Verschiedene Identitäten und Loyalitäten
Zum Treffen mit dem neuen deutschen Generalkonsul Peter Rondorf fahre ich in den 30. Stock des Torre Mapfre, dessen Eingangsbereich gerade erneuert wird. Durch die Sicherheitsschleusen gelange ich in sein Büro…
…von wo man bei dem sonnigen Oktoberwetter einen herrlichen Ausblick über Barcelona genießen könnte, wenn nicht diese diesige Unruhe in der Luft über Katalonien läge. In Vorbereitung auf dieses Interview haben wir unsere Leser gebeten, uns Fragen zu schicken. Eine Frage kehrte immer wieder: Wie steht unser Generalkonsul zu der aktuellen Situation in Katalonien und Spanien?
Er lächelt. Der Generalkonsul hat keine eigene Meinung zur aktuellen Situation in Katalonien. Die Haltung der Bundesregierung ist vor zwei Jahren durch ihren Pressesprecher Steffen Seibert relativ klar gemacht worden, die er auf der Grundlage eines Treffens von Angela Merkel mit Mariano Rajoy gegeben hat. Und seitdem hat sich die Lage nicht geändert.Vor zwei Jahren?
Ja, sicher. Das ist eine innere Angelegenheit Spaniens und wir mischen uns da nicht ein. Wir sind an einem stabilen, einigen Spanien interessiert. Bundesaußenminister Sigmar Gabriel hat das letzte Woche bei einem Treffen* mit dem Kreis der Deutschprachigen Führungskräfte in Barcelona noch mal sehr stark betont. Wir sind fest davon überzeugt, dass Spanien es im Rahmen des spanischen Rechts und der spanischen Verfassung lösen wird. Das weiß auch die katalanische Regierung. Es ist vollkommen klar, dass wir ein unabhängiges Katalonien – käme es denn dazu – niemals anerkennen würden. Kein EU-Staat würde Katalonien anerkennen. Katalonien würde außerhalb der EU und des Euro stehen. Außerhalb der Welthandelsorganisation. Die Menschen werden hier falsch beraten. Es werden Lügen erzählt.Gibt es schon Einschätzungen, ob die deutsche Wirtschaft von der Unruhe betroffen ist?
Das wurde letzte Woche bei dem Treffen ziemlich klar, wo Herr Gabriel in erster Linie die Stimmung auffangen wollte. Unsicherheit führt immer zu Attentismus. Investitionen werden zurückgehalten. Und der Aufschwung bricht hier sicherlich ab. Das war relativ deutlich. Es ist nicht schwer, auf diese Idee zu kommen. Als Volkswirt meine ich, Unsicherheit ist Gift für die Wirtschaft.
Sie waren bereits in vielen Ländern tätig. Welche Unterschiede gibt es zwischen der Arbeit in einem Generalkonsulat in Kuala Lumpur und Barcelona?
Ich muss da korrigieren. In Kuala Lumpur war ich an der Botschaft. Hier arbeite ich zum ersten Mal an einem Generalkonsulat, bisher waren es Botschaften. Deshalb sind die Aufgaben natürlich verschieden. In einer Botschaft geht es in erster Linie um die bilateralen Beziehungen von Regierung zu Regierung, z.B. von der deutschen zur malaysischen Regierung. Ein Konsulat hat eingeschränkte Aufgaben, da es nicht so stark politisch unterwegs ist. Unser Schwerpunkt liegt im konsularischen Bereich. Der Großteil unserer Kollegen kümmert sich um die Belange deutscher Staatsangehöriger.
Und vom Land her gesehen?
Vom Land gibt es überall Unterschiede. Ich habe vier Posten in Asien gehabt, war zweimal in Tokio, dann in Islamabad und Kuala Lumpur. Ich war zweimal in osteuropäischen Staaten, in Lettland kurz nach der Wiedergewinnung der Unabhängigkeit oder im Kosovo noch unter UN-Verwaltung, wo es ganz andere Aufgaben gegeben hat. Man muss sich immer darauf einstellen, dass die Art und Weise zu denken anders ist als unsere eigene. Manchmal ist es sogar so, dass man in den Ländern, die uns optisch gesehen am nächsten sind wie z. B. Schweden, dann doch Unterschiede in der Denkweise erkennt, die man anfangs gar nicht wahrgenommen hat. Das wird in Spanien auch der Fall sein.
Wie sind Ihre Eindrücke von Barcelona? Hat Sie etwas überrascht?
Es ist überraschend. Ich war vor etwa 10 Jahren hier, als ich meinen 50sten Geburtstag gefeiert habe. Davor 1977 als Student. Es ist, als wenn die Leute nichts Besseres zu tun haben, als sich mit Fragen wie der Unabhängigkeit herumzuschlagen. Sie sollten ihr Leben genießen. Es geht ihnen so gut.
Die Intensität der Unabhängigkeitsbewegung hat Sie also überrascht?
