Volker Weidermann öffnet den Blick für Literatur
Wer sich mit der deutschsprachigen Literatur des letzten Jahrhunderts beschäftigt, kommt an ihm nicht vorbei, Volker Weidermann, Literaturkritiker, Moderator und Schriftsteller.
Er ist (wenn überhaupt) derjenige, der versucht hat, in die übergroßen Fußstapfen des Kritikerkönigs Marcel Reich Ranicki zu treten. Zuerst Literaturkritiker bei der taz, dann Literaturredakteur bei der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, seit 2015 beim Spiegel widmet sich Weidermann seit mehr als 20 Jahren der Bewertung von Büchern und Autoren. Er ist selbst Schriftsteller, doch, wenn man es so sagen will, aus zweiter Hand, denn er schreibt über literaturgeschichtliche Ereignisse und die großen deutschen Schriftsteller unserer Zeit. Dabei gelingt es ihm, die Stimmung einer Zeit einzufangen und damit die manchmal schwere Kost zugänglicher zu machen. So zum Beispiel in seinem Roman „Ostende 1936 – Sommer einer Freundschaft“, das Lust auf Bücher von Stefan Zweig und Joseph Roth macht, die einem nicht einfach so in der Buchhandlung in die Hände fallen (und schon gar nicht von Amazon empfohlen werden).
2006 erschien sein erstes Buch „Lichtjahre: Eine kurze Geschichte der deutschen Literatur von 1945 bis heute“. Es setzt einen Nullpunkt am Ende des Zweiten Weltkrieges und analysiert von hier aus den Werdegang der Literatur. Nach dieser Zäsur im Zeitgeschehen entwickelte sich im geteilten Deutschland eine sehr differenzierte Literatur, Gruppe 47, Bitterfelder Weg, Exilliteratur… Aufarbeitung, Aufbau, Ankunft, Untergrund und Popliteratur führt Weidermann nach eigenem Empfinden leidenschaftlich, humorvoll und provokant zusammen.
In dieser Materie folgte 2 Jahre später fast zwangsläufig das „Buch der verbrannten Bücher“, das die Autoren beleuchtet, die auf der ersten, der Urliste der Bücherverbrennung 1933 gestanden haben. Längst überfällig wird die dunkle Stunde der „Aktion wider den deutschen Geist“ erhellt durch Weidermanns Aktion wider das Vergessen, in dem er die bekannten Klassiker neben die fast ausgemerzten Bücher von Schriftstellern stellt, die sich von diesem Vernichtungsschlag nicht erholen konnten.
Sein zuletzt erschienenes Buch „Das Duell“ widmet sich der jahrelangen Hassliebe zwischen Günther Grass und Marcel Reich-Ranicki, die wir dank literarischem Quartett über Jahre im TV mitverfolgen durften. Die Doppelbiografie von Autor und Kritiker war ein folgerichtiger Schritt in Weidermanns eigener Vita, denn er hatte 2015 die Moderation der Neuauflage des Literarischen Quartetts übernommen. Die Sendung wurde bis zu dessen Tode von Reich-Ranicki dominiert, den Weidermann sehr verehrte. Die polarisierenden Besprechungen waren so legendär geworden, dass eine Erwähnung in diesem Format dem Autor exorbitante Verkaufszahlen sicherte, egal ob Lob oder Verriss.
Weidermann verlässt nach gut vier Jahren das Literarische Quartett, um sich wieder mehr seiner Arbeit beim Spiegel und als Schriftsteller zu widmen. Doch auf eine letzte Ausstrahlung am 6. Dezember können wir uns noch freuen. Zu Gast ist dann der Schauspieler Matthias Brandt.
Als Autos sei Weidermann jedem ans Herz gelegt, der über die Flut der heutzutage angebotenen Bücher seinen Bezug zu wahrer Literatur verloren hat. In seinen Büchern zeichnet er klar die Lebenssituationen der großen deutschen Literaten der Kriegs- und Nachkriegszeit und schafft so eine neue Sicht auf deren Werke. Aber vor allem weckt Weidermann in Wort und Schrift wieder die Neugier auf deutsche Literatur.
Von Kati Niermann
Schlagwörter: Europa, Geschichte, Kultur, Literatur