Strom – unsere gefährlichste Droge
Nicht Rauchen, kein Alkohol, wenig Zucker, kaum Salz, begrenzte Bildschirmzeiten. Überall versuchen wir unsere Kinder vor Abhängigkeiten zu warnen. Doch der größten Abhängigkeit haben wir uns bereits seit Generationen ausgeliefert, dem Strom. Mal ganz davon abgesehen, dass die überwiegende Mehrheit unserer Jobs ohne Strom nicht ausführbar wäre und wir also folglich bei einem längeren Stromausfall plötzlich sehr viel Freizeit hätten, wären wir spätestens innerhalb von 2 bis 5 Tagen in einer ernstzu-nehmenden Krise.
Was wäre, wenn?
Unsere gesamte Mobilität und Kommunikation würden binnen kürzester Zeit aussetzen. Züge blieben sofort stehen, Autos kurze Zeit später, weil die Tankstellen nicht funktionierten. Das Telefonnetz bräche zusammen, da die Server nur Notkapazitäten für einige Stunden haben. Wir wären also auf unsere nähere Umgebung begrenzt.
Wer denkt, mit einer Eigenstromversorgung könnte er sich retten, sitzt leider einem Irrtum auf, denn die fehlende Netztrennung würde bei flächendeckenden Ausfällen automatisch zur Abschaltung der kleinen Einheiten führen. Nur die wenigsten Solarpaneele auf den Dächern bedienen ein autarkes Netz.
Krankenhäuser haben zwar Notstrom, aber wären plötzlich komplett überlastet, da die Zahl der Unfälle wegen ausgefallener Signalanlagen exorbitant steigen und zeitgleich die Kühlsysteme für Medikamente versagen würden. Diabetiker und Dialysepatienten wären davon sehr schnell betroffen.
Die Wasserversorgung würde wegen nicht funktionierender Pumpen versagen und Kläranlagen müssten ungefiltertes Wasser ablassen, abgesehen davon, dass die UV-Desinfektion, der Stromfresser Nummer 1, nicht aufrechterhalten werden könnte. Trotzdem würden sich Rückstaus bilden und binnen Tagen unsere Kanalisation fluten.
Tierversorgung, Lüftung, Heizung, Fütterung und Melken wären nicht mehr gewährleistet. Kühe müssten schon nach Ablauf von nur 2 Tagen von ihrem Elend erlöst werden. Die artgerechte Entsorgung wäre allerdings nicht mehr möglich. Seuchen drohten also von mehreren Seiten. Atomkraftwerke ohne Strom mag man sich gar nicht ausmalen.
Woher kommt‘s?
Im Jahr 2020 lag in Deutschland das Jahresmittel an Stromausfall bei 10,73 Minuten. Wir haben also gut gewährleistet und stetig Strom, könnte man meinen. Nichtsdestotrotz hat-ten sich viele nordeuropäische Staaten für diesen Winter auf Blackouts eingestellt. Demgegenüber wähnte sich Spanien auf der Sonnenseite.
Als Grund für einen Blackout kommen verschiedene Ursachen in Betracht. Ein Hackerangriff könnte das europäische Stromnetz lahmlegen, wie es der Roman Blackout von Marc Elsberg darstellt. Ein Sabotageakt wie die Anschläge auf die Nord Stream-Pipelines im September letzten Jahres kann ebenfalls zu einem Blackout führen. Die Wetterabhängigkeit unseres Stromnetzes könnte uns auf gleich drei Weisen zum Verhängnis werden. Mit dem Umstieg auf erneuerbare Energien könnten uns sogenannte Dunkelflauten viel härter treffen als bisher. Es gab zum Beispiel im Januar 2017 eine besorgniserregende Zeitspanne von mehreren Tagen ohne Wind und Sonnenlicht im Osten Deutschlands.
Andersherum können starke Stürme wie die im Januar 2015 zu einer Überlastung des Netzes führen.
Die dritte Möglichkeit ist ein zu hoher Stromtransit. Wenn zum Beispiel in Ungarn ungewöhnlich warmes Wetter herrschte, während in Frankreich eine Kältewelle wütete, würden plötzlich sehr viele Stromeinheiten quer durch Europa transferiert, denn in Frankreich wird sehr viel auf Elektroheizung gesetzt.
Eine weitere Ursache liegt in einfachem Materialversagen. Wenn es aufgrund einer Störung in einem Umspannwerk wie im Januar 2021 in Kroatien zu einem europaweiten Dominoeffekt kommt. Eine Idee davon konnten sich die Barceloneser auf lokaler Ebene machen, als es vor 15 Jahren zum großen Apagon von Barcelona kam. Es dauerte Monate, um die Schäden zu beheben, die durch eine defekte Leitung im Umspannwerk verursacht wurden.
Wie aber begegnen wir dem drohenden Blackout?
In Deutschland wird wie in anderen Ländern auch stetig analysiert, Worst-Case-Szenarien werden entworfen und Gegenmanöver geprobt. Die absolute Schlüsselposition nehmen die Speicher ein. So ist zum Beispiel der Gasspeicher in Deutschland von existenzieller Bedeutung. Dieser ist allerdings durch die Krise in der Ukraine unsicher geworden.
Mit vollen Stromspeichern kann man Ausfälle eine Zeitlang überbrücken, bis die Systeme wieder anlaufen. Auch die „Starthilfe“ für zum Erliegen gekommene Stromanlagen wäre so gesichert, denn viele Anlagen können nicht aus eigener Kraft wieder anlaufen.
Um diese gespeicherten Ressourcen zu schonen, wurden in Großbritannien stundenweise Stromabschaltungen in der dunklen Jahreszeit in Betracht gezogen. Deutschland hat in Kampagnen zu Heizkosteneinsparungen aufgerufen, Österreich Listen von Katastrophenvorräten ausgegeben.
Spanien wiegt sich demgegenüber in Sicherheit, da es weniger auf Gas als Stromerzeuger gesetzt hat, das faktisch von außerhalb Europas bezogen werden muss und daher einen Unsicherheitsfaktor darstellt. Tatsächlich ist Spanien mit seiner Solarenergie auf der Sonnenseite Europas. Im Zweifelsfall könnte Spanien sich wahrscheinlich wie eine Insel selbst mit Strom versorgen. Die Frage ist nur, wie weit ein einzelnes Land in der global vernetzten Welt damit kommt.
Es ist in den letzten Jahren viel Bewegung in das Thema Stromversorgung gekommen. Eins ist jedoch sicher, Strom ist unsere Droge und je weniger wir konsumieren, desto besser.
Von Kati Niermann, April 2023
Schlagwörter: Moderne Welt