Eine geborene Schriftstellerin
Interview mit Petra Reski, Journalistin und Schriftstellerin
Petra Reski lebt seit 1991 in Venedig, wo sie den „Venezianer an ihrer Seite“ fand. Sie berichtet engagiert aus Italien, gerne mit ironischem Unterton. Auch ihre Romane spielen in Venedig oder Sizilien. Besonders interessiert sie die Mafia mit ihren Verzweigungen in Deutschland.
Sie sind Journalistin, Autorin und Romanschreiberin. Wie sind Sie zum Schreiben gekommen?
Ich habe immer geschrieben schon als Kind. Ich wollte immer schreiben. Als lesehungriges Kind mit Fantasie ist es zum Schreiben nicht sehr weit. Ich wollte von Anfang an Journalistin werden. Mein Vater, der mit 27 unter Tage umgekommen ist, hatte früh gesagt: Die wird mal Auslandskorrespondentin. Ich hatte also keine Alternative. Es ist eine Art, meinen Vater lebendig zu machen.
Sie schreiben in diversen Gattungen wie Sachbuch, Roman, Krimi. Was bringt Ihnen das Schreiben?
García Márquez hat mal gesagt, man kommt schwarz zur Welt oder als Schriftsteller. Es geht nicht um die Frage, ob Dir das was bringt oder nicht. Du bist so, das ist eine Disposition, die du hast oder die du nicht hast. Wenn man es von irgendetwas abhängig macht wie Erfolg, Zuspruch oder was auch immer, dann ist man kein Schriftsteller mehr. Man schreibt, weil man es muss und von dem inneren Drang getrieben wird, seine Visionen mitzuteilen. Und freut sich, dass die Welt und vielleicht drei Leser daran interessiert sind. So wie man die Welt sieht, will man sie beschreiben. Darin besteht der Schreibprozess, der natürlich auch viel handwerkliches Werkzeug erfordert.
2010 haben Sie anlässlich der Woche der Novela Negra in Barcelona Ihr Buch „Mafia“ vorgestellt. Eine Frau traut sich über die Mafia zu schreiben? Haben Sie manchmal Angst?
Nein. Es gab unschöne Momente, als ich auf Lesungen bedroht und später verklagt wurde. Da ich anfangs wenig Unterstützung in Deutschland erfahren habe, war es anstrengend. In Italien dagegen habe ich große Unterstützung erlebt, deshalb habe ich hier keine Angst gehabt. Wenn man sich dem Thema Mafia mit Angst nähert, dann hat es keinen Zweck. Das ist normales journalistisches Business. Das größte Problem bei der Berichterstattung über die Mafia ist, dass sehr viele Leute in der sogenannten Grauzone darin verwickelt sind. Unternehmer, Politiker, die die Mafiosi unterstützen. Die Fäden können bis in die Redaktionen hineinreichen. Wenn es schwarz-weiß wäre, wie es oft dargestellt wird, wie es aber nie war, – also hier die böse Mafia, da die Guten – dann wäre es etwas anderes. Die Mafia konnte sich ja nur so lange halten, weil sie die große Unterstützung in politischer oder wirtschaftlicher Hinsicht erfährt. Nicht nur die Mafia ist gefährlich für dich, sondern die anderen, die Angst haben entdeckt zu werden. Wenn es eine größere Sensibilität für die eigentlichen Strukturen gäbe, dann wäre schon viel für die Journalisten gewonnen, die sich damit beschäftigen.
Warum gerade die Mafia?
Ich bin im Ruhrgebiet in einer ostpreußisch-schlesischen Großfamilie aufgewachsen, aus der meine Mutter ausgeschlossen wurde, als sie sechs Jahre nach dem Tod meines Vaters, mit 33 Jahren, wieder zum Tanzen ging. Diese Art von familiärer Amoralität – d.h. alles, was innerhalb der Familie passiert, ist gut, und wir schotten uns nach außen ab – ist ja auch die Basis der Mafia. Ich habe es in einer vereinfachten Form in meiner Familie erlebt. Als Kind war ich im moralischen Zwiespalt, weil ich die Familie meines Vaters liebte, ich aber allein zu deren Familienfeiern gehen musste. Das hat mich für das Thema des familiären Amoralismus sehr sensibilisiert. Als ich über den Film „Der Pate“ von Mario Puzo auf profane Weise von der Existenz der Mafia erfahren habe, war meine Neugierde geweckt und ich bin mit 20 von Kamen nach Corleone mit dem Auto gefahren. Als ich 1989 als Journalistin in den „Frühling von Palermo“ kam, hat sich mein Interesse verstärkt und meine Recherche vertieft. Damals war ich davon überzeugt, dass die Mafia einen Anfang, aber auch ein Ende haben würde. Aber die Mafia entwickelt sich weiter und bleibt ein wichtiges Thema.