Nein, das hat mich nicht überrascht, im Gegenteil. Ganz zu Anfang, als ich auf Wohnungssuche war, weil wir in Barcelona keine offizielle Residenz haben, habe ich mich gewundert, dass die Leute diese Situation, so wie sie jetzt ist, nicht vorhergesehen haben. Für mich war das aufgrund der Erfahrungen, die ich in anderen Bereichen gesammelt habe, eine der möglichen Entwicklungen, dass es zu diesem Zusammenprall kommt, El choque de trenes, wie man sagt. Ich habe mich über den Optimismus gewundert, dass viele meinten, das ginge schon alles gut.
Worüber ich mich auch gewundert habe, ist die mangelnde Streitkultur. Dass das Thema unter den Teppich gekehrt wird, anstatt dass es immer und überall thematisiert wird. Gerade bei den eben angesprochenen Fragen ist es illusorisch zu meinen, dass ein unabhängiges Katalonien Mitglied der Europäischen Union wird. Das wird es nicht sein. Die Leute müssen hoffen, dass sie scheitern. Denn wenn sie Erfolg hätten, wären die Konsequenzen katastrophal. Aus meiner Erfahrung – ich bin seit 36 Jahren im Auswärtigen Amt – kann ich sagen, dass keines der Argumente der Unabhängigkeitsbefürworter stimmt. Nehmen Sie das Beispiel Kosovo. Da kann ich nur sagen: Leute das wollt ihr nicht. Das kann man niemandem wünschen. Oder der Vergleich mit Lettland. Lettland war unabhängig zwischen den Kriegen. Die Besetzung durch die Sowjetunion haben wir nie anerkannt. Deshalb war es natürlich, dass wir später nur unsere Botschaft wieder hinzuschicken brauchten. Der Vergleich mit dem baltischen Staat ist nicht richtig.
Brexit, Regionalismen: Europa, das sich in Jahrzehnten zusammengerauft hat, scheint an vielen Ecken zu zerfasern. Welche Möglichkeiten hat Europa die Krise zu überwinden?
Da kann ich nur meinen obersten Dienstherren zitieren. Er hat es hervorragend im Kreis Deutschsprachiger Führungskräfte zusammengefasst. Europa braucht die Zersplitterung nicht, im Gegenteil. Damit wir uns im 21. Jahrhundert gegenüber anderen Mächten behaupten können, müssen wir zusammenstehen. Deshalb ist die Haltung der Europäischen Union eindeutig. Kommissionspräsident Juncker hat es klar gemacht: Wir wollen kein Europa mit 96 Mitgliedsstaaten. Mit 27 oder 28 ist es schon schwierig genug. Man muss sich darüber im Klaren sein, dass die europäischen Verträge mit den Mitgliedsstaaten, nicht den Regionen geschlossen wurden. Die EU wird durch ihre Mitgliedsstaaten geführt. Beim Brexit und Katalonien steht dieselbe Grundidee dahinter: man meint, dass man sich durch das Zurückziehen auf kleinere Einheiten davor schützen kann, dass die Welt unübersichtlicher geworden ist. Das ist meines Erachtens der falsche Weg. Auch Wertschöpfungsketten und Lieferketten lassen sich nicht einfach wieder so neu aufbauen. Es würde einen erheblichen Einbruch in die wirtschaftlichen Aktivitäten bedeuten.
Können die Vereinigten Staaten von Amerika ein Vorbild für die Vereinigten Staaten von Europa sein?
Darüber sind wir, glaube ich, ziemlich hinweg, dass wir die Vereinten Staaten von Europa haben werden. Da ist es richtig die Haltung der Bundesrepublik zu nennen: wir müssen an konkreten Problemen arbeiten, um die Lösungen zu finden, die die Menschen erwarten. Sobald die neue Bundesregierung gebildet ist, wird es sicherlich eine der Hauptsaufgaben der Kanzlerin sein, mit dem französischen Staatspräsidenten Macron der Europäischen Union neuen Schwung zu verleihen. Aber dass wir eines Tages sagen, wir würden unsere Identitäten auflösen und uns nur noch als Europäer fühlen -für mich persönlich zwar schön- aber ich denke, dass wird nicht der Fall sein. Man kann durchaus verschiedene Identitäten und Loyalitäten haben. Ich bin mit Herz und Seele Rheinländer, ich bin Europäer, ich bin Deutscher und das geht wunderbar.
In Barcelona sind viele deutsche Organisationen aktiv: die Deutsche Schule, die FEDA, die AHK, das Goethe Institut, die Fundación Goethe, der Taschen
Spiegel um nur einige zu nennen. Haben Sie sich schon einen Überblick verschaffen können?
Ich bin inzwischen bei fast allen deutschen Institutionen gewesen. Es ist schön zu sehen, wie stark sie verwoben sind. Und zu sehen wie international Barcelona und Katalonien sind. Katalonien ist jedoch nur ein Teil meines Amtsbezirks, es gehören auch die autonomen Regionen Aragón, Valencia und Murcia, sowie das Fürstentum Andorra dazu.
