Das sind die Gene
Foto: laiadina
Steht ein übergewichtiges Elternpaar mit zwei dicken Kindern eisessend vor dem Fast-food-Restaurant, ist man geneigt zu denken: Uiuiui, schlechte Gene! Wissenschaftlich fundierter lautet der Gedanke: Der Zusammenhang zwischen Ernährung und Epigenetik ist ein spannendes Thema.
Natürlich gibt es dazu eine Studie mit Mäusen, gelben Agoutimäusen um genau zu sein. Sie haben sozusagen den Nachweis erbracht, dass man genetische Fehlkonstellationen weitervererben, dem aber auch aktiv entgegenwirken kann. Gelbe Agoutimäuse haben ein Gen, das sowohl die Fellfärbung, als auch die Neigung zu Übergewicht, Krebs und Diabetes beeinflusst. Bei normaler Ernährung geben sie diese Genproblematik fast eins zu eins weiter. Mit bestimmten Nahrungsergänzungsmitteln gefütterte trächtige Weibchen bekamen aber auch Nachwuchs mit gesunder brauner Fellfärbung, die schlank und gesund blieben.
Die Ergebnisse sind tatsächlich auf den Menschen übertragbar. Wir sind der Genetik nicht, wie früher angenommen wurde, hilflos ausgeliefert. Erworbene Fähigkeiten können vererbt werden, man kann also seine Gene grob gesprochen umerziehen, zum Guten und zum Schlechten. Die Epigenetik vom (altgriechischen Epi = zusätzlich und Genetik = Vererbungslehre hergeleitet) ist die Wissenschaft, die sich damit befasst, wodurch die Aktivität von Genen beeinflusst wird. Was für eine Vision ergibt sich da, wir ernähren uns während der Schwangerschaft ein paar Monate gesund und unsere Kinder werden wunderschön. So einfach soll es tatsächlich sein?
Nun ja, nicht ganz, denn neben der Ernährung gibt es eine ganze Reihe weiterer Umweltreize, wie Stress, Schlaf, Bewegung, klimatische Bedingungen, die unsere epigenetische Programmierung beeinflussen. Und der Zeitraum für diesen Einfluss geht mit der Schwangerschaft nicht zu Ende. Allerdings gibt es deutliche Hinweise, dass in der frühen Entwicklung im Mutterleib, als Säugling und in den ersten Kindheitsjahren die Prägung am drastischsten wirkt. Überernährung im Uterus und nicht ideal zusammengesetzte Flaschennahrung statt Stillen erhöhen das Risiko für Adipositas und Diabetes enorm.
Und nun der Umkehrschluss, entwickelt das Kind Diabetes, dann ist die Mutter schuld? Man hüte sich, auch werdende Väter bestimmen durch ihr Ernährungs- und Sportverhalten mit, welche Gene wie aktiviert werden. Fehlentwicklungen lassen sich nicht nur in Darm, Leber und Fettzellen nachweisen, sondern auch in den Spermien.
Eine andere Studie belegt, dass nicht nur die Überernährung im Mutterleib einen Hang zu Fettleibigkeit und Kränklichkeit weitergibt. Auch eine Unterversorgung während der Schwangerschaft zielt in dieselbe Richtung. Die Studie wertete hunderte von Probanden aus, die nach dem harten Kriegswinter 1944/45 geboren wurden. Sie neigten genauso zu Übergewicht und Krankheitsanfälligkeit.
Die richtige Mischung macht es also. Nicht zu wenig und nicht zu viel von allem und alle drei Ernährungsgruppen, Eiweiß, Fett und Kohlehydrate müssen ein ausgewogenes Verhältnis haben.
Die neuere Forschung hat gezeigt, dass nicht nur das „was“, sondern auch das „wann“ entscheidend ist. Ein Glas Sekt in der Schwangerschaft kann gut gehen, aber wenn es im falschen Moment getrunken wird, kann schon ein einziges Glas Sekt die Entwicklung des Kindes derart beeinflussen, dass es später den Unterschied zwischen Hauptschulempfehlung und Gymnasialempfehlung ausmacht. Sicherheitshalber sollten Schwangere deswegen generell auf Alkohol verzichten.
Auch der Trend zum längeren Stillen und der exakte Fahrplan, ab wann welche Lebensmittel zugefüttert werden sollten, basiert auf der Epigenetik. So hat man lange Zeit beim Risiko einer Glutenunverträglichkeit darauf gedrungen, so spät wie möglich Gluten in die Säuglingsernährung einzuführen. Neue Untersuchungen haben allerdings ergeben, dass es ein bestimmtes Zeitfenster zwischen dem 4. und dem 6. Lebensmonat gibt, in dem man durch die Gabe kleinster Mengen glutenhaltiger Nahrung das Risiko einer Zöliakie senken kann.
Diese Zeitfenster zu finden, in denen Gene aktiviert beziehungsweise deaktiviert werden, ist eine große Hoffnung der Epigenetik.
Bis dahin kann man nur weiterhin eindringlich eine gesunde und ausgewogene Ernährung vor und während der Schwangerschaft, in der Stillzeit und in der frühen Kindheit empfehlen. Und wenn man einmal dabei ist, kann man sie auch gleich lebenslang beibehalten und so nicht nur dem Nachwuchs, sondern auch sich selbst etwas Gutes tun.
Zum Weiterschauen und -lesen: https://www.gesundheitsforschung-bmbf.de/de/epigenetik-essgewohnheiten-schlagen-sich-im-erbgut-nieder-3319.php; https://www.ardmediathek.de/ard/video/w-wie-wissen/epigenetik-was-unsere-gene-und-die-unserer-nachkommen-steuert/das-erste/Y3JpZDovL2Rhc2Vyc3RlLmRlL3cgd2llIHdpc3Nlbi85NDNmZjI2Ny01MGY5LTRlMzAtYTQ3My0wNjFiMGRmMTFjMzQ/)
Von Kati Niermann
Schlagwörter: Europa, Gesundheit, Moderne Welt, Umwelt