Wenn Picasso noch leben würde und Sie ihm Ihr letztes Buch „Als ich einmal in den Canal Grande fiel“ schenken würden, würde er ein schwarzes oder rosa Bild von Venedig malen?
Auf jeden Fall ein schwarzes. Ein Bild wie Guernica von Venedig zu malen, wäre ein leichtes als Künstler. Es will keiner wahrhaben. Ich wiederhole es gebetsmühlenartig: Der Mensch möchte gerne Märchen hören. Dafür eignet sich Venedig besonders gut. Momentan sind es scheinbar die Davids, die gegen die Goliaths, die Kreuzfahrtschiffe gewinnen. Aber Venedig wird mit einem Zynismus von der lokalen, regionalen und nationalen Politik verkauft, der kaum Beispiele in der Welt kennt. Ich engagiere mich als Journalistin und Schriftstellerin, um es der Welt zu verkünden, was sich dahinter verbirgt. Bücher über Venedig haben oft historische Themen oder sind Krimis, die praktisch nichts anderes als Tourismuswerbung sind. Ich will zeigen, was im gegenwärtigen Venedig wirklich passiert und was die Gründe für den Ausverkauf sind.
Hitzewellen, Waldbrände: Der Klimawandel klopft im Mittelmeerraum an die Tür. Wie steht es mit Venedig?
Wir hier in Venedig können den Klimawandel an den Füßen spüren. Selbst im August hatten wir ein Hochwasser. So viele Hochwasser, wie wir in den letzten Jahren hatten, gab es vorher nie. Die Hochwasserschleuse MOSE, deren Bau 8 Milliarden Euro in der Laguna versenkt hat, wird nie richtig funktionieren. Erneut haben unabhängige Techniker darauf hingewiesen, dass die Scharniere der Fluttore verrostet sind und dass es eine Gefahr für Venedig sein kann, wenn sie betätigt werden. Wir wissen noch gar nicht, wie sie sich auf die Lagune auswirkt, wo wir mit Ebbe und Flut leben. Wenn das Wasser zu sehr abgeteilt wird, dann fällt der Austausch weg. Wir werden dann eine Kloake haben, weil viele Wohnungen noch nicht an die Kanalisation angeschlossen sind.
Daneben wurde bei den Berechnungen für das Flutsperrwerk der Anstieg des Meeresspiegels niedriger angesetzt, als es schon vor 30 Jahren vom IPPC* vorhergesagt wurde. Zudem wurde die Lagune für die Kreuzfahrtschiffe massiv ausgebaggert, was man als Killer der Lagune bezeichnen kann. Das Wasser fließt viel schneller ein und viel langsamer wieder ab. Und trotz dieser problematischen Lage werden jetzt weitere Kanäle großzügig zum Kreuzfahrtschiffhafen ausgebaggert.
Natürlich kann man weiter nach Venedig fahren, aber man sollte es im Bewusstsein dieser Situation tun. Und keine Tagesausflüge machen.
*The Intergovernmental Panel on Climate Change
Venedig leidet wie Barcelona unter dem Massentourismus. Wenn Sie Stadtplanerin wären, was würden Sie in Venedig ändern?
Es gibt viele Ansatzpunkte: AirBNB verbieten, das ist eins der größten Probleme der Venezianer: sie finden keinen bezahlbaren Wohnraum mehr. Aber vorher würde ich die Autonomie für Venedig durchsetzen. Solange wir mit Mestre auf dem Festland zwangsverheiratet sind, wo die Wähler nicht dieselbe Realität wie AirBNB oder Hochwasser leben, können wir die Interessen von Venedig nicht durchsetzen. Overtourismus begünstigt auch überall Illegalität wie schwarz vermieten, schwarz verkaufen. Früher waren die Lizenzen für Restaurants in ausreichenden Abständen zueinander geplant. Heute gibt es viel zu viele. Auch Geschäfte, die geschützte „Specialità veneziane“ anboten, kamen durch ein neoliberales Gesetz der EU in Bedrängnis, weil freie Marktgesetze umgesetzt werden mussten. Die Geschäfte, nicht nur die der venezianischen Spezialitäten, gingen dann schnell ein, sondern im Grunde alle Einzelhändler des normalen Bedarfs. Dafür können wir heute Plastik-Trash aus China an jeder Ecke erwerben.
