Ein Plädoyer für den deutschen Urwald
Wenn das Thema Wald diskutiert wird, dann darf in Deutschland eine Stimme nicht fehlen, die von Peter Wohlleben. Niemand hat das Thema in der breiten Öffentlichkeit so sehr angestoßen wie er.
Sein Buch „Das geheime Leben der Bäume“ führte 2 Jahre lang die Bestsellerlisten an. Und das mit Recht. Wohlleben erklärt in angenehm entspanntem Ton, wie Bäume ticken. Sie werden von ihren Müttern erzogen, sprechen miteinander, schließen Freundschaften, warnen und päppeln sich gegenseitig. Das erste, was man beim Lesen dieses Buches fühlt, ist eine tiefgehende Entschleunigung. Förster Wohlleben spricht nicht über Hektar, Erträge und Raummeter, sondern über Baumsolidarität, Nachwuchssorgen und Rivalenkämpfe. Das nächste sind viele kleine Aha-Momente. Deswegen knarzt der Wald, darum gehen angepflanzte Monokulturen kaputt, das ist der Sinn des üppigen Samenspendens.
Der Wald hat sich etwas dabei gedacht!
Hat er das?
Bäume haben kein Gehirn. Sie denken nicht, ergo fühlen sie auch nicht, so sagen seine Kritiker. Wohlleben würde die Pflanzenwelt vermenschlichen, ihr logisches Handeln andichten und damit jeder wissenschaftlichen Grundlage entbehren.
Der Kernpunkt des Streits liegt wahrscheinlich tiefer. Wohlleben spricht sich gegen das rigide Eingreifen der Menschen in Wäldern aus. Er plädiert für den Rückzug aus der kosten-nutzen-orientierten „Waldbewirtschaftung“ hin zur Herstellung des Urzustands, dem Urwald. Da lässt man den Borkenkäfer einfach mal machen und hektarweise Nutzwald vernichten, dieser wird sich schon wehren. Das braucht nur Zeit. Für Forstbesitzer ist es schwierig, die Hände in den Schoß zu legen und abzuwarten, ob sich der Baumbestand je wieder erholt. Wohlleben wurde sogar Ignoranz gegenüber den Sorgen engagierter Forstwirte vorgeworfen.
Ich denke nicht, dass man dem jahrelangen Förster eine Kompetenz für den Wald absprechen kann. Auch hat er sein Buch mit Quellenanmerkungen unterlegt. Hochwissenschaftlich ist es nicht, aber das ist wohl auch gar nicht der Anspruch. Es weckt das Interesse der Öffentlichkeit, macht sensibel für ein Problem, bei dem wir zu lange weggeschaut haben, den Schwund des Waldes. Von diesem Punkt aus in verschiedene Richtungen zu denken, ist erlaubt. Für ein eigenes Urteil muss man sich wohl oder übel entscheiden, worin man den Nutzen des Waldes sieht. Als Holzlieferant für die Möbel- und Papierindustrie, Parkettböden und Pelletheizung oder als Ort, um Frieden zu finden, die Akkus aufzutanken, Haut und Lunge zu entgiften, sich zur letzten Ruhe zu betten. In Zeiten, wo es uns Menschen wie hier in Spanien verboten ist, raus in die Natur zu gehen, merken wir, wie das Pendel plötzlich in eine neue Richtung ausschlägt. Der Wald ist mehr als ein Rohstofflieferant, er sichert ganz nebenbei unser Überleben auf diesem Planeten. Auf jeden Fall sollte man das Buch gelesen haben, um den Wald besser zu verstehen und im Umgang mit unserer Ressource Natur das eigene Gehirn einzuschalten, wenn denn schon der Wald keines hat.
Von Kati Niermann
Schlagwörter: Europa, Gesundheit, Kultur, Umwelt