Ich bin ein großer Fan der dualen Berufsausbildung. Sowohl in Schweden als auch in den Vereinigten Staaten war das ein Markenzeichen der deutschen Wirtschaft. In der Bundesrepublik sind wir in der Lage, jungen Leuten einen vernünftigen Ausbildungsweg aufzuzeichnen, mit dem entsprechenden Status. Ein deutscher Facharbeiter ist eben nicht nur Angelernter in der Industrie. Darauf kann er stolz sein. Das lässt sich aber nicht so leicht übertragen. Wir können anderen Ländern nur Hinweise oder Fingerzeige geben, wie die Wettbewerbsfähigkeit des Industriesektors durch gut ausgebildete Fachleute gefördert wird.
Das Ideal der Europäischen Union ist der Binnenmarkt und die große Freiheit. Letztendlich macht es nichts aus, wo man lebt und arbeitet. In der ganzen Europäischen Union ist man europäischer Bürger und wird als solcher geachtet. Es ist eine neue Gefahr, wenn die Leute sich nun wieder überlegen, soll ich denn da jetzt hingehen? Was könnte da passieren? Das ist das Gegenteil von dem, was wir als Vision vorhaben.
Gerade lief das 6. Festival des Deutschen aktuellen Films in der Filmoteca. Was ist Ihr Eindruck von dieser Zusammenarbeit Vorort mit dem Goethe Institut?
Bei all meinen Besuchen habe ich klar gemacht, dass wir eine Art gemeinsames Logo haben: Firmenwert „Bundesrepublik Deutschland“. Das ist ein Markenzeichen. Jeder trägt dazu bei in den verschiedenen Ausprägungen. Ich bin dann auch nicht ängstlich zu sagen, letztendlich bekommt Ihr alle Geld von uns. Sie sind teilfinanziert von der Bundesrepublik. Jede einzelne Organisation hat ihre spezifische Aufgabe. Es ist unsere Pluralität, dass wir so breit aufgestellt sind. Die Organisationen agieren relativ unabhängig voneinander. Und das sollen sie auch. Es gibt befreundete Länder, deren Auslandsvertretungen viel stärker in die Belange der Organisationen hineinregieren. Das haben wir aus gutem Grund nicht so gemacht. Wir setzen uns natürlich zusammen und gucken, wie wir uns gegenseitig in den Zielen verstärken können.
Zurück zur Diplomatie: wie ist die Stellung der Frau in der Diplomatie? Gibt es die Parität?
Wir können uns nicht beschweren. Die gesellschaftliche Entwicklung spiegelt sich auch bei uns im Auswärtigen Amt. Dass es eine Zeit lang braucht, bis es sich auf allen Ebenen durchgesetzt hat, ist vollkommen klar. Wir sind auf einem ziemlich gutem Wege. Ich selber habe persönlich immer die Erfahrung gemacht, dass es in jedem Team gut tut, wenn die persönlichen Gründe unterschiedlich sind. Ich habe es immer als angenehm empfunden und für das gemeinsame Ziel als sehr, sehr hilfreich. Mehr Frauen ist ganz normal. Ich will das mal so formulieren: Frauen haben eine höhere Problemlösungskapazität. In Deutschland ist es normal die Vielfalt und Stärken der deutschen Gesellschaft in die Zusammensetzung des deutschen Auswärtigen Dienstes zu tragen. Wir profitieren davon, wenn wir das spiegeln, wie unsere Gesellschaft mittlerweile ist.
Wenn ein Spanier oder Katalane Sie fragt, welchen Roman würden Sie empfehlen, um Deutschland kennenzulernen. Was sagen Sie ihm?
Eine schwierige Frage. Welches Deutschland? Ich würde ihm empfehlen, Goethe, Die italienische Reise zu lesen. Das ist fast schon ein Widerspruch. Es zeichnet ganz gut nach, wie Goethe in einer gewissen persönlichen Phase Weimar verließ und nach Italien ging. Durch die Impulse, die er in Italien fand, auch wuchs und auch wieder kreativer wurde. Da wird gut sichtbar, wie sich das Deutsche mit dem Südländischen vermischen kann. Es ist gut zu lesen, von welcher Basis er gekommen ist und wie er dann nachher zurückgekommen ist.
Was sind Ihre Hauptprojekte in den kommenden Monaten?
Oh, ich sehe, Sie haben die Erde unter Ihrem Schrank liegen.
Er lacht, steht auf und beginnt spielerisch den kleinen, blau-grünen Schaumball zu kicken: Das kommt aber jetzt nicht darein?! Das ist mein Bürotraining, ich bin früher Fußballspieler gewesen.
Zurück zur Frage. Ich knüpfe daran an, was ich am Anfang gesagt habe. Vieles wird hier absorbiert von der aktuellen Lage. Ich kann nur hoffen, dass wir sehr schnell in normales Fahrwasser zurückkehren. Dann können wir uns wieder mit den eigentlichen Aufgaben des Generalkonsulats beschäftigen. Dazu gehört die Förderung der deutschen Sprache, der deutsch-spanischen Kulturbeziehungen, aber auch die Förderung der Interessen der deutschen Firmen vor Ort. Ich freu mich darauf, wenn es wieder normal wird.
Herr Rondorf, ich danke für das sehr aufschlussreiche Gespräch.
von Ina Laiadhi
Schlagwörter: Europa, Interviews, Moderne Welt