Alles woke oder was?
Gestern hörte ich mir einen Podcast von hr2-kultur an: „Wir – woke und tolerant?“ Darin liefern sich die Publizistinnen Natascha Kelly und Zana Ramadani einen verbalen Schlagabtausch über Diskriminierungen aller Art, also Rassismus, Sexismus, Antisemitismus oder antimuslimischer Rassismus. Es wird deutlich, dass – obwohl beide jede Form der Diskriminierung ablehnen – sie sich nicht auf einen gemeinsamen Standpunkt einigen können.
Das liegt vor allem daran, dass sie ein unterschiedliches Verständnis des Begriffs „woke“ haben. Ramadani sieht in den woken Bewegungen eine Bedrohung für die Demokratie, Kelly kritisiert die mangelnde Theoretisierung der woken Forderungen. Was aber bedeutet woke genau?
Ursprünglich war es ein durchaus positiv gemeinter Begriff aus dem afroamerikanischen Englisch, der so viel bedeutete wie „politisch aufmerksam, informiert, wachsam, engagiert“ (nach dem Verb to wake up) in Bezug auf die soziale und rassistische Diskriminierung der Afroamerikaner*innen in den USA. Seit seiner Entstehung in den 1930er Jahren bezog er sich in erster Linie auf öffentliche Proteste und erlebte seit 2013 ein Comeback in der Black-Lives-Matter-Bewegung, wo sich die Protestierenden mit dem Ausdruck „stay woke“ gegenseitig dazu aufriefen, entschlossener auf Benachteiligungen (vor allem durch die Polizei) hinzuweisen.
Inzwischen bezieht woke auch Umweltaktivist*innen und jede Art von progressiver Politik gegen Ungleichheit und Unterdrückung von Minderheiten ein. Diese sogenannte Identitätspolitik hat inzwischen in vielen gesellschaftlichen Gruppen, in den Medien und sogar in der Wissenschaft an Land gewonnen, was man/frau etwa an der Praxis des Genderns in der deutschen Sprache bemerkt. Sprachliches Gendern will auf die wichtige Position von Frauen in vielen Bereichen des öffentlichen Lebens hinweisen und sie sprachlich adäquat wiedergeben, indem Femininformen verwendet werden, ob nun Lehrer:innen, Lehrer*innen oder Lehrer/innen. In wissenschaftlichen Vorträgen ist es nicht mehr üblich, auf das Gendern zu verzichten.
Der woke Teil der Gesellschaft und seine politischen Ambitionen werden inzwischen von der konservativen Rechten stark kritisiert und teilweise abgewertet. Bemühungen gegen Rassismus, Sexismus, Homophobie oder Transphobie werden als „abartig, verrückt, gefährlich“ für die deutsche Bevölkerung dargestellt, die Ziele der Grünen und Linken werden als „woker Irrsinn“ abgetan und bekämpft.
Es kommt also immer darauf an, wer das Wort in welchem Kontext verwendet. Barcelona ist mit Sicherheit eine sehr woke Stadt, und wer das sagt, meint es doch mit Sicherheit positiv, oder?
Warum nun sieht Ramadani in den woken Gruppen eine Bedrohung der Demokratie? Die politisch engagierten Menschen glauben natürlich, dass sie gut handeln, aber manchmal bedrohen oder verunglimpfen sie auch andere, die nicht so „gut“ oder „politisch korrekt“ sind wie sie selbst. Der Kampf für immer neue angebliche Opfergruppen geht einher mit der Ausgrenzung und Diffamierung von anders Denkenden. In deren Frustration sieht die Autorin einen der Gründe für das Anwachsen der Rechtsextremen in Deutschland.
Von Dr. Katharina Städtler, Februar 2024
Buchtipps:
Zana Ramadani, Peter Köpf: WOKE – Wie eine moralisierende Minderheit unsere Demokratie bedroht. Quadriga-Verlag 2023
Natasha A. Kelly: Schwarz.Deutsch.Weiblich. Warum Feminismus mehr als Geschlechtergerechtigkeit fordern muss. Piper-Verlag 2023
Alice Hasters: Identitätskrise, Hanserblau, 2023
Schlagwörter: Kultur, Moderne Welt