Ein historischer Fund wird zur Herausforderung
Der Klub Hannah traf sich im September 2018 im Goethe-Institut zum 9. Mal. Zum Meet and Greet vor dem eigentlichen Vortrag füllte sich die Cafeteria sehr schnell mit geschäftigen Teilnehmerinnen. Herzlich begrüßten sich die Frauen, die schon mal dabei gewesen waren. Neuankömmlinge wurde schnell aufgenommen und frau stellte sich gegenseitig vor.
Das Interesse war wegen der Storytellerin Dory Sontheimer besonders groß, sodass wir in den Veranstaltungssaal umziehen mussten. Die gewohnte Bibliothek war definitiv zu klein.
Dory Sontheimer wächst in den 50er und 60er Jahren im Spanien Francos auf. Sie wusste um ihren deutschen, jüdischen Ursprung, ohne dem große Bedeutung beizumessen. Es war eine Zeit des Schweigens in der Diktatur. Wer wusste denn, was einem einmal schaden konnte. Nach ihrer Schulbildung absolviert sie in Barcelona ein Studium zur Pharmazeutin und träumt daneben von einer eigenen Familie und Kindern. Alles läuft wie gewünscht. Als ihre Eltern älter werden, kümmert sie sich liebevoll um sie. Nach dem Tod ihrer Mutter entdeckt sie dann mit 57 Jahren auf deren Dachboden in 7 Kisten Dokumente, Briefe und Fotos, die ein ganz neues Licht auf die Chronik der Familie ihrer Eltern werfen, die 1934 aus Deutschland nach Barcelona emigriert sind.
Dory Sontheimer weiß bis dahin wenig über die Geschichte ihrer Familie. Monatelang wühlt sie sich trotz der starken, emotionalen Herausforderung durch die Dokumente. Bis sie sich entschließt, das Thema systematisch anzugehen und sich umfassend durch historische Quellen und Experten zu informieren. Sie will diese Ereignisse für sich selbst aufarbeiten. Ihr Mann und ihre Kinder unterstützten sie bei diesem schweren Unterfangen und bestärken sie, Schreibkurse zu belegen, um Texte verfassen zu lernen. Es entstand die Idee ein Buch daraus zu machen
In ihrem Vortrag zeigte sie uns die entsetzliche Auswirkung der Vernichtungsmaschinerie des 3. Reichs auf ihre eigene Familie. Es war sehr bewegend für sie und die Teilnehmerinnen, weil sie historische Fotos und Dokumente neben die persönlichen ihrer Großeltern und Familie stellte und ganz klare Verbindungen zeigte. Das war also alles direkt ihrer Familie passiert und ihre Eltern waren wohl darüber eingekommen, mit niemanden mehr darüber zu sprechen. Nur fein säuberlich geordnet die Dokumente zu erhalten. Auschwitz, Buchenwald, Dachau schwirrten durch den Raum. Abgelehnte Ausreiseanträge wie Durchhalte-briefe. Ein Großteil der Familie ist ausgelöscht worden. Um das alles nicht in Vergessenheit geraten zu lassen, schreibt sie in den beiden Büchern „Las 7 cajas ” und „La octava caja“ – beides noch nicht auf Deutsch erschienen – eine Hommage an ihre Familien-mitglieder. Und sie beginnt, intensiv nach den Familienmitgliedern zu suchen, die seitdem in der Welt verstreut sind. 2017 bringt sie in Barcelona viele von ihnen im Goethe-Institut zusammen, das sie in Zusammenarbeit mit dem Sender TV3 auch bei der Realisierung eines Dokumentarfilms unterstützt hat.
In der Fragerunde, die sich anschloss, wurde klar, dass Dory Sontheimer den Fund dieser historischen Dokumente auch als eine Chance sieht. Sie ist daran gewachsen, sie hat sich ihrer Geschichte gestellt, hat sich Fachwissen angeeignet und ist inzwischen eine gefragte Vortragende geworden, die besonders oft vor Schülern davon erzählt, damit die Geschichte nicht vergessen wird. Sie schweigt nicht mehr. Denn Gewaltexzesse und Extreme nehmen gerade wieder in verschiedenen Europäischen Ländern zu. So kamen wir zum Schluss dann auf die Ursprünge der Europäischen Union zu sprechen, die auch auf dem Willen basiert, dass es niemals wieder solch einen Krieg und niemals wieder Ausschwitz geben darf. Wehret den Anfängen!
Von Sabine Neuer
Schlagwörter: Europa, Frauen, Klub Hannah in Barcelona