Gendermedizin: Frauen sind keine Männer!
Unter Gendermedizin versteht man die geschlechtsspezifische Medizin, die sowohl das biologische Geschlecht als auch den soziokulturellen Unterschied zwischen Frau und Mann berücksichtigt.
Genetische und hormonelle Differenzen bedingen bei Frauen und Männern unterschiedliche Risiken für Herzinfarkte, Osteoporose, Nieren- und Lebererkrankungen sowie verschiedene Krebsformen.
Frauen verlieren früher ihre Zähne; Männer, unter anderem auf Grund ihres erhöhten Risikoverhaltens und der daraus resultierenden Unfälle, früher ihr Leben.
Wichtige, bislang viel zu selten beachtete Unterschiede gibt es auch bei der Arzneimittelwirkung. Doch aus Angst, Frauen könnten während einer Studie schwanger werden, wurden Frauen seit dem Contergan-Skandal in den 60er Jahren, oft bei klinischen Medikamentenstudien ausgeschlossen. Das führt dazu, dass Frauen manchmal mit den falschen Medikamenten oder häufig mit zu hohen Dosen behandelt werden. So sollte bei Frauen z.B. bei der Medikation das höhere Osteoporoserisiko berücksichtigt werden.
Forschungen haben ergeben, dass Medikamente für den Weg vom Mund zum Darm im Körper von Frauen doppelt solange benötigen wie bei Männern. In der Leber haben Frauen und Männer unterschiedliche Konzentrationen bestimmter Enzyme, die für den Stoffwechsel der Wirkstoffe nötig sind. Beides zusammen kann zu Unterschieden bei der Wirkstoffkonzentration im Blut und damit zu Unterschieden bei der Wirkung und Nebenwirkung der Arzneimittel führen. Auch die verschiedenen Hormone und die unterschiedliche Körperfettverteilung von Frau und Mann können die Arzneimittelwirkungen beeinflussen. Doch unterschiedliche Dosisangaben in den Leitlinien oder den Beipackzetteln der Medikamente sucht man meist vergebens.
So hat die amerikanische Zulassungsbehörde FDA ein erhöhtes Unfallrisiko bei Frauen, die Schmerzmittel mit dem Wirkstoff Zolpidem einnehmen, festgestellt. Der Wirkstoff wird bei Frauen langsamer abgebaut als bei Männern, so dass 15% der Frauen, die das Schlafmittel mit der üblichen Dosis von 10mg einnahmen nach 8 Stunden noch eine zu hohe Dosis im Blut hatten. Das hat in Amerika zu Autounfällen geführt. Daraufhin wurde dort die Dosierung auf 5mg für Frauen reduziert. In Europa wurde diese Empfehlung nicht übernommen.
Auch die Diagnose von Krankheiten orientieren sich hauptsächlich an Männern. Das kann verheerende Folgen haben! So sterben Frauen nach einem Herzinfarkt häufiger als Männer, da ihre Symptome bei einem Herzinfarkt anders sind. Ist der behandelnde Arzt in der Notaufnahme männlich, ist die Sterblichkeit der Frauen nach einem Herzinfarkt noch größer, so eine kürzlich erschienene Studie. (PNAS: Greenwood 2018)
Neben den biologischen Unterschieden trägt auch das Bild, das wir und die Behandelnden im Kopf haben, zu verschiedenen Diagnosen bei Frauen und Männern bei. Bei Frauen werden körperliche Symptome häufiger als psychosomatisch fehlinterpretiert. Andersherum werden Depressionen bei Männern oft nicht oder viel später erkannt und behandelt. Männer gehen seltener zu Vorsorgeuntersuchungen, können psychische Erkrankungen schlechter akzeptieren, lassen sie daher seltener behandeln und leben, vielleicht auch daher kürzer als Frauen.
Eine Gendermedizin, die sowohl die biologischen als auch die gesellschaftlich-kulturellen Unterschiede der Geschlechter berücksichtigt, wäre sinnvoll und wichtig. Doch bislang gibt es weltweit nur wenige Institute, die sich damit beschäftigen.
Der deutsche Ärztinnen-Bund warnte kürzlich vor noch größeren genderbedingten Problemen durch die Digitalisierung in der Medizin. “Lernt künstliche Intelligenz aufgrund falscher Annahmen, potenzieren sich Fehler rasch und bis sie auffallen sind viele Schäden schon aufgetreten. Das ist bei der momentanen Datenlage gefährlich für Patientinnen,“ warnt die DÄB- Präsidentin.
Von Birgit Carls-Eisenberg
Schlagwörter: Europa, Frauen, Gesundheit, Kultur, Moderne Welt