zu leben. Das erreicht man leichter, wenn man zusammenhält.
Wie sieht es mit der Berufsschule FEDA aus?
Ja richtig, auch die EDU und andere. Meine Aufzählung ist nicht vollständig. Als Lehrbeauftragter der EDU-Hochschule halte ich die duale Ausbildung der FEDA für ein ganz wertvolles Angebot: nicht nur als deutsche Schule, sondern als eine deutsche Institution in einem anderen Land, die dessen Mitbürgern offen steht. Für mich ist wichtig, dass die Institutionen zusammenarbeiten. Wie ein Unternehmensführer sich im Klaren sein muss, dass er ohne seine Mitarbeiter nichts ist, so müssen wir uns alle darüber im Klaren sein, dass wir ohne die, die um uns herum sind, nichts sind. Nicht in der Familie, nicht im Betrieb und nicht in den deutschen Institutionen. Wir müssen als Teil der hiesigen Gesellschaft zusammenhalten. Sich nur mit Deutschen zu umgeben, ist nicht der richtige Weg. Das größte Kompliment, das man mir gemacht hat ist: Du bist der spanischste Deutsche, der mir begegnet ist.
Seit einiger Zeit liest man immer wieder, dass Spanien endlich aus der Krise findet? Wie lesen Sie diese Zeichen der Zeit?
Aus der Krise rauskommen heißt noch nicht, das ist jetzt so wie früher. Es ist nicht so wie vor acht Jahren. Man sieht jedoch deutlich, dass es vorangeht. Ich zitiere Felip Puig, den früheren Wirtschaftsminister Kataloniens: „Man sieht, dass man aus der Krise kommt, weil die Menge an Müll zunimmt.“ Je mehr wieder konsumiert wird, desto mehr Müll machen wir. Wir brauchen einen Aufschwung, damit es nach vorne geht. Ob das politisch umsetzbar ist, weiß ich nicht.
In Deutschland liegt die Arbeitslosenquote unter 6% und trotzdem gibt es eine Krise: das Aufflammen von Extremen, der Terrorismus, die Flüchtlinge und der soziale Bruch, um nur einiges zu nennen. Wie erklären Sie dieses Paradox?
Fangen wir mit dem provokanten Satz an: Den Leuten geht es einfach zu gut! Dann gibt es diese Dinge nicht nur in Deutschland. In Frankreich sehen wir die Bewegung nach rechts zur Partei von Marine LePen. In Spanien haben wir die Linksextreme Partei Podemos. Für mich ist wichtig, dass die Systeme weiter demokratisch geprägt sind. Alle vier oder fünf Jahre hat der Bürger das Recht, seine Regierung neu zu wählen. Aber ich sehe auch, dass viele – auch hochrangige- Politiker Vorwürfe erheben, dass es plötzlich andere Parteien gibt. Es fehlt die Reflexion zur Selbstkritik. Ich denke, sie sollten sich überlegen, was sie falsch gemacht haben, dass die Mitbürger diese Parteien wählen.
Zum Thema Flüchtlinge: wir haben in Deutschland eine historische Verantwortung, aber wir haben es nicht geschafft, den 80 Millionen Deutschen zu vermitteln, dass wir keine Angst haben müssen, dass wir das Thema im Griff haben werden. Das Schlimmste ist sicher, wenn man Unsicherheit hat.
Ein Beispiel: Solange der Herr Sicherheit zeigt, folgt der Hund; wenn er es nicht mehr tut, macht sich der Hund selbständig. Die Bürger machen sich momentan selbständig. Aber das überleben wir. Wir haben die Piraten überlebt oder die Schill-Partei in Hamburg. Mit einer Bewegung in Amerika haben wir die gleiche Situation. Ich hätte Trump vielleicht nicht gewählt, aber jetzt wo er gewählt ist, muss man ihm als Demokrat eine Chance geben. Danach kann man ihn beurteilen und gegebenenfalls verurteilen. Das Gleiche gilt für andere Parteien. Man muss erstmal sehen, was AfD oder Podemos machen.
Im März wird Bodo Ramelow zu uns kommen, der thüringische Ministerpräsident von der Partei Die Linke. Die Politik in Thüringen funktioniert geräuschlos. Die Extremen geben manchmal eine Nuance, die andere verpasst haben, und das führt letztendlich dazu, dass wir eine Regierung in der Mitte haben werden. Man muss Minderheiten einfangen, sie dürfen uns nur nicht dominieren.
Während der Krise hat die europäische Konstruktion ihre Schwächen gezeigt. Spielt Europa heute immer noch eine Rolle? Wenn ich Sie um vier präzise Dinge bitte, die Europa aus der Krise bringen. Was antworten Sie?
Weniger Administration seitens der EU. Mehr der Bevölkerung klar machen, dass all das, was wir haben nicht selbstverständlich ist. Es ist nicht selbstverständlich, dass wir mit einem Pass quer durch Europa fahren können, dass wir mit einer Währung in Europa zahlen. Es wird immer nur das berühmte Beispiel der „genormten Gurken“ gebracht. Wenig wird über die guten Dinge gesprochen: Bankgebühren sind auf null reduziert worden, Telefongebühren werden sinken. Die Europäische Union kann sich nicht vermitteln. Sie ist ein Moloch. Und viele unterschiedliche Kulturen sind unter einen Hut zu bekommen. Um Spanier und Schweden oder Griechen und Engländer an einen Tisch zu kriegen, braucht es eine gewisse Akzeptanz, Toleranz und Hilfe. Ich denke, der Brexit war die falsche Reaktion. Ich hoffe, dass Italien nicht den zweiten Schritt macht dieses Jahr. Und dass die Stimmung in Frankreich nicht zu europafeindlich hochgeputscht wird, weil gerade Frankreich und Deutschland die Motoren von Europa sind. Dass wir seit 71 Jahren ohne Krieg in Europa sind, wird als Selbstverständlichkeit hingenommen. Statt Dankbarkeit – das ist auch so ein bisschen die deutsche Manie – versuchen wir immer nur zu kritisieren. Auch neue Staaten sind wichtig: in dem Moment, wo wir wirtschaftlich mit ihnen zusammenarbeiten, ist ihr wirtschaftliches Interesse grösser als ein kriegerischer Gedanke.
Der kürzlich verstorbene Unternehmer Fred Hoffmann wollte ein Buch zur Geschichte der deutschen Community hier in Katalonien herausbringen. Ist es nicht an der Zeit, dass der KDF sich des Themas annimmt?
Nein. Ich bin anderer Meinung. Ich glaube, dass es viel wichtiger ist, die Gemeinsamkeit von allen Institutionen anderer Länder im Ausland klarzumachen. Ob es die Franzosen, die Briten oder die Deutschen in Spanien sind. Es ist wichtig, dass es ein Selbstverständnis gibt. Man kann Dinge historisch dokumentieren, aber es wäre falsch, sie zu sehr zu pointieren. Ich fühle mich als Teil der hiesigen Gesellschaft. Auch die hundertjährige Handelskammer ist nur Teil der Gesellschaft. Wir sollten uns aber aktiver mit allen Europäern vor Ort in die Gesellschaft einbringen. Historie ist wichtig. Zukunft ist wichtiger, wenn wir aus der Historie lernen.
Gibt es ein Thema, das wir nicht angesprochen haben, Ihnen aber am Herzen liegt?
Wichtig sind Initiativen. Initiativen, die aus einer Gruppe von engagierten Menschen entstanden sind, wie der TaschenSpiegel oder unser Kreis deutschsprachiger Führungskräfte. Man hat sich hingesetzt und überlegt, wie man sich wechselseitig helfen kann. Dann wurde das institutionalisiert. In unserer Gesellschaft ist es wichtig, Initiative zu zeigen. Auch in dem Konflikt Katalonien – Spanien ist es wichtig, dass egal, welche Position man vertritt, wir dazu beitragen, dass die Gesellschaft nicht gespalten ist, sondern die Meinung der anderen respektieren. Ich setze mich mit deiner Meinung auseinander, bitte setze Dich auch mit meiner Meinung auseinander und dann gucken wir mal, was daraus wird. Wir müssen den Respekt vor der Meinung des anderen noch lernen.
Herr Peters, ich danke für das sehr interessante Gespräch.
von Ina Laiadhi
Schlagwörter: Europa, Interviews