“Smart City” – Lebenswert oder Horror-Utopie?
Mit dem Begriff “Smart City” wollen vor allem die High-Tech-Konzerne ihre Ideen verwirklichen im Hinblick auf Informations- und Datenverarbeitung, organisierte Mobilität, Wasser- und Strom-Verfügbarkeit oder organisiertes Abfall-Management.
Sensoren registrieren jede Aktivität des einzelnen Bürgers. Alles, was sich in der Stadt bewegt, haben Kameras im Blick. Die gesamte öffentliche Infrastruktur ist mit dem Internet verbunden. Aus all diesen Daten wird der effizienteste Ablauf des Lebens berechnet: wie der Mensch auf welcher Route am schnellsten zum Ziel kommt, welche Mülleimer geleert werden müssen, auf welchen öffentlichen Toiletten das Klopapier aufgefüllt werden muss, wann und wo die Klimaanlagen in welchen Gebäuden kühlen und wann die Jalousien heruntergefahren werden müssen. Als ein Highlight gilt das unterirdische Abfallentsorgungsnetz: Von jedem Einwurfpunkt aus wird der Müll in Spezialbehältern wie bei einer Rohrpost mit Druckluft in ein Kraftwerk zur Biogasgewinnung befördert. Wird die eigene Wohnung betreten, geht automatisch das Licht an, Heizung, Klimaanlage oder Kamin werden aktiviert und eine Computerstimme liest die neuesten Nachrichten vor. Sämtliche Haushaltsgeräte sind natürlich auch vernetzt und reagieren auf Sprachbefehl.
Der Computer berechnet alles, was seiner Meinung nach das Beste für den Bürger ist. Für einige ist diese Vision einer “intelligenten Stadt” auch eine Horror-Vision.
Viele Architekten befürchten, dass diese “Smarte Stadt” zu einem dumpfen Konsum-Center verkommt und aufhört ein Ort öffentlicher Auseinandersetzung zu sein. Den Architekten geht es in ihren Visionen weniger um Technologie, sondern mehr um die Sicherung eines autarken Lebensstils mitten in der Stadt, wie zum Beispiel das “Urban Gardening” oder um einen Umbruch beim Thema Verkehr.
Interessante Studien bezeichnen die Ideologie der “Smart City” gar als Konzept der “Kontrolle” ihrer Einwohner, die den Fokus nur auf Effizienzsteigerungen richtet und die negativen Auswirkungen, verbunden mit biometrischer Überwachung etc. außer Acht lässt, und den Menschen auf der Strecke lässt.
Ein Beispiel dafür ist wohl die Stadt Songdo in Südkoreas Westküste. Hier wurde eine riesige Landfläche mit 6 km² ins Meer aufgeschüttet. Die Stadtplaner haben alles aufgeboten, was technisch möglich ist, und der amerikanische Technologiekonzern Cisco hat dort alles nur Erdenkliche vernetzt. Schließlich sollte die Stadt 70.000 Bewohnern und 300.000 Pendlern Platz bieten. Seit 2007 ist die Stadt bezugsfertig, aber für ein Leben unter Kontrolle, mit Kameras und Sensoren auf Schritt und Tritt begleitet, interessieren sich doch weniger Menschen als angenommen. Bis heute leben gerade mal 20.000 Menschen dort. Ein ähnliches Schicksal erlebt Masdar City in Abu Dhabi, die als umweltfreundliche Zukunftsstadt am Reißbrett geplant wurde und an ihrer Riesenhaftigkeit gescheitert ist. Die Kosten für die aus dem Boden gestampfte Stadt, in der die gesamte Infrastruktur mit Hightech-Zubehör ausgestattet ist, explodierten, die erwartete Nachfrage trat nicht ein, so dass die Stadt heute halb fertig und kaum bewohnt ist.
In Europa wurde die Stadt Santander zum EU-geförderten Smart-City-Labor. 12.000 Sensoren wurden in der 180.000 Einwohner-Stadt installiert. Dort “melden” sich freie Parkplätze bei Autofahrern, der Stadtpark gibt im Rathaus Bescheid, wenn die Erde zu trocken ist, und große Kreuzungen schlagen Alarm, wenn Schadstoffe oder Lärm überhandnehmen. Doch während Medien und Forscher erst begeistert über die neuen Möglichkeiten berichteten, blieb das Interesse der Bürger Santanders an den neuen Technologien gering. Die großen Technologiekonzerne vergessen häufig, die Technik an das reale Leben anzupassen. Viele Wissenschaftler mahnen, “den Fokus ausschließlich auf effiziente Abläufe zu richten, ignoriert fundamentale, bürgerliche Ziele wie Lebensqualität, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit.”
Noch ein anderer Negativpunkt einer “Smart City” ist die Angreifbarkeit der hochkomplexen Systeme, Hackerangriffe könnten ganze Städte zum Erliegen bringen, vom Datenschutz ganz zu schweigen.
Deutliche Kritik kommt deswegen auch von Datenschutz-Aktivisten, die die “Smart City” als eine “total überwachte, ferngesteuerte und kommerzialisierte Stadt sehen, die den Bürger auf seine Eigenschaft als Konsument beschränkt und ihn zum datenliefernden Objekt macht”.
Bildunterschrift: Urban Gardening produziert Lebensmittel direkt in der Stadt
Von Petra Eissenbeiss
Schlagwörter: Europa, Kultur, Moderne Welt, Umwelt