Sie haben ein gutes Dutzend Bücher veröffentlicht. Welches liegt Ihnen am meisten am Herzen?
Wie immer: Das letzte. Mein Venedig-Buch, weil viel von meiner persönlichen Geschichte drinsteckt und woran mein Herz hängt.
In Europa beobachten wir steigenden Rechts- oder Linkspopulismus. Haben Sie Angst um Europa?
Nein, aber ich bekämpfe den Neoliberalismus, wo es geht. Davor sollte man mehr Angst haben als vor einem wie auch immer gearteten Populismus. Neoliberalismus ist für mich nichts anderes als Brachial-Kapitalismus, wie er besonders gegen Arme und Schwache in Europa durchgesetzt wird. Ich kann den Unmut von rechts oder links irgendwie verstehen. In Italien reden die meisten momentan nur vom Green pass und was man damit wieder alles machen darf. Aber an die wahren Probleme traut sich keiner ran.
Die Pandemie hat die Schwächen der kulturellen Strukturen aufgezeichnet. Wie sehen Sie die Zukunft?
Die Fabriken waren offen und die Kultur war zu. Da macht man sich den einen
oder anderen Gedanken dazu. Die ganzen Freiberufler wie Musiker, Schriftsteller, Schauspieler leiden darunter. Bei mir war es auch so. Ich konnte keine Lesereisen machen. Online hilft da nur bedingt.
Im Oktober bekommen Sie den Ricarda-Huch-Preis der Stadt Darmstadt. Als Anerkennung für Ihren Mut, Unerschrockenheit und den Blick auf gesellschaftliche Problembereiche. Was bedeutet das für Sie?
Ja, die Verleihung findet am Tag der Deutschen Einheit statt. Ich habe mich sehr über diesen Preis gefreut, weil es eine wahnsinnig tolle Anerkennung meiner Arbeit ist. Ich hatte damit nicht gerechnet.
Bei unserem letzten Interview 1999 fragte ich nach Ihren Projekten. Damals stand „Ein Land so weit“ kurz vor dem Erscheinen. Haben Sie Ihre Wurzeln gefunden?
Das Buch wird bald neu aufgelegt. Ich werde ganz oft danach gefragt. Es gab sehr viel Echo darauf, denn es war eines der ersten Bücher aus der sogenannten Enkelperspektive, das die Vertriebenenfrage anders beantwortet hat. Es war kein Nostalgiebuch. Viele haben das Buch gelesen und sich dann tapfer durch die Mafia-Bücher gearbeitet. Es hat viel mit mir als Tochter von Vertriebenen und meiner Auseinandersetzung mit meinen Wurzeln zu tun. Es würde mich interessieren, über die langfristige Wirkung des Buches zu schreiben. Es waren ja ca. 12,5 Millionen Vertriebene und deren Kinder, die von allen Parteien damals umworben wurden. Das hat die Deutschen natürlich sehr geprägt. Trotz viel Protest gegen die Merkel-Entscheidung gab es 2015 eine große Hilfsbereitschaft in der Flüchtlingssituation. Ich denke, weil viele sich an ihre eigene Geschichte erinnert haben, wie sie vertrieben worden sind. Jahrzehntelang wurde diese historische Etappe als Erfolgsgeschichte verkauft, aber das war sie gar nicht. Ich habe da auch meine Kindheitserinnerungen an diese Zeit im Ruhrgebiet verarbeitet. Das hat mir geholfen, meine Familie besser zu verstehen.
Was möchten Sie unseren Leser*innen mit auf den Weg geben?
Kauft mein Buch! Sie lacht.
Frau Reski, vielen Dank für das anregende Gespräch.
Ina Laiadhi, August 2021
Infos
Petra Reski, Als ich einmal in den Canal Grande fiel, Vom Leben in Venedig │ Das ungeschönte Porträt der schönsten Stadt der Welt,
2021, Droemer Knaur Verlag, 18€,
ISBN 978-3-426-27846-8
Schlagwörter: Frauen, Kultur, Moderne